Conquista der Irrungen - musikalisch packend in der ideologisch verbrämten Regie gestrandet

Xl_70eecf1a-4807-4d96-9414-5fa34ab00e9b © Björn Hickmann

FERNAND CORTEZ ODER DIE EROBERUNG MEXIKOS (Gaspare Spontini) Theater Dortmund Besuch am 20. Mai 2022 (Premiere 7. April 2022) 

Conquista der Irrungen - Die musikalisch packende Neueroberung strandet in der ideologisch verbrämten Regie

Montezuma, die Geschichte des legendären Aztekenkönigs und der Conquista der Spanier gegen das Mexiko des frühen 16. Jahrhunderts, zählt zu den meistvertonten Stoffen für die Opernbühne. 1733 bringen Antonio Vivaldi und Giovanni Paisiello ihre Montezuma-Kompositionen im Stile der neapolitanischen Schule heraus. 1755 vertont Karl Heinrich Graun das Drama für das Berliner Opernhaus von Friedrich II.. Der preußische König liefert Graun das Libretto in französischer Sprache, das von einem Hofpoeten in das Italienische übersetzt wird. 1781 folgen Antonio Sacchhini und Nicolò Antonio Zingarelli mit ihrer Darstellung der Geschehnisse zwischen 1519 und 1521, die mit der Zerstörung des präkolumbischen Tenochtitlán einhergehen. Gaspare Spontini schließlich, Wegbereiter der Grand Opéra und Günstling von Friedrich Wilhelm III., weitet das von Napoleon als PR-Begleitmusik zu seinem geplanten Spanien-Feldzug initiierte Narrativ der Zerstörung des Azteken-Reichs 1809 zur dreiaktigen Oper Fernand Cortez ou la Conquête de Mexique.

Die dritte Fassung, die Spontini in seinem Amt als preußischer Generalmusikdirektor 1824 auf die Bühne der Berliner Hofoper bringt, erlebt rund zweihundert Jahre nach ihrer Entstehung im Theater Dortmund eine vielschichtige Neueroberung. Intendant Heribert Germeshausen rückt das Projekt in den Wagner-Kosmos des Hauses mit dem Ring 2022-2025. Der Gedanke beruht auf der nachweislichen Bewunderung von Stoff und Musik der Oper im Stil der Tragédie lyrique durch Wagner. Viel Ambition und Programmatik mithin, was die glänzend aufgelegten Dortmunder Philharmoniker und ein tief in der französischen Opernsprache verankertes Sängerensemble trefflich einlösen. Ein Unterfangen, das eine sich ethisch-aufklärerisch gerierende Regie aber weitgehend verspielt. Spontinis spektakuläre Bild- und Klangfolge auf ein Libretto von Victor-Joseph Etienne de Jouy und Joseph-Alphonse d‘Esménard ist heroische Kolonialgeschichte, die im 19. Jahrhundert den Nerv der Militaristen trifft.

Für Eva-Maria Höckmayr, die Regisseurin, ist sie hingegen ein Lehrstück von Macho-Aggression und Ausbeutung, das dem heutigen Publikum angesichts des aktuellen Kriegsschreckens nicht mehr zumutbar sein soll. Das sie vom Makro- in den Mikrokosmos verlegt, auf eine quasi anthropologische Ebene individueller und folglich zeitloser Konflikte. Auf das Wirkungsfeld „menschlicher Mechanismen von Manipulation und Erinnerung“, wie sie im Programmheft offenbart. Ideologie an Stelle des Bemühens, dem Narrativ das Authentische abzugewinnen. Fernand Cortez oder die Eroberung Mexikos ist die Konfrontation zweier historischer Konfliktparteien. Die Azteken unter ihrem Gottkönig Montezuma stehen den eingefallenen Spaniern unter dem Conquistador Cortez gegenüber. Dessen Bruder Alvar und zwei weitere Spanier befinden sich in der Hand Montezumas und seines Generals Télasco. Die Geiseln sollen ihnen als „Verhandlungsmasse“ im Ringen mit den Eroberern dienen. Amazily, Schwester Télascos und Geliebte des Cortez, versucht, zwischen den Kriegsparteien zu vermitteln. Sie bietet sich dem Oberpriester der Mexikaner als Blutopfer an, um Alvar zu retten und Frieden zu stiften. Cortez lässt die eigenen Kriegsschiffe verbrennen und motiviert seine Soldaten zur Einnahme der Azteken-Kapitale Tenochtitlán. Es kommt zu einem Diktatfrieden und zur Errichtung des spanischen Besatzerregimes. Cortez begnadigt Gegner und Volk. Die klassische Clash of cultures-Konstellation findet in dem von Höckmayr gewählten Konzept und damit der Ausstattung keine Entsprechung.

In Ralph Zegers ahistorischem Bühnenkubus und den aus heutiger Zeit stammenden Alltagskostümen von Miriam Grimm sind lediglich den Repräsentanten der Konfliktparteien Identität stiftende Insignien erlaubt. Historische Uniformen im Stil der Regentschaft von Karl V. Cortez und seinen Mitstreitern, aufgestellte grüne Federn und anderer Kopfschmuck Montezuma und seinen Anführern. Die Ideologen unter den Einheimischen um den Oberpriester tragen blutende Herzen voran, um an die Götteropfer der indigenen Völker zu erinnern. Die Kontrahenten – die Azteken auf der einen, die spanischen Söldner auf der anderen Seite – sind äußerlich nicht zu unterscheiden. Gipfelpunkt dieser „Individualisierung“ eines Kulturkampfes sind die zerschlissenen Unterhemden, in denen sich einige bewegen, wer auch immer. Erst recht unübersichtlich wird es, als Höckmayr ein buntes Ensemble von allerlei Conquistadores von gestern und heute aus der Tiefe per Bühnenhub in die Szenerie fahren lässt. Verstanden werden kann dies als Zeichen an das Publikum, sich auf die Kriegsgräuel aktuell in der Ukraine zu besinnen. Recht schnell ermüdend wirkt die Manie, mit den Ikonen der Konfliktparteien, dem christlichen Kreuz und dem Hund der Mexica, wie mit Allerwelts-Requisiten zu verfahren, die beliebig hin und her geschoben werden. Dabei hätten die aufeinanderprallenden Kulturen – hier die der Spätrenaissance, dort die für die Spanier exotische der Einheimischen – gestalterische Momente in Hülle und Fülle geboten, wäre eine echte Ausstattung gewollt gewesen.

Die Figur des Cortez wird zu kurz gedacht, würde sie auf den Raubritter reduziert, der allein des Goldes und des Ruhmes wegen gen Mexiko aufbricht. In seinem Epos Die Eroberung Mexikos von 1933 führt der englische Historiker Hugh Thomas eine ganze Reihe von Zielen der Conquista auf. Darunter das Motiv, die heidnische Barbarei der Ureinwohner durch Christianisierung zu ersetzen, was sich nicht zuletzt durch die von den Eroberern zahlreich errichteten Klöster, Kirchen und Pfarreien nach dem Fall Tenochtitláns tatsächlich manifestiert. Thomas begreift denn auch die Conquista als einen Pfeiler der heute bestehenden europäisch-westlichen Weltordnung. Eine Wiederentdeckung des Spontini-Werks wäre so eine willkommene Gelegenheit, die Legitimität und Verletzlichkeit dieser Ordnung kritisch zu befragen, deren gegenwärtige Bedrohung Tag für Tag begreifbarer wird.

Erkennbar groß ist das Interesse der Regisseurin für die einzige weibliche, dann aber zentrale Figur des Geschehens, Amazily, die wie Norma oder Aida zwischen den Kriegsparteien steht und zu einer Friedensbotschafterin reift. Ständig ist sie Mittelpunkt der Handlung. Immer wieder Fixpunkt im Lichtdesign Kevin Schröters. Allein vier Soloarien, die ihr Spontini gönnt, erlauben ihre Position dicht vor der Rampe zum Orchestergraben, vis-a-vis zum Publikum. So leuchtet Höckmayr den Charakter der Prinzessin aus, halb noch befangen im Dienst Montezumas, halb schon Künderin der europäischen Moderne, dank ihrer Empathie. Ganz stark ihr Aussteigen in der finalen Sequenz, als sie durch das Theaterparkett abgeht, während ihr Alter Ego – ein Kompliment der Maskenbildnerin! – stumm im Bühnengeschehen verbleibt. Eine Abstimmung gegen die Kriegstreiber mit den Füßen? Melody Louledjian ist diese Amazily mit lodernder Stimme und berührender Hingabe. Dass die französische Sopranistin die Partei überhaupt durchsteht, ist eine besondere Leistung. Nach einem Kreislaufzusammenbruch in der Pause, von dem der Intendant zu Beginn des dritten Aufzugs kündet, absolviert sie alles Weitere im Sitzen, ausgenommen den Schluss.

Mirko Roschkowski, gegenwärtig als Mozart-Interpret, so in Idomeneo in Wiesbaden, besonders gefragt, ist Cortez mit seinem an Substanz und Strahlkraft gewinnenden Tenor mit Vehemenz und Virilität, auch als idealer Antipode im Liebesduett mit Louleidjian. Sungho Kim gibt mit seinem tenore die grazia Alvar samtig und voller Wohlklang. Hinreißend sein Anteil an dem A capella-Terzett mit Jorge Carlo Moreno, dem ersten, und Ian Sidden, dem zweiten Gefangenen. Mandla Mndebele gelingt der mentale Swing von Scarpia in der Dortmunder Tosca hin zu Montezuma vorzüglich, teilt aber mit Denis Velev als Oberpriester der Mexikaner den Hang zu einem übertriebenen Vibrato. James Lee als Télasco und Morgan Moody als Moralès machen ihre Sache gut. Ein Trumpf der Aufführung ist der von Fabio Mancini einstudierte Chor. Mit seinen leidenschaftlichen Auftritten, einerseits als aztekisches Volk, andererseits als Soldateska und Marketenderinnen des Cortez, hebt er das Spektakel auf Grand Opéra-Niveau. Christoph JK Müller am Pult der Dortmunder Philharmoniker bringt die Pole der Partitur, das militärische Pathos samt Marschrhythmus und das Lyrique-Profil der Arien und ariosen Rezitative, packend zur Geltung. Dies bescheinigt ihm wie allen übrigen Mitwirkenden der lang anhaltende Applaus des Publikums, das allerdings nur knapp die Hälfte der Kapazität in Parkett und Rang füllt. Beim Wagner-Kosmos wird sich das aller Voraussicht nach ändern. Immerhin hat sich an seiner Peripherie bereits Aufregendes getan.

Dr. Ralf Siepmann

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