Unter penibler Einhaltung der bestehenden Vorschriften mit grossen Aufgebot an Kräften begeht die Bayerische Staatsoper ihre ersten Schritte der Wiedereröffnung. Lockerungen der Beschränkungen ermöglichen es mit strengen Hygienevorschriften und Abstandsregeln. An zwei Eingängen werden die 50 glücklichen Halter von Eintrittskarten in des ehrenwerte Haus eingelassen. Jeweils Samstag und Sonntag findet nun ein stark reduziertes Kulturprogramm mit Ensemblemitgliedern aber auch Freischaffenden Künstlern statt. Dies ist ein besonderes Zeichen der Unterstützung für die Freie Szene, die von der Schließung der Theater besonders betroffen ist, und bietet Künstlerinnen und Künstlern aus den Bereichen Tanz, Performance und Musical eine Möglichkeit zum Auftritt.
Markig klingen die laufenden förmlichen Erinnerungen "Halten Sie Abstand" durch das Foyer. Alles ist auf ein Minimum reduziert, Wandelhalle und Garderobe sind gesperrt, ein paar Kleiderständer sind aufgestellt, der Gast bedient sich selbst. Einzeln wird jeder zu seinem einsamen Sessel auf der Bühne geführt. Dort sitzen dann 50 glückliche Enthusiasten im Abstand von 1,5 Metern in fünf Sitzreihen mit Blick auf ein 8*4 grosses leicht erhöhtes Podest, dahinter der freie Blick in den leeren Zuschauerraum, der sich zu Beginn noch im Dunkeln befindet. Die magische Leere und Grösse lässt sich aber schon erfühlen. Tanzanweisungen heisst das Programm von Martin Ostruschnjak, der sich in seinen Arbeiten mit den Veränderungen der körperlichen und sozialen Erlebnisfähigkeit der Digitalisierung befasst. Der ehemalige Sprayer, der in München und Lausanne ( bei Maurice Bejart) sein Tanzstudium abschloss, arbeitet als freischaffender Choreograph und Tänzer. Er verarbeitet seine Herkunft " von der Strasse" und zeigt dominante Einflüsse des Breakdance in harmonischer Verbindung mit klassischen Tanzschritten sowie Elementen das Step- und Varietetanzes. Circa 30 Minuten dauert seine sportlich anfordernde Aufführung, ständig im Trippelschritt, den Rhythmus vorgebend. Flapsig springt er mit Baseball Kappe, T shirt, Short und weissen Sneakers aufs Podium. Musik aus der Dose kommt nur in geringer Dosierung. Simon and Garfunkel Sound of silence untermauert die konzeptionelle Idee seiner Kreation, ebenso der mächtig rhythmische Balletthit Sacre du Printemps von Igor Strawinsky wird in kurzer Sequenz eingespielt. Die meiste Zeit bleibt es ein einprägsames Solo, wenn Moritz leicht federn wie ein Boxer, einige Faustkicker hat er auch treffend eingebaut, auf dem Podest wie im Boxring herum trippelt.
Aus einem einfachen Schuhplattler entwickeln sich in bewusst hergeleiteter Überführung die Ableitung zu Figuren des klassischen Balletts sowie des Pop und Breakdance. Arme und Beine sind ständig in Bewegung, jedes Körperteil bleibt in Anspannung versetzt. Treffend ist der Titel Tanzanweisungen umgesetzt. Ohne Worte ist die Übung von Figuren, die Einstudierung von Tanzschritten erkennbar. Fliessend gehen diese in eine Choreographie über. Der grosse Zuschauerraum im Hintergrund wacht drohend aber auch schützend umfassend und wirkt wie ein lebendiges filmreifes Bühnenbild. Den aufgefädelten Betrachtern, zu Maske verdonnert wird schwer ums Herz so auf ihre gewohnten Plätze zu starren. Mitunter fühlt er sich selbst als Künstler, als Statist für einen grossen Abend. Einmal selber auf der Bühne zu sein, ein Wunsch vielleicht ein Traum wird so zur bizarren Realität. Moritz Ostruschnjak hat fühlbar und einfühlsam diese Welt im Improvisations- und Übungsmodus thematisch aufgegriffen. Gleich zu Beginn lässt er ein Plakat herumzeigen, dass dieser Zustand nicht für immer so bleiben wird. Dem kann sich jeder mit Hoffnung anschliessen.
Viel Applaus vom trotz Corona und Maske fühlbar begeisterten Publikum. Danach hiess es wieder mit Abstand, Gast für Gast die Bühne zu räumen.
11. Juni 2020 | Drucken
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