Der Rosenkavalier Wiener Glanz und Schmäh in gezügelter Opulenz in Berlin

Xl_img_1649 © Rutz Waltz

Freitag 9. Februar 1917, der Besetzungszettel einer Benefizveranstaltung im kriegsgebeutelten Wien zugunsten des k. und k. Kriegswitwen- und Waisenfonds erwartet die Zuschauer bei Betreten des grossen Saales der ehrwürdigen Berliner Staatsoper unter den Linden, gross auf eine Leinwand projeziert. Die Ankündigung dieser Benefizveranstaltung des 1911 erfolgreich uraufgeführten Rosenkavaliers von Richard Strauss listet viele bedeutende Künstler, prägend für diese Periode des Fin du siecle, der grossen sozialen und politischen Veränderungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Viel soziale und gesellschaftspolitische Auseinandersetzung und Sprengstoff birgt auch das brilliante Libretto von Hugo von Hoffmansthal in seiner Auseinandersetzung um die Liebe, die Institution der Ehe und des Klassenunterschieds des aufstrebenden Bürgertums gegenüber der Arroganz und Borniertheit des Adels.

Richard Strauss vertonte die Komödie als weitere bedeutende Literaturoper nach den dramatischen Epen Salome ( nach Oscar Wilde) und Elektra (als erstes Werk nach einem Libretto von Hugo von Hoffmansthal). Aus verschiedenen Vorlagen zimmerte der österreichische Dichter die Handlung um den wilden aufgeblasenen Baron Ochs von Lerchenau und seinen Liebeleien, der durch eine Intrige seines jungen Cousins Octavian entlarvt wird und so seine aus Geldnot motivierte arrangierte Verlobung mit der reichen Bürgerstochter Sophie von Faninal auflösen muss. Octavian, ebenfalls nicht unbescholten im Umgang mit reifen edlen Frauen und Liebhaber der Fürstin Werdenberg (der Feldmarschallin) findet in Sophie seine wahre Liebe.

Der gefeierte Wiener Multimedia Künstler André Heller hat in seiner langjährigen Karriere mit vielen Projekten und Kunststücken auf sich aufmerksam gemacht. Als Sänger Wiener Chansons, als Performance Künstler, als Zirkusdirektor, als Gartenarchitekt und vieles anderes. Ästethik, Sinn für das Schöne und grosse Gefühle stellen eine Grundkomponente seiner Inszenierungen dar. Dem Genre Oper widmet er nun in Berlin in der Neuinszenierung dieser Urwiener Komödie sein erstes Werk. Diese fiktive Benefizveranstaltung 1917 unter Mitwirkung von Gustav Klimt, Kolo Moser unter Patronat der Durchlaucht Fürstin Thurn und Taxis ist Aufhänger für Andre Heller, die Handlung in den Beginn des 20. Jahrhunderts, also in die Entstehungszeit des Werkes selbst zu verlegen. So entspricht auch vieles der Handlung den sozialen und gesellschaftspolitischen Problemen des untergehenden Absolutismus und der Hegemonie des Adels. Auch die aufkeimende Emanzipation und beanspruchte Selbstständigkeit der Frau entspricht dem Text. Die europäische Begeisterung für den Japanismus spiegelt sich im Bühnenbild des ersten Aktes. Die österreichische Künstlerin Xenia Hausner versetzt das fürstliche Schlafzimmer in einen dezenten changierenden Farbenrausch. Grosse Naturmotive als Wandtapeten, ein Paravant mit japanischen Motiven und eine klare einfache Linie des Mobiliars entsprechen dem Zeitgenuss. Zur besseren Perspektive auf die Bühne hat sie die Seitenwände entlang des Orchestergrabens bis in den Zuschauerraum mit marineblauen Wänden und kleinen ovalen Fensteröffnungen miteinbezogen. Liebevoll verspielt lässt Andre Heller die beiden Liebenden ihr Geheimnis ausleben. Mohammed ist bereits erwachsen im weissen Anzug und ein Tischlein deck dich kommt mit Lift aus dem Untergrund. Der Baron von Lerchenau schneit im weissen Leinenanzug in die Idylle. Im zweiten Akt wird das Palais des aufstrebenden Unternehmers und vom Kaiser geadelten Herrn von Faninal zum Jugendstil Kulttempel. Das berühmte Beethoven Fries der Wiener Secession wird im Hintergrund an die Wand projeziert. Eine elegante Gesellschaft, üppig von Arthur Arbesser in phantasie- und sehr geschmackvollen Jugendstil Kleidern gesteckt, hat sich eingefunden. Der Meister Gustav Klimt hat auch kurz seinen Auftritt, einer Vernissage seines Kunstwerkes nachempfunden. In die bunte elegante Gesellschaft mischt sich Octavian in klassischer Rokokorobe mit seiner silbernen Rose und der polternde Baron von Lerchenau samt Lakaien in Tracht. Turbulent gestaltet Heller diesen Akt, wird aber in der Personenführung bei der grossen Anzahl der Anwesenden holprig und unschlüssig sowie statisch. Die Intimität des ersten Liebeserkenntnis von Octavian und Sophie geht unter. Im dritten Akt lädt der Baron in ein luxuriöses Palmenhaus mit arabischem Zelt für die erhoffte Liebesnacht. Arabisch ist das Mobiliar mitsamt grossen Polstern zum Liegen und Entspannen. Ein Übermaß an stimmungsvollen Laternen behindert die Massenszenen. Nahezu konzertant wird das Ende, bewusst um der Schönheit der Musik im Schlußbild gebührend Raum zu lassen. Wiederum bezaubern die eleganten Roben der Feldmarschallin und von Sophie.

In Summe mutet die Inszenierung schlicht und aufgeräumt an, pompöse Reizüberflutung, die oft genug erwartet wurde, fehlt. Es besteht eine ausgewogene Balance zwischen der Schönheit der Ausstattung und der Musik. Musikalisch inszeniert Zubin Mehta am Pult der Staatskapelle. Nach schwerer Krankheit ist er zurück und zieht gemächlich seine Bahn durch die Musiker. Mit viel Applaus wird er begrüßt und zackig juckt er die ersten schwungvollen Töne der Partitur heraus. Er baut grossen Orchesterklang auf ohne die Lautstärke zu übersteuern, forciert eine Zusammenballung der Instrumentenstimmen und verzichtet auf Transparenz. Mit Augenmaß setzt er die Tempi, akzentuiert schleift er die Walzerklänge zu einer echten Wiener Milieustudie. So trifft die klare Linie der Bühne auf getrimmte Opulenz im Orchestergraben. Die Sänger können reichlich Raum für ihre Gestaltung nutzen. Das tut Günther Groissböck nahe am Überfluss. Sein Ochs wird zur Hauptfigur, die Komödie umspielt ihn charmant, obwohl er am meisten mit seiner Aufdringlichkeit agiert. Als Österreicher liegt ihm der Wienerische Dialekt ohne aufgesetzt zu wirken und seine Bassstimme ist in Höchstform. Blond auftoupiert wirkt Camilla Nylund als eine lebenslustige sehr menschliche Fürstin, ihr Zeitmonolog scheint sie nicht übermäßig zu berühren wie auch der Verlust des jungen Liebhabers. Stimmlich sicher und rein in der Höhe vermisst man Schmelz und Gefühl in ihrer Lebensphilosophie. Berühren kann Michèle Losier, die Octavian überzeugend pubertierend burschenhaft und jugendlich stürmisch spielt. Ihr feiner Mezzo sprüht farbenreich Stimmungen, klettert sicher und fest intoniert in die Höhen und witzelt in breitem Wienerisch. Adeligen Glanz verleiht Nadine Sierra der wohlerzogenen ehrgeizigen Bürgerstochter Sophie, die ebenso ungestüm, kokett wie innig liebend in den höchsten Tönen wohlklingend zu Hause ist. Ihr Vater - Ensemblemitglied Roman Trekel als der finanzstarke Aufsteiger Faninal - spaziert auffällig im goldenen Anzug herum. Stimmlich setzt er wenig Akzente. Die zahlreichen kleineren Rollen sind durchgehend gut besetzt. Atalla Ayan als Sänger ist im roten Samtfrack mit grauer Wuschelmähne ein Hingucker, Glanz und tenorale Strahlkraft fehlen. Viel Beifall und Anerkennung am Ende durch das Piblikum. Gab es bei der Premiere noch nicht nachvollziehbare Buhs fürdie Inszenierung. Andre Heller und sein Team haben hier eine schlüssige textgetreue Inszenierung ohne Provokation in schönen Bildern gestaltet, die zeitlos lange in den Spielplan aufgenommen werden kann.

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