Musorgskys erste und kürzere Fassung seiner Oper Boris Godunov zählt zu den grossen russischen Opern. Inhaltlich greift das Werk einen Teil russischer Geschichte auf, aber auch musikalisch findet die russische Melancholie und Volksseele Eingang in das Werk. Die Wiederaufnahme der 2016 von Richard Jones inszenierten Urfassung des Werkes am Opernhaus Royal Covent Garden wird dominiert von Bryn Terfel, der überzeugend in aller Körperfülle in die Rolle des Titelhelden schlüpft.
Jener Boris, der Zarewitsch Dmitry, den einzigen Sohn Ivan des Schrecklichen umbringen lässt und so selbst Zar werden kann. Geplagt von seinem Gewissen verfällt er zunehmend dem Wahnsinn. Als nun auch noch Grigory erscheint und sich als Zarewitsch Dmitry vorgibt zerfällt das politische und menschliche Gebäude des Boris Godunow und er findet Erlösung im Tod. Dramatisch mit grossen Chorszenen und ausdrucksvollen Arien für tiefe Männerstimmen sowie gross angelegter spätromantischer Orchestermusik ausgestattet, hat sich das Werk einen festen Platz auf den Spielplänen erhalten. Richard Jones versucht die Handlung auf zwei übereinander liegenden Ebenen zu erzählen. Unten umgeben von schwarzen Bühnenwänden - Bühnenbild von Miriam Buether - befinden wir uns auf der Ebene des gemeinen Volkes, darüber in gold ausgekleidet ein Ganggewölbe im Inneren des Zarenpalastes, wo auch die Ermordung des Zarewitsch wirkungsvoll in Szene gesetzt ist. So gestaltet kann die Handlung ohne Pause in zwei Stunden ohne Unterbrechung fliessend erzählt werden, aber findet nicht wirklich Harmonie. Immer wieder taucht der junge Zarewitsch mit grosser Kopfmaske und seinem Kreisel auf der oberen Bühne auf und martert als Vision den weiter sich verirrenden Boris. Grosse Wandtafeln dienen als Bibliothek Pirmens oder als Schultafel Fyodors. Zeitlos sind die Kostüme von Nicky Gillibrand entworfen. Dazu kommt eine statische Personenführung, besonders in den Massenszenen, die der bestens einstudierte Chor gesanglich ausdrucksvoll widergibt.
Bryn Terfel hat hier eine Paraderolle für sich besetzt. Mit langen grauen Haaren und Bart wird er zum wilden Steppenfürsten. Er setzt in seiner gesanglichen Darbietung nicht auf Volumen sondern auf nuancenreiche Klangfarben. Er breitet sein Innenleben wahrlich vor dem Zuhörer aus. Seine langen Monologe werden intim, einfühlsam und berührend. Nur selten hallt seine Stimme ehrfurchtsvoll an den Herrscher erinnernd. Lyrische Züge bekommt sein Umgang mit den Kindern. Grossartig die Leistung hier des jungen Joshua Abrams als Fyodor. Der 13 jährige überzeugt mit seiner Bühnenerfahrung und Präsenz. Selbstbewusst und ohne scheu singt er im feinsten Knabensopran. Gehaltvoll führt Matthew Rose seinen Base als den weisen Mönch Pimen, der viel zu erzählen hat. David Butt Philip lässt mit seinem Tenor als Grigory aufhorchen. Ein Wiederhören gibt es mit John Tomlinson als Varlaam, der lebenslustige Mönch, der ja doch Lesen kann.
Marc Albrecht, der künstlerische Leiter der Niederländischen Oper Amsterdam hat die musikalische Leitung dieser Wiederaufnahme übernommen. Er schafft russische Klangwelt, opulente Orchestermusik und spart auch nicht an Lautstärke. Er findet aber rasch die richtige Begleitung für die Sänger und gibt auch ihnen ausreichend Raum und überdeckt diese selten. Glocken läuten, Fanfaren erklingen und immer kehren Motive ausgearbeitet wieder. Die Melancholie und Melodramatik des Werkes und der Geschichte verkleidet er in allen Facetten mit dem Orchester des Royal Opera Houses. Das Publikum lässt sich aufmerksam gebannt an die Wolga entführen und kehrt begeistert zurück.
Dr. Helmut Pitsch
28. Juni 2019 | Drucken
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