Johann Sebastian Bach Matthäus Passion Ouverture Spirituelle Salzburg
Currentzis inszeniert Bach auf höchstem musikalischem Niveau
Er zählt zu den umstrittensten Persönlichkeiten des Klassik Betriebs, nicht nur künstlerisch sondern seit Beginn des russischen Angriffkrieges gegen die Ukraine auch politisch. Der Grieche Teodor Currentzis studierte in St. Petersburg und startete seine steile Karriere als Leiter der Oper im russischen Perm, die auch internationale Beachtung fand. Mit seinem dort aufgebauten Orchester musicAeterna feierte er weltweit in Konzertsälen Erfolge. Durch seine anhaltenden Tätigkeiten in Russland und der Nähe zu Putin wurde er im Westen zu einer Persona non grata und seine Auftritte zur Seltenheit. Die Salzburger Festspiele hielten und halten an einer Zusammenarbeit fest, um ihren künstlerischen Anspruch Genüge zu tun. Und das Publikum ebenso, wie das rasch ausverkaufte Konzert zeigt.
Teodor Currentzis und sein kürzlich gegründetes Orchester Utopia eröffnen dieses Jahr die Ouverture Spirituelle, eine Konzertreihe, die den Festspielen vorgeschaltet ist.
Dieses Jahr unter dem Titel „Et exspecto“ - „Und ich erwarte“ Viel erwartet sich auch das Publikum von dem Griechen, den eine eigene Aura umgibt und sich selbst wie auch seine Konzerte ausgefallen inszeniert. Schlank und grossgewachsen, dunkel gekleidet mit weitem Hemd tritt er aufs Podium, wartet lange geduldig bis nachhaltige Stille herrscht bevor er mit der Matthäuspassion von Johann Sebastian Bach in feinem Piano beginnt.
Das grossdimensionierte sakrale Werk nimmt eine Sonderstellung in Bachs umfangreichen Oevre ein. Das Passionoratorium ist geprägt von einer Dramaturgie, die seinem tiefem Glauben entspringt. Die musikalische Intensität der Leidensgeschichte fasziniert bis heute. Eindringlich gestaltet Currentzis die Vorkommnisse wie ein Opernlibretto und verstärkt Emotionen der Partitur mit Soloauftritten von Musikern aus dem Orchester zu einzelnen Arien, reduziert immer wieder das Licht bis zu kompletter Dunkelheit zur Todesstunde Jesus, mystisch läutet die Todesglocke im Off, der Chor erklingt in gedimmten Piano.
Insgesamt ist seine Interpretation von einer feierlichen Ruhe und reduzierter Lautstärke geprägt. Nur selten ertönt ein Fortissimo, Transparenz, leicht schwingende Rhythmik und fein abgestimmte Harmonien durchziehen den Abend. Die Exaktheit im Orchester und besonders im überragenden Chor - Vitaly Polonsky Choreinstudierung - ist vorbildlich. Der Utopia Choir ist mit dem Salzburger Festspiele und Theater Kinderchor ergänzt, welches die stimmliche Farbigkeit noch verbreitert. Currentzis hält jedes Detail im Auge, singt Chorpassagen kontinuierlich mit, seine Hände, besser seine Finger senden unermüdlich Einsätze und Ansprüche an das Spiel.
Erlesen ist auch die Auswahl des Sängerensembles. Julian Prégardien ist ein Evangelist, der mit einer ausgeprägten Gestaltung und einem sehr lebendigen anschaulichen Erzählstil den Abend belebt. Er ist ein erfolgreicher Liedsänger und diese Leidenschaft fließt in seinem Gesang ein. Er fängt Stimmungen ein, Entrüstung und Leid sind erkennbar. Sein Tenor ist vielseitig, beweglich und leicht wie auch dramatisch. Zuviel Dramatik legt Florian Boesch in seine Darstellung des Jesus. Forsch und fordernd trifft er gegenüber seine Jünger auf, kennt wenig Milde und Güte. Dieses Rollenbild passt besser zur öffentlichen Anklage und gegenüber Pilatus. Timbre und Farbe bleiben einseitig. Andrey Nemzer übernimmt zwei Arien, für den Alt verfasst, als Countertenor. Die besondere natürliche Färbung der Kopfstimme mit leichter Melancholie passt bestens und findet seine Harmonie zu Musik und Text. Wiebke Lehmkuhl ist Altistin und es ist klanglich interessant diese stimmlichen Variationen zu erleben. Sie ist Spezialistin für Barockopern, aber Ihre Repertoire reicht bis in die Moderne. Die Sopranistin Dorothee Mields hat kurzfristig die Rolle von Regula Mühlemann übernommen. Charmant und sehr fein in der Führung ist ihre Stimme mit klarer sicherer Höhe. David Fischer präsentiert seinen schönen lyrischen Tenor mit gehaltvollen Tönen. Beeindruckend wandelbar ist der Bass von Matthias Winckhler. Der junge Deutsche erfreut mit vollen Tönen die er mühelos über ausgedehnte Melodien in allen Lagen führt.
Lange hält Currentzis nach dem letzten Ton die Spannung an, bevor er dem Jubel des Publikums zulässt. Er wird von seinen Anhängern lautstark gefeiert, allen Beteiligten wird vom Publikum mit viel Beifall gedankt, die Gestaltungskraft des Griechen angenommen. Ein fulminanter Start für die Festspiele in den diesjährigen Sommer, der wieder ein reichhaltiges Programm beinhaltet.
Dr. Helmut Pitsch
21. Juli 2024 | Drucken
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