Der Nussknacker - Bayerisches Staatsballett als bezaubernder Märchenerzähler

Xl_img_1401 © Winfried Hösl
Viel Erfolg war dem Ballett "Der Nussknacker" von Peter Iljitsch Tschaikowsky bei seiner Uraufführung 1982 nicht beschieden. Im Gegenteil, die Kritiker urteilten harsch gegenüber diesem dritten und letzten abendfüllenden Ballett des russischen Komponisten. Die Handlung basiert auf einer Novelle E.T. A. Hoffmanns aus dem bürgerlichen Biedermeier über das Mädchen Marie, das sich in sein Weihnachtsgeschenk, einen Nussknacker verliebt, welches sie von ihrem Patenonkel Drosselmeier bekommt. Um Mitternacht wird das Geschenk lebendig und die beiden bestreiten gemeinsam märchenhafte Abenteuer. Für das Ballett wird der geträumte Part der Novelle mit vielen Begegnungen ausgekleidet und der Patenonkel zum Ballettmeister, der in Marie die Begeisterung für das Tanzen weckt. Rasant und abwechslungsreich ist der Handlungsablauf, die kindliche Hauptfigur wird zu einem Sympathieträger insbesondere für junge Zuschauer. So ist es nicht verwunderlich, dass das Ballett seinen Siegeszug angetreten hat und heute wohl das berühmteste und auf alle Fälle das meistgespielte Ballett geworden ist. Russische Emigranten haben es nach Amerika gebracht, wo es besonders zur Weihnachtszeit wohl keine Ballettkompagnie gibt, die auf diesen Publikumsmagneten verzichtet. Auch in München sind alle Vorstellungen ausverkauft und vor den Pforten werden emsig Karten gesucht. 1971 schuf John Neumeier als damaliger Ballettchef in Frankfurt seine mittlerweile legendäre Choreografie des Nussknackers, welche 1973 in München seine Erstaufführung fand und nunmehr über 150 mal gezeigt wurde. An Glanz und Eleganz, Schwung und tänzerischer Ausdruckskraft hat diese mitreissende Interpretation über die Jahre kaum eingebüßt. Umrahmt von realistischen klassischen Bühnenbildern und Kostümen, gestaltet von Jürgen Rose, versetzt er die Handlung in den eleganten dunklen Salon des Konsul Stahlbaum im ersten Teil. In der Traumwelt tauchen die Betrachter zuerst in den sonnendurchfluteten Ballettsaal des Ballettmeisters Drosselmeier und beobachten die Eleven bei ihren Proben, um dann im anschliessenden Part die grosse Aufführung im prachtvollen Zeremoniensaal eines barocken Schlosses zu erleben. Allesamt ein Hingucker, um auf die Reise genommen zu werden. Tänzerisch ausgefeilt ist die Choreographie mit zahlreichen Nummern aus Soli, Pax de deux, Pas de quatre und grossem Ensemble. Musikalisch, ganz der Romantik verschrieben gestaltet die Komposition eine kleine Reise um die Welt mit italienischen, arabischen und auch chinesischen Motiven. Im Mittelpunkt stehen Marie, die Tochter des Konsul Stahlbaum, anmutig und in jugendlicher Frische und Ausdruck getanzt von Nancy Osbaldeston. Mit einem ständigen Lächeln und grossen Augen, mädchenhafter Figur kauft man ihr die verträumte Zwölfjährige ab. Der Kubaner Osiel Gouneo wurde bereits zum Tänzer des Jahres von der Fachpresse aufgrund seiner Sprungkraft und Technik gekürt. Der erste Solist des bayerischen Staatsballettes konnte an diesem Abend nicht immer überzeugen. Manche Pas de deux insbesondere in den Hebefiguren mit Laurretta Summerscales als Louise wirkten unkonzentriert und seine Sprünge erreichten nicht immer Leichtigkeit und Kraft. In der richtigen Mischung aus Arroganz und Unnahbarkeit, gepaart mit einnehmender Eleganz versetzt Alexey Popov Marie und das Publikum in Begeisterung. Herrschaftlich lässt er seine lange schlanke Gestalt über die Bühne gleiten, Bedacht und Liebe drückt er im Umgang mit Marie aus, professionelle Kühle im Tanz mit seinen Eleven. Eine Vielfalt an kleinen Gesten, Figuren und tänzerischen Abläufen zaubert John Neumeier auf die Bühne, die von den jungen Tänzern mit Anmut und Freude umgesetzt werden, und so ihr Talent zeigen. Diese künstlerisch anspruchsvolle, ästhetische und schwungvolle Gestaltung trägt kein Ablaufdatum. Der begeisterte Applaus und die ungeteilte Aufmerksamkeit der zahlreichen jungen Zuschauer bestätigt dies. Dr. Helmut Pitsch Copyright Winfried Hösl | Drucken

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