Georg Friedrich Händel Agrippina Premiere am 23.7.2019 Prinzregententheater München Dunkelgekleidet, den schwarzen Hoody tief ins Gesicht gezogen schleicht eine jugendliche Gestalt zur Ouverture über die Bühne und umkreist dabei einen eckigen dreiteiligen metallenen Block, der sich in der Mitte Bühne dreht und sich auseinanderfalten kann. Immer wieder werden im Laufe das Abends daraus intelligent neue Spielplätze geschaffen und geöffnete Jalousien erschliessen weitere Räume. Es ist Nerone, der verwöhnte, verklemmte wenn nicht gestörte Sohn von Agrippina. Die Titelheldin ist Gattin von Kaiser Claudio. Sie hegt das Lebensziel, Ihren Sohn Nerone auf den Thron zu hieven, der zentrale Auslöser der zahlreichen Intrigen und Ränke dieses barocken Meisterwerkes von Georg Friedrich Händel. Eine barocke Soap Oper, ein Libretto eines Kardinals, das auch Drehbuch für Denver Clan sein könnte. 1709 in Venedig uraufgeführt sprüht dieses Werk von ausgefeilter Charakterzeichnung, versteckter Zeitkritik, subtiler Komik und inszenierter Spannung. Zwei starke Frauen, Agrippina und Poppea stehen sich gegenüber. Die kaltblütige ehrgeizige Mutter und das junge Mädchen, welches von den männlichen Hauptpersonen Kaiser Claudio, Nerone und Ottone, dem heldenhaften Lebensretter des Kaisers verehrt oder geliebt wird.
Barrie Kosky, Intendant der komischen Oper Berlin führt Regie und versetzt den antiken Stoff gekonnt in die Gegenwart. Er versteht es, die umfangreiche Handlung flüssig und kurzweilig zu erzählen. Ideenreich und üppig ist seine Personenführung. Immer wieder füttern humorvolle Einfälle insbesondere in der Zeichnung der Personen die ernste Handlung ohne in Klamauk zu verfallen und halten die Spannung und Stimmung. Rebecca Ringst schuf den sperrigen beweglichen Bühnenaufbau, der sich unaufhörlich unaufdringlich im Hintergrund bewegt und so viel Raum für die pausenlose Erzählweise schafft. Klaus Bruns schafft mit seinen kräftig farbigen eleganten Kleidern für die rivalisierenden Frauen echte Hingucker und untermauert die Rollenzeichnung. Nerone darf mitunter im grosskarierten Anzug milde Gaben im Publikum verteilen oder im goldbesetzten Anzug final die Krone entgegen nehmen. Ivor Bolton, der in München bestens bekannte und verehrte Experte für barocke Musik, kehrt für diese Neuinszenierung im Prinzregententheater an die Isar zurück. Er entzaubert der Partitur feinsten barocken Klang und wählt schwungvolle Tempi ohne zu hetzen. Das Staatsorchester zeigt sich mit der barocken Musik gut vertraut und findet in dem kammermusikalischen Klang im Zusammenspiel mit Basso Continuo und Cembali einen klaren Ausdruck. Leicht schwebend thront Ivor Bolton am Pult und muntert so zu einem eben solchem Spiel auf. Glockengleich schwingen die Töne, frisch und frech kommen die Melodien und füllen den Raum. Achtsam webt er die Stimmen ein und gibt klare Einsätze. Ein ausgezeichnetes Sängerensemble agiert mit Raffinesse und Spielfreude.
Alice Coote wirkt aufs erste nicht als Barockstimme mit der Wucht und Dunkelheit, den ihr Mezzo verstreuen kann, aber gerade das passt zu den dunklen hinterhältigen Intrigen einer Agrippina, die Ergebenheit gegenüber dem Gatten und Trauer vorspiegelt genauso wie sie falsche Freundschaften belebt. Der Countertenor Franco Fagioli gibt seinem Nerone betörende Klänge bis in höchste Höhen kraftvoll und vollmundig und gestaltet so die Schizophrenie des Charakters überzeugend. Elsa Benoît mimt die unschuldige in den Wirren des Hofes unsichere Poppea, die schnell lernt und zu einer ebenbürtigen Streiterin gegenüber Agrippina wird. Herzerfrischend übt sie ihre Rache aus, wenn sie ihre drei Verehrer in ihr Heim lockt. Unentwegt verführt sie mit ihrem mädchenhaften Aussehen und ihrer koloraturensicheren Stimme die Herren und schickt sie wohlausgedacht in ihr Versteck, dem diese immer wieder entschlüpfen. Rasch folgen die Szenen aufeinander und so wird hektisch über den Sofaramd gesprungen, Kleider eingesammelt und ein letzter Achtungskuss erheischt. Im knallgelben Rüschenkleid mit Schleppe ist sie in der Schlusszene gut gezeichnet und nicht zu übersehen. Iestyn Davies besticht mit seinem Counter Alto als der ehrliche einfach gestrickte Ottone, der nichts anderes begehrt als seine geliebte Poppea und in dem Schlangenteich des Palastes unterzugehen droht. Gianluca Buratto bringt mit seinem Bass ein kräftiges männliches Gegengewicht zu den Frauenstimmen und Countern als Kaiser Claudio, der wenig vom Regieren hält und eher seinen Trieben freien Lauf lässt. So vergehen die vier Stunden mit intensiven höchstem Hörgenuss und unterhaltsamer Aufbereitung. Das Publikum ist begeistert.
Dr. Helmut Pitsch
01. August 2019 | Drucken
Kommentare