Jules Massenet Werther Teatro alla Scala Mailand 27.6.2024
Benjamin Bernheim erzeugt große Gefühle als Werther in Mailand
Der Franzose mit Schweizer Wurzeln zählt derzeit zu den gefragtesten lyrischen Tenören und zur Idealbesetzung des jungen Werther in der gleichnamigen Oper des Franzosen Jules Massenet nach der Literaturvorlage von Johann Wolfgang von Goethe. Dessen Roman über die tragische Liebesgeschichte löste in Europa eine Welle der Begeisterung aus und bestimmte eine gesamte Epoche, Sturm und Drang genannt. Benjamin Bernheim gelingt es mit seiner weich und samtig unterlegten Stimme und einer profunden Gesangstechnik große Gefühlsmomente zu erzeugen. Mit berührenden Legati und vollmundig gesetzten Melodien setzt er seine Stimme flexibel als dramaturgisches Mittel ein. Dazu mimt er den Außenseiter Werther als schüchternen, romantisch begeisterungsfähigen Intellektuellen, der nüchtern in die Todessehnsucht hineinwächst.
Victoria Karkacheva ist seine angebetene Charlotte, Tochter aus gutem Haus, die nach dem Tod der Mutter ihre Geschwister und den Vater liebevoll versorgt. Ihr Spiel wirkt spröde. Als kühle Blonde kämpft sie zwischen Pflicht und Versprechen gegen die aufkeimende nicht eingestandene Liebe. Erst in der Schlußszene über dem sterbenden Geliebten ergießt sich das Schuldgefühl. Auch stimmlich bleibt sie farblos nüchtern, forciert und lässt die der französischen Sprache musikalischen Betonungen vermissen. Francesca Pia Vitale ist ihre jüngere Schwester Sophie, die ungestüme Jugendlichkeit verströmt. Ihr Sopran ist fassettenreich und intoniert sauber in allen Lagen. Jean-Sébastien Bou vermittelt als Albert den düpierter Ehemann Charlottes. Seine Verzweiflung über die verlorene Liebe und die emotionale Eifersucht packt er gekonnt in seine auch sängerische Darstellung.
Den klanggewaltigen musikalischen Rahmen gestaltet bravurös Alain Altinoglu am Pult des Orchestra dell‘Teatro alla Scala. Er hält von den ersten Takten den Spannungsbogen aufrecht, schreckt nicht vor kräftigen Forti und entlockt den Streicher weiche Emotionen. Die Tempi sind gut gewählt.
Die Regie in dieser neuen Produktion gemeinsam mit dem Théatre des Champs-Élysée führt Christof Loy. Nur ein Bühnenbild von Johannes Leiacker genügt ihm. Eine helltapezierte Wand mit einer gläsernen Schiebetür in der Mitte zeigt das edle Haus der Familie Charlottes. Geschickt wird der Raum durch das Öffnen der Türen, das auch immer Handlungsübergänge ermöglicht, vergrößert. Es ist munteres ehrlich fröhliches Treiben im wohlbehaltenen ländlichen Familienleben zu spüren. Umso gravierender entfaltet sich die düstere Liebe und entwickelt sich die Tragik des jungen Paares. Loy hält die Szenen so bewusst in kleinen Kreisen, Intimität auch als Zufluchtsort ohne Entkommen. Werther stirbt heldenhaft seinen ehrlichen Gefühlen treu und hinterlässt tiefe Bestürzung.
Großer Jubel im ausverkauften Haus
Dr. Helmut Pitsch
30. Juni 2024 | Drucken
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