Carl Maria von Weber Der Freischütz Bregenzer Festspiele 29.7.2024
Der Freischütz auf dem See - Ideenreiches top unterhaltsames Spektakel mit einem Schuss Weber
Schon die Szenerie vor Beginn ist atemberaubend. Ein heruntergekommenes ärmliches Dorf liegt verträumt in einer Winterlandschaft. Ein Kirchturm ragt aus einem, zum Teil, gefrorenen See, Krähen und Windgeräusche lassen den Betrachter erschauern. Philipp Stölzls Inszenierung der deutschen Volksoper der Romantik Der Freischütz von Carl Maria von Weber strotzt nur so vor Ideen, die er harmonisch sehr gut ausbalanciert in einen spektakulären Opernabend verwandelt, sofern noch etwas von der Oper übrig ist. Dramarturgisch ist der Abend mehr zum Schauspiel mit Musik geworden. Die Rolle des Samiel wird zum omnipräsenten Satan, der durch den Abend wie ein Moderator führt - akrobatisch herumschleichend - und auch selber aktiv im roten Teufelskostüm mit Widderhörnern und Wuschelschwanz mitspielt. Es beginnt triste mit einem Begräbnis. Agathe wird mit Totengeläut zu Grabe getragen, das Volk verdammt Max als Mörder, der gleich gehängt wird. Hat die Freikugel doch Agathe getötet?
So stehts nicht im Libretto der Oper. Schon schreitet Samiel ein und dreht die Uhr zurück und in einer Retrospektive wird die Opernhandlung um die Liebe von Agathe, des Försters Tochter, und dem Stadtschreiber Max klug erzählt. Um die Hand Agathes als auch die Stelle ihre Vaters zu beerben, muss er siegreich seine Treffsicherheit als Schütze beweisen. Für den Ungeübten ein schier unerreichbares Ziel. So lässt er sich von Kaspar, des Satans Handlanger, zu den verzauberten Freikugeln verführen und es gibt ein glückliches Ende. Dazwischen fällt Stölzl hier einiges dazu ein und reichert die Geschichte mit Dialogen an. So wird Agathe zur Schwangeren, die um ihre Ehre zittern muß, Ännchen zur unvermeidlichen Lesbe, um aktuellen Medientrends Genüge zu tun, Ottokar zum Märchenkönig Ludwig im Schlitten und noch einiges mehr. Ein echter Coup ist die Ausführung von zwei Finali. Nach der tristen Begräbnis- und Hinrichtungsszene dreht Teufelchen nochmals an der Uhr und es gibt in der Wiederholung ein glückliches Finale mit dem rettenden Eremiten, hier als Sonnengott mit Strahlenglanz und Sternenmantel, der Agathe und ihre LIebe rettet.
Das Sängerensemble bestreitet tapfer die nasse fordernde Personenregie. Niklas Wetzel verkörpert gelungen die mystische Sprechrolle des Samiel. Er amüsiert sich teuflisch an seinem ausgeheckten Plan und leitet ,wie ein Magier die handelnden Personen. Omnipräsent schwirtt er auf der großen Bühne herum, mal tönt er von der Spitze des Kirchtums, dann wieder im kahlen Baum. Rolf Romei ist der unbeholfene naive Stadtschreiber Max. Etwas hölzern und mit kleiner Tenorstimme mit leichtem Vibrato kann er wenig überzeugen. Mandy Fredrich ist eine spielfreudige Agathe mit kräftigem Sopran, die auch gut mit der Übertragungstechnik zurechtkommt. Hanna Herfurtner gestaltet mit ihrem farblich dunkleren Sopran ein gut nuanciertes Ännchen, dem sie auch spielerisch einen starken Ausdruck verleiht. Johannes Kammler liefert einen würdigen Ottokar in bläulich glitzernder Uniform mit üppigem Umhang. Franz Hawlata ist ein kauziger Kuno. David Steffens gießt als Kaspar überzeugend die Freikugeln und dringt Hilfe säuselnd geschickt in Max ein. Killian wird durch Philippe Spiegel zum munteren Gesellen und Dorfunterhalter. Kurz aber schillernd ist der Auftritt von Frederic Jost als Eremit.
Erina Yashima führt umsichtig die Wiener Symphoniker - aus dem Festspielhaus auf die Seebühne übertragen. Technisch klappt das Zusammenspiel mit der Seebühne perfekt. Der Bregenzer Festspielchor und der Prager Philharmonischer Chor singen ebenso gut vorbereitet und als Dorfgemeinschaft aktiv am Spiel beteiligt.
Großer Beifall am Ende eines unvergesslichen eindrucksvollen Opernabends, der mit wesentlichen Schauspieleinlagen, Stunts und Artisten zu einem gelungen unterhaltsamen Spektakel mit Horrorattitüde geworden ist.
Dr. Helmut Pitsch
01. August 2024 | Drucken
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