Dido tot und trotzdem Happy End! – Beeindruckende Graupner-Oper in Innsbruck

Xl_e3b5dee3-7939-4791-9313-50b18aa1aaec © Birgit Gufler

Christoph Graupner Dido Alte Musik Innsbruck 27.8.2024

Dido tot und trotzdem Happy End! – Beeindruckende Graupner-Oper in Innsbruck

Zum Festspiel-Ausklang bringen die Innsbrucker Festwochen der Alten Musik eine besondere Rarität des deutschen Hochbarock auf die Bühne des Tiroler Landestheaters: Christoph Graupners Oper Dido, Königin von Carthago. Es ist die erste szenische Aufführung dieses Werkes seit etwa 300 Jahren.

Den Namen des Komponisten Christoph Graupner (1683–1760) wird man heute – wenn man ihn denn überhaupt kennt – wohl v.a. mit Darmstadt und vielen, sehr vielen Kirchenkantaten in Verbindung bringen: Über 1.400 Stück in 45 Jahrgängen komponierte er während seiner langen Dienstzeit als Hofkapellmeister in der südhessischen Residenzstadt. Doch bevor Graupner 1709 nach Darmstadt ging, wirkte er drei Jahre lang als Cembalist an der legendären Oper am Hamburger Gänsemarkt, dem ersten bürgerlich-städtischen Opernhaus Deutschlands. Hier hatten vor ihm bereits Georg Friedrich Händel und Johann Mattheson mit musikdramatischen Werken reüssiert. Und hier sammelte Graupner, der mit dem Medium „Oper“ bereits aus seiner Leipziger Schul- und Studienzeit vertraut war, viel praktische und kompositorische Erfahrung. 1707, mit 24 Jahren, wagte er sich schließlich an die musikliebende Hamburger Öffentlichkeit: Dido, Königin von Carthago ist seine erste Oper.

Und es ist ein Opernerstling, der es in sich hat! Dieses dreiaktige „Singe-Spiel“ – so der Originaltitel, eine Eindeutschung des Begriffs „Oper“ – beinhaltet nicht weniger als 122 musikalische Nummern, verteilt auf 15 Protagonisten. Graupner zieht darin alle musikdramatischen Register seiner Zeit: Arien in verschiedensten Formen und Besetzungen und erstaunlich viele Duette und Ensemble-Sätze werden durch teils ausufernd lange Secco- Rezitative miteinander verbunden, aufgelockert durch eine Fülle emotional packender Accompagnato-Rezitative. Ständig wechseln die Schauplätze. Die barocke Bühnenmaschinerie wird intensiv genutzt. Ein barockes Medienspektakel, charakteristisch für die Hamburger Oper, das – ungekürzt – wohl an die vier Stunden dauern würde! Typisch für die Gänsemarktoper ist zudem der eigentümliche Sprachmix: Das Libretto ist grundsätzlich auf Deutsch, aber etliche Arien auf Italienisch.

Dabei ist die eigentliche Handlung, angelehnt an Vergils Aeneis, schnell erzählt: Aeneas hat es auf seiner Flucht aus dem untergehenden Troja aufgrund von Unwettern nach Karthago verschlagen. (Eigentlich ist er auf dem Weg nach Italien, um dort auf Geheiß der Götter die Stadt Rom zu gründen.) In Karthago verliebt sich die verwitwete Königin Dido Hals über Kopf in den Neuankömmling. Doch die Götter befehlen Aeneas, nach Italien weiterzuziehen, und so verlässt er Dido, die sich daraufhin das Leben nimmt. Dieser überschaubare Plot, der bis 1707 bereits mehrfach als Opernstoff gedient hatte – man denke etwa an die geniale Version von Henry Purcell –, wurde von Graupners Textdichter Heinrich Hinsch um zahlreiche, fiktive Nebenpersonen sowie um Liebes- und Machtintrigen erweitert. Auch endet Graupners Dido, anders als bei Purcell, mit einem – etwas erzwungenen – lieto fine: Didos Schwester Anna übernimmt die Herrschaft über Karthago und alle Konflikte werden demonstrativ beigelegt.

Für ihre Inszenierung ließ sich die Regisseurin Deda Christina Colonna von der barocken Theaterästhetik inspirieren. Die Bühne wird durch verschiebbare, Stellwand-artige Kulissen gegliedert. Das Bühnenbild (Domenico Franchi) ist äußerst reduziert und erscheint klassisch- zeitlos: Neben einem Bett und einem Altar gibt es da nicht viel. Der Hafen wird durch ein großes, stilisiertes Segel angedeutet. Möglicherweise wäre ein etwas abwechslungsreicheres Bühnenbild bei der Darstellung der verschiedenen Schauplätze hilfreich gewesen. Schwebende Götter werden, ganz nach barockem Vorbild, aus dem Schnürboden herabgelassen. Ein gelungener Gag: Dido kommt zu Beginn des dritten Aktes – wie im Libretto gefordert – auf einem riesigen Elefanten dahergeritten. Sein Tröten sorgt für einiges Gelächter im Publikum, nutzt sich aber als klanglicher Effekt durch übermäßigen Einsatz bald ab. Die Kostüme (ebenfalls Domenico Franchi) sind an antike Gewänder angelehnt und prächtig gestaltet. Gold ist insgesamt die dominierende Farbe auf der Bühne. In diesem schön anzusehenden Setting agieren die Sängerinnen und Sänger mit stilisiertem Spiel. Offenbar stand das barocke Gesten-Repertoire Pate für die Bewegungen. Allerdings ist im Verhältnis dazu die übrige Personenführung zu locker, zu modern. Es entsteht eine unausgewogene Melange aus historisierenden und modernen Regie-Elementen – eine pseudo-museale Inszenierung. Und so verpufft die Wirkung der vielen – obgleich barock-typischen – übertriebenen und affektierten Gesten leider schnell. Dass in manchen Rezitativen jedes kleinste Stichwort eine Geste evoziert, erweckt beinahe der Eindruck von Gebärdensprache. Alles wirkt bald unfreiwillig komisch.

Der Umfang der Dido-Partitur bewog den Dirigenten Andrea Marcon und die Regisseurin Deda Christina Colonna, bei ihrer Innsbrucker Version dieser Oper den Rotstift zu zücken. Viele Arien und sogar eine komplette Rolle wurden gestrichen und die Secco-Rezitative großzügig gekürzt, um – wie es in dem übrigens sehr informativ gestalteten Programmheft heißt – das Stück „den Gewohnheiten, Bedürfnissen, der Ausdauer und der Aufmerksamkeitsspanne des modernen Publikums“ anzupassen. Ein schwieriger Balanceakt zwischen Purismus und Publikumsgeschmack. Zwar ist es angesichts von Graupners wunderbarer Musik schade um jede gestrichene Arie, und man könnte sich durchaus eine Gesamtaufführung der Oper vorstellen – dann aber bitte mit der originalen Gliederung in drei Akte und mit zwei Pausen! Andererseits ist das Libretto mit seinen ausgedehnten Monologen nach heutigen Maßstäben eher schwach und handlungsarm und die Striche sind insofern nachvollziehbar. Im Großen und Ganzen wurde auch sehr behutsam und ohne inhaltliche Abstriche gekürzt. Lediglich die Zerstückelung der Rezitative und das resultierende inkonsequente Reimschema überzeugen nicht immer.

Der Herausforderung, dieses unbekannte Werk neu zu studieren und zum Leben zu erwecken, stellt sich der international besetzte Gesangs-Cast mit viel Engagement. In der Titelrolle glänzt die US-amerikanische Sopranistin Robin Johannsen. Ihre Stimme klingt sehr klar und besitzt genau das richtige Maß an leichtem Vibrato. Die oft sehr hoch liegende Partie der Dido gestaltet sie stimmlich mühelos und auch schauspielerisch höchst überzeugend. Wenn sie etwa am Anfang des dritten Aktes merkt, dass Aeneas nicht nur für eine Schau-Seeschlacht aufs Schiff steigt, sondern tatsächlich aufs Meer hinaus- und davonsegelt, lässt sie das Publikum an diesem Erkenntnisprozess teilhaben. All das gipfelt dann in der mitreißend vorgetragenen Zornes-Arie Suonate, o timpani, deren anspruchsvolle Koloraturen sie trotz wahnwitzigen Spiels akkurat meistert. Dass sie auch intime und lyrische Momente eindrucksvoll zu interpretieren weiß, beweist sie in ihrer Todes-Arie Komm doch, komm, gewünschter Tod! Mit dieser traurigen Arie – in der abwegigen Tonart As-Dur stehend – verabschiedet sie sich vom Leben, begleitet von weichen Streicherklängen und einem einfühlsamen Violinsolo (Konzertmeisterin: Eva Saladin). Die Rollen von Didos Schwester Anna sowie der Göttin Venus übernimmt die katalanische Sopranistin Alicia Amo. Als heiter angelegter Charakter bildet Anna einen deutlichen Gegenpart zur eher melancholischen Dido. Leider ist Amos Stimme etwas zu sehr vom Vibrato dominiert, was sich in den Koloratur- Passagen negativ auswirkt. Am besten klingt ihr Sopran, wenn sie bewusst auf das Vibrato verzichtet, etwa in langen Messa-di-voce-Abschnitten in der Arie Süßeste Freiheit. Auch sprachlich überzeugt sie leider nicht: Um sie zu verstehen, ist man auf die Übertitel angewiesen – ein Problem, mit dem sie an diesem Abend nicht alleine auf der Bühne steht. Auch die Aussprache ihrer Kollegin Jone Martínez in der Doppelrolle der ägyptischen Prinzessin Menalippe sowie der Göttin Juno ist nur schwer verständlich. Dafür besticht aber ihr jugendlich-heller, schlanker Sopranklang umso mehr, beispielsweise in der fabelhaft instrumentierten Arie Holdestes Lispeln der spielenden Fluten.

Anders als die meisten italienischen Opern dieser Zeit kommt Dido ganz ohne Kastratenpartien aus. Die männliche Hauptrolle des Aeneas übernimmt der Australier Jacob Lawrence. Sein Tenor klingt klar und natürlich – beispielsweise in der Rondo-artigen Arie Nichts ist, was dieses, mein Herze, bewegt – und passt perfekt in die barocke Stilistik. Obendrein versteht man bei ihm jedes Wort des komplizierten Textes, leider im Gegensatz zu seinem Begleiter Jorge Franco in der Rolle des Achates, der mit deutlichem Akzent artikuliert. Dafür verfügt Franco über einen ebenso angenehm weichen wie durchsetzungsstarken Tenor. Beide Tenöre verschmelzen eindrucksvoll in den Duetten Auf, auf! Zur Flucht, auf, auf! und Lebe, Dido, lebe wohl! mit perfekt einrastenden Koloraturen.

Schmachtende Liebhaber hat Graupner mit Bassbaritonen besetzt. In der Rolle des numidischen Königs Hiarbas, der in Dido verliebt ist, brilliert Andreas Wolf. Sein Bariton klingt weich, warm und vibratoarm. Bei ihm ist jedes Wort klar verständlich und sein Schauspiel vollends überzeugend. Wenn er etwa bereit ist, sich für Dido sogar zu opfern – eindrucksvoll ausgedrückt in der Arie Io non bramo altro ristoro –, zweifelt man daran im Publikum keinen Moment. Auch José Antonio López als Prinz von Tyros, der in Anna verliebt ist, überzeugt in seiner Rolle. Sein Bariton klingt gereifter und trotz stärkeren Vibratos sehr angenehm. Etwas zu hart und insofern nicht immer ganz zum jeweiligen Affekt passend sind seine Konsonanten in der Aussprache, etwa in der Arie Mein Herz entweicht.

Die Partitur enthält erstaunlich viele Chor-Nummern, in denen die Protagonisten zusammenkommen. Unterstützt werden sie dabei vom Tiroler Vokalensemble NovoCanto, dessen Mitglieder sich auch als Statisten in die Inszenierung einfügen. Im Orchestergraben sitzt das Basler La Cetra Barockorchester, das unter seinem Leiter Andrea Marcon wirklich hervorragende Arbeit leistet. All die verschiedenen Orchesterfarben aus Graupners Palette werden hier eindrucksvoll zum Klingen gebracht. Besondere Highlights: Die Arien Holde Nahrung reger Herzen – besetzt mit Violen und Blockflöten – und Holdestes Lispeln der spielenden Fluten mit den lispelnd-trillernden Violinen.

Fazit: Eine gelungene Rückkehr dieses faszinierenden Werkes auf die Opernbühne. Vielleicht gar der Auftakt einer Wiederentdeckung weiterer Graupner-Opern, die – wie der Rest seines Œuvres – noch der Erschließung harren? Oder auch der Beginn einer ganzen Wiederbelebungs-Reihe von Gänsemarkt-Opern? Der Abend im ausverkauften Tiroler Landestheater zeigt, dass diese Werke durchaus das Potenzial haben, das Publikum zu fesseln. Sicher gibt es hier noch weitere Schätze zu heben.

Stefan Fuchs

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