Nach acht Jahren Abstinenz erlebt das Wiener Opernpublikum wiederum eine Welturaufführung eines Auftragswerkes. Der Tiroler Komponist Johannes Maria Staud (1974 geb) und der deutsche Schriftsteller Durs Grünbein erhielten 2014 den Auftrag eine zeitgenössische Oper mit gesellschaftskritischen, politischen Inhalt zu schaffen. Für die szenische Umsetzung wurde die Regisseurin Andrea Moses verpflichtet, die mit den beiden an der Umsetzung schon in der Schaffensphase intensiv zusammenarbeitete. Dies wird spürbar erlebbar und massgeblich für den Erfolg.
Die skurrile komplexe Geschichte des Librettos lässt sich erst durch die klare und realistische bildhafte Umsetzung verfolgen. Lea, die Tochter jüdischer Emigranten beschliesst mit ihrem frischen Freund Peter in dessen Heimat, dem Land der Verlassenen zu reisen. Dies ist aber auch die Heimat ihrer Familie, welche von dort vertrieben wurde. Mit einem roten Kanu reisen nun die beiden auf dem grossen Fluss Dorma zur Familie von Peter. Mit den sehr gelungenen Video und Fotomontagen von Arian Andiel ist der aktuelle Bezug zur alpenländischen Gegend und der Donau klar erkennbar und in der Verschmelzung von Bühne und Bild entsteht eine realistische Erlebniswelt. Einmal angekommen erleben Lea und die Betrachter den wachsenden Rechtspopulismus und die Radikalisierung der Bevölkerung, auch innerhalb der Familie Peters. Lea bricht zur Flucht auf und trifft auf der Weideninsel in einer Vision wiedererstandene Opfer der Verfolgung. In das Libretto floss die Inspiration aus einem grotesken amerikanischen Kriminalroman ein, das verhetzte Fussvolk des Rechtspopulismus als willige luftschnappende Karpfen darzustellen, hier auch wirkungsvoll mit grossen Kopfmasken auf der Bühne umgesetzt. Dort steckt auch der Bezug zum Titel. Weiden wachsen am Ufer, sind biegsam und lassen sich verformen und flechten, eine gesellschaftskritische Metapher. Demagogie, Populismus und deren Umgang mit Meinungsfreiheit und Randgruppen wird plakativ dargestellt, aber es wird nicht der mahnende Zeigefinger erhoben oder offen Kritik und Warnung angezeigt. Es bleibt dem Betrachter überlassen, die erkennbaren Parallelen auf sich wirken zulassen. Zur Unterstützung lassen das Duo Staud Grünbein noch eine Fernsehjournalisten das Geschehen zwischendurch kommentieren. Der Ablauf der Handlung erfolgt in 6 Bildern mit Prolog und zwei Orchesterzwischenspielen, womit wir bei der Musik angelangt sind.
Diese zeigt sich vielschichtig, klangreich und mannigfaltig mit dem übergrossen Orchester gestaltet. Der Orchestergraben reicht nicht, weitere Musiker sitzen in Logen mit ihrem Schlagzeug und aus dem Orgelsaal werden Orgel und weitere Musiker übertragen. Nach der Pause gesellen sich elektronische erzeugte Klänge dazu, welche vom SWR Experimentalstudio nach freiem künstlerischen Ermessen life hinzugespielt werden. Tonbandeinspielungen von tickenden Pendeluhren eröffnen den Abend und schliessen den Abend. Die Gesangspartien zeichnen sich durch Sprechgesang und artistische Sprünge aus, welche in der breiten Ebene monoton klingen, aber anspruchsvoll,in der Umsetzung sind. Dieser gross angelegte Aufwand bleibt im Gesamteindruck einfältig und wenig abwechslungsreich. Harmoniereizungen gibt es nicht, erkennbare oder einprägsame Melodien ebenso nicht, aber einzelne Charaktere und gestalterische Elemente lassen sich durch Instrumentengruppen und Klangfärbungen ähnlich einer Leitmotivtechnik wiedererkennen. Elemente der jüdischen Klezmer Musik oder des amerikanischen Dixie gehören ebenso dazu wie angespielte Motive aus Richard Wagners Meistersinger oder Tristan. Insgesamt dominiert der visuelle Eindruck. Die Gestaltung der Bilder und der bewegte Ablauf mit viel Aktionen und Effekten dominiert, sodass die Musik in den Hintergrund rückt ähnlich einer perfekt abgestimmten Filmmusik, welche Emotionen im Betrachter eines cineastischen Werkes erzeugen oder verstärken. Der Gesamteindruck des Werkes wird so stimmig und trotz ein paar Längen kurzweilig. Der Chor der Winer Staatsoper unter der Leitung von Thomas Lang ist bestens einstudiert und einsatzsicher. Dazu spielt er mit viel Engagement.
Rachel Frenkel ist innIsrael geboren und Ensemble Mitglied der Winer Staatsoper. Ihre Darstellung der Lea überzeugt. Ihre dunkle Stimme wirkt im oftmals gesprochenen Dialog ebenso wie im Gesang. Spitzentöne sind kräftig hell aber nicht schrill. Tomasz Konieczny hört man in letzter Zeit oft als Alberich und so klingt auch sein Peter. Mächtig und angriffslustig passend zum heldenhaften Spiel. Andrea Carroll und Thomas Ebenstein, ebenfalls Ensemblemitglieder der Wiener Staatsoper, verkörpern die Nebenrollen von Kitty und Edgar, einem Brautpaar, das Teile der Reise mit Lea und Peter bestreitet. Gezeichnet als typische Vertreter unserer Handygeneration oder Smartphonegesellschaft ohne Tiefgang sind die beiden ein munteres lockeres jugendliches Liebespaar, das auch stimmlich gut zusammenpasst und sicher ist. Der Schauspieler Udo Samel hat eine Sprechrolle, den Komponisten Krachmeyer, der zünftige rechts gerückte Parolen zum besten gibt. Der Komponist hat in der Komposition der einzelnen Rollen mit den ausgewählten Sängern zusammengearbeitet und die Partitur auf die Stimme und deren Potentiale abgestellt. Dies lässt sich an der gesanglich durchwegs sehr sicheren und qualitätsvollen Umsetzung erkennen.
Die anspruchsvolle Aufgabe, alle Vorgänge und Beteiligten zu Führen, hat Ingo Metzmacher am Pult übernommen. Er ist zur Zeit sicher der arrivierteste Dirigent der zeitgenössischen Musik und demonstriert dies überzeugend wieder. Der Blickkontakt Sänger Dirigent ist intensiv, zu schwierig ist es ansonsten den richtigen Einsatz zu finden. Die Musiker folgen konzentriert und gewissenhaft seinem Taktschlag. Er hat sichtlich die Partitur verinnerlicht und bringt sie zur Entfaltung. Er versteht es die unterschiedlichen Klangwelten von Streichern, Bläsern, Schlagzeug und Elektronik zusammenzuführen und einen harmonischen und ausgeglichenen Bezug herzustellen und leben zu lassen.
Das Publikum, soweit es bis zum Schluss geblieben ist, folgt allem mit viel Aufmerksamkeit und belohnt die Leistung aller am Ende. Ein paar hörbare Buhs verhallen schnell und werden überstimmt. Eine lohnende Begegnung mit moderner Musik und ein anzuerkennendes Wagnis der Intendanz, sich inhaltlich politisch zu positionieren.
Dr. Helmut Pitsch
Copyright Michael Pohn
13. Dezember 2018 | Drucken
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