Die bohrende Kraft des Schicksal Oedipes in Salzburg

Xl_oedipe-2019-c-sf-monika-rittershaus-33 © Monika Rittershaus

Der rumänische Komponist George Enescu erlebt in den letzten Jahren eine Wiederbelebung. Die schillernde Musikerpersönlichkeit ist vielen als zu Lebzeiten gefeierter Geiger und Dirigent sowie Lehrer von Yehudi Menuhin bekannt. Seine Kompositionen gerieten im Westen in Vergessenheit. In seiner Heimat findet im September ein nach ihm benanntes internationales Musikfestival statt, das immer mehr Beachtung auf sich zieht. 1881 geboren, bekam er bereits mit fünf Jahren Geigenunterricht und kam mit sieben Jahren nach Wien und später nach Paris, wo er unteranderem bei Jules Massenet und Gabriel Faure studierte. Seine ausgedehnte Tätigkeit als Violinvirtuose und Lehrer ließ ihm wenig Zeit zum Komponieren. 1955 verstarb der Komponist in Paris, verbrachte aber einen großen Teil seines Lebens in seiner Heimat, wo er insbesondere einen engen Kontakt zum Königshaus, den Hohenzollern, pflegte.

Seine - vornehmlich – Orchester- und Kammermusikwerke wie u. a. die beiden rumänischen Rhapsodien werden immer wieder gespielt. Seine einzige Oper Oedipe nach der griechischen Mythologie - Vorlage findet während der diesjährigen Festspiele in Salzburg eine Wiederbelebung. Sein Kompositionsstil ist schwer einzuordnen. Es finden sich Anklänge vieler Zeitgenossen wie die monumentale Romantik eines Richard Wagners, die Expressivität eines Richard Strauss. Auch die Volksmusik seiner Heimat und die Chromatik der Orgelmusik haben in seinem individuellen Stil ihren Niederschlag gefunden.

Das französische Libretto des Oedipe stammt von Edmond Fleg und orientiert sich an der griechischen Tragödie von Sophokles. Inhaltlich wird das gesamte Leben des tragischen Helden aufbereitet. Beginnend mit der vom Gott Apollon verbotenen Zeugung durch Laios und den Prophezeiungen des blinden Sehers Tiresias folgt der Zuseher seinen schicksalshaften Begegnungen mit dem Orakel in Delphi, seiner Flucht vor den vermeintlichen Eltern Merope und Polybos, der Tötung seines Vaters Laios, sowie seinem Triumph über die Sphinx und der Rettung Thebens.  Raumgreifend werden in der Oper seine letzten Stunden erzählt. Angesichts der Pest in Theben erkennt Oedipe die Erfüllung der Prophezeiungen. Die Heirat mit seiner Mutter Iocaste und die inzeste Zeugung seiner Kinder. Überwältigt von seinen Schreckenstaten sticht er sich die Augen aus und wird aus Theben vertrieben. Seine Tochter Antigone teilt sein Schicksal und führt den Irrenden. Erlöst stirbt er vor den Toren Athens. 

Mystisch gefühlvoll nähert sich der Regisseur Achim Freyer der antiken Erzählung. Ausdruckstark und bunt gestaltet er die aufwendigen Kostüme und führt so den Betrachter in eine Märchenwelt. Zu Beginn wälzt sich ein übergroßer Fötus bzw Babykörper im Zentrum der großen  Bühne der Felsenreitschule. Aus den Arkaden an der Hinterwand der Bühne zeichnen die thebanischen Frauen und der Hohepriester die Umstände der Zeugung und Geburt des Verwunschenen. Als übermächtige Erscheinung wandert der blinde Seher Teresias, geführt von einer Kinderpuppe in einem langen weissen Gewand, mit einer gelben Blindenbinde um den Körper. Aus dem Baby wird schnell ein muskelbepackter junger Kämpfer in Boxershorts. Phantasievoll erscheinen seine Eltern als Traumfiguren. Iocaste gleicht einer blauen Blüte, Laios einer verpackten Roboterfigur. Viele bildhafte Ereignisse lässt der Regisseur mit Gemach auf der dunklen nur matt ausgeleuchteten Bühne aufeinanderfolgen. In nur wenige Szenen erscheint der große Chor der Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor. In dunklen Kleidern mit schrägen Details brilliert der Chor als Bewohner Thebens. Lange rote Blutfäden sprießen abstoßend aus Oedipes Augen, seine Tochter Antigone führt den Blinden im makellosen weißen Kleid mit leuchtendem Stab.

Die ruhige bedachte Personenregie Achim Freyers passt zur monotonen pathetischen Musik George Enescus. Nur wenige dramatisch expressive Klangeruptionen wühlen auf. Die Stetigkeit des leblosen Pathos untermauert das unaufhaltbare Schicksal, welches unausweichlich wie ein Uhrwerk Raum einnimmt. Ingo Metzmacher widmet sich wiederum der Entdeckung dieses modernen relativ unbekannten Werkes. Er hat sich in den letzten Jahren in solchen Aufgaben einen erstklassigen Ruf aufgebaut. Die Wiener Philharmoniker folgen ihm in gewohnter Präzision. Immer wieder muss der Dirigent Musiker außerhalb des Orchestergraben integrieren, um spezifische Klangeffekte zu erzeugen. Das musikalische Ergebnis berührt, versetzt den geduldigen Zuhörer nahezu in Trance.  In der musikalischen Ausgestaltung nähert sich diese Oper einem sakralem Charakter wie einem Oratorium.

Präzision ist auch von den Sängern gefragt. Es fehlen ausladende Melodien, der Gesang reduziert sich auf einen ausdrucksstarken Sprechgesang. Christopher Maltman feiert immer wieder in außergewöhnlichen Rollen wie der des Oedipe Erfolge. Sein schauspielerisches Talent und bewusster körperlicher Einsatz verleiht dem Rollenbild besondere Ausdrucksstärke und Überzeugung. John Tomlinson verfügt über eine gealterte kräftige Stimme, die dem Teresias die notwendige orakelhafte Durchschlagskraft gibt. Anaik Morel präsentiert die exzentrische Iocaste, Chiara Skerath die engelsgleiche fürsorgliche Tochter Antigone.                                                    

Eine ergreifende Interpretation mit Tiefenwirkung in Bild und Ton dieses selten gespielten Werkes geht nach drei Stunden mit großem Beifall des Publikums zu Ende.

 

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