Cineastische Epik bei Bartok und Poulenc in Neapel

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Bela Bartok Il Castello di Barbablu / Francis Poulenc La Voce umana Teatro San Carlo Neapel 30.5.2024

Cineastische Epik bei Bartok und Poulenc in Neapel

In einer Koproduktionen mit der Pariser Oper und dem königlichen Opernhaus in Madrid zeigt das Teatro San Carlo nun eine packende mitunter verstörende Neueinstudierung von Bela Bartoks einziger Oper König Blaubarts Schloss im unmittelbaren Doppelpack mit Francis Poulencs Einakter La Voix humaine.

Die Konstellation ist neu, ohne Pause mit kurzem Video Zwischenspiel mit Ausschnitten aus die Schöne und das Biest. Der derzeit vielbeschäftigte Regisseur Krzysztof Warlikowski hat sich einiges effektvolles nicht immer stimmiges einfallen lassen, um diesen dramaturgischen Spagat zu realisieren. Gleich zu Beginn überrascht König Blaubart als Zauberer im schwarzen Smoking und weiten Umhang. Seine ungepflegte Haarpracht und dunkel geschminkten Augenhöhlen lassen bereits etwas Mystisches erahnen. Ebenso windet sich eine dümmliche Blondine aus dem Glitzervorhang heraus. Zwei Zaubertricks folgen. Eine weisse Taube und ein weisses Kanninchen erscheinen aus einem Konvolut von Tüchern. Dann setzt die Oper ein mit dem Prolog Blaubarts, den dieser als dunkle Horrorfigur in den Saal haucht. Videoinstallationen eines Monsters und metallenes Stöhnen unterstützen den Effekt. Ohne Bezug zur Handlung taucht Judit aus den Publikumsreihen im Parkett auf, zeigt wie eine Schülerin auf und geht auf die Bühne, während Blaubart desinteressiert an der Rückwand kauert und die blonde Assistenz von der Bühne in den Zuschauerraum entschwindet. Plötzlich sind dann Judit und Blaubart ein emotional geladenes Paar und feilschen auf einer hellen Ledercouch um die Schlüssel zu den sieben Türen, die im sterilen Bühnenbild von Malgorzata Szczsniak, das einen großen modernen Raum darstellt nicht wirklich erkennbar sind. Immer wieder wird von oben eine Leinwand für Videos heruntergelassen.

Die Personenregie, insbesondere die darstellerische Ausdruckskraft von Elina Garanca als Judit sowie von John Relyea als König Blaubart geben der Handlung Spannung. John Relyea ist ein distanzierter nahezu autitischer gefühlsloser aber Machtbessener. Kühl umgarnt er Judit, die selbstbewusst gierig und materialistisch besitzergreifend von der Regie gezeichnet wird. Die Türen werden automatisch geöffnet und jeweils ein transparenter Raum auf die Bühne geschoben. Die Inhalte sind abstrahiert und gut erkennbar. Stimmlich nuanciert Elina Garanca die Vielfalt ihrer Rolle, kann fordern, betören und triumphieren. Sie zeigt sich auch mit dem ungarischen Libretto sehr vertraut und arbeitet die volksliedhaften Melodien bestens heraus und führt diese leicht und farbig. John Relyea setzt einseitig auf die dunkle Farbe seines Basses und wirkt konzentriert im Umgang mit der ungarischen Sprache.

Aus dem Dunkeln erscheint Barbara Hannigan auf der Bühne während eine Videofrequenz zum zweiten Teil des Abends überleitet. La Voix humaine ist eine Monooper nach einem Theaterstück von Jean Cocteau. Es geht um eine Frau, die in einem Telefongespräch Einblick in ihre zerrüttete Beziehung und innere Gedanken- und Gefühlswelt gibt. Immer wieder wird die Leitung spannungswirksam unterbrochen.Warlikowski hat auch hier spezielle Effekte eingearbeitet, die die Handlung des Stückes neu beleuchten. Ist das Telefonat wirklich echt? Plötzlich taucht ein Revolver in der Hand der Frau auf, sowie ein Statist mit blutiger Schusswunde im Bauch. Gab es ein Gewaltverbrechen? Am Ende führt sie den Revolver in den Mund, den Selbstmord erlebt das Publikum nicht. Die gefühlsgeladene Dramatik versteht Barbara Hannigan mit unglaublicher Ausdruckskraft umzusetzen. Nah am Wahnsinn wandert sie zwischen Verrücktheit und nüchterner Berechnung. Ihr Sopran folgt mühelos in diesem emotionalen Wandel. Klar und frisch bleibt der Klang ohne metallene Spitze in den sprunghaften Höhen. Im Sprechgesang nutzt sie die Melodik der französischen Sprache.

Edward Gardner führt musikalisch geschickt die Protagonisten auf der Bühne. Er lässt Ihnen gesanglich viel Raum, arbeitet im Orchesterpart eine epische Dramatik heraus, die die Charaktere der Handelnden wie deren Gefühle und Beziehungen unterstreicht.

Großer langanhaltender Beifall für diese spannende vielseitige Interpretation.

Dr. Helmut Pitsch

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