Wiener Symphoniker Konzert Lahav Shani 6.5.2022 Konzerthaus Wien
Die Wiener Symphoniker vielseitig mit Werken im Aufbruch der Moderne
Mit einer abwechslungsreichen Auswahl an prägnanten Werken und Komponisten präsentieren die Wiener Symphoniker ihre Wandlungsfähigkeit und Versiertheit. Der musikalische Wandel um die Jahrhundertwende und die musikalischen Strömungen besonders in Wien am Ende der Romantik liefern den Rahmen.
Zu Beginn steht die Lyrische Suite von Alban Berg, neben seiner Oper Wozzeck eines seiner meistgespielten Werke. Ursprünglich für ein Quartett verfasst, wurde von Alban Berg 1928 eine Fassung für Streichorchester geschaffen. Das Werk bildet Einflüsse von Werken Alexander Zemlinskys und Arnold Schönbergs ab, die die neue Musik der Wiener Schule prägten sowie Richard Wagners und Gustav Mahlers. Die Liebe und geheime Beziehung zu Franz Werfels Schwester Hanna Fuchs soll die verborgene Inspiration des Werkes gewesen sein. Die sechs Sätze lassen bereits in ihren Tempobezeichnungen die Intention des Werkes erkennen: Allegretto giovale, Andante amoroso, Allegro misterioso, Adagio appassionato, Presto derilando Tenebroso, Largo desolato.
Düster, getragen, gleichzeitig mystisch aufwühlend ist die Musik, die sich in Stimmungswendungen wälzt und immer wieder Steigerungen abrupt verklingen lässt. Der junge israelische Dirigent Lahav Shani lässt die Musik fließen, setzt auf die Klangfarben des Orchesters und verhüllt Transparenz in Tempowechsel. Die Cellisten und Geiger führen eine Konversation, die immer wieder zu harmonischer Einigkeit führt. Akzente fast wie verhalllende Widersprüche liefern die Bässe.
Romantische Breite legt das Dirigat für die folgenden sechs ausgewählten Orchesterlieder von Richard Strauss an. Ebenso um 1900 entstanden sind diese Werke Höhepunkte seines umfangreichen Liedschaffens. Die Sopranistin Chen Reiss mit ihrem strahlend hellen und höhensicheren Sopran hat sich zu einer ausgeprägten Straussängerin entwickelt, auch auf der Opernbühne. Sehr an ihrer Wortverständlichkeit wie auch an der Aussprache arbeitend gelingt ihr eine zärtliche berührende Interpretation. Fein und zart misst sie die Töne, leicht und ohne Überdehnung intoniert sie die anspruchsvollen Tonsprünge und beachtet die geforderten Melodiebögen. Lahav Shani liefert ihr die richtige Mischung aus ruhiger Untermalung und selbstbewußter Klangfärbung.
Als drittes Werk steht mit der4. Symphonie in G Dur vonGustav Mahler ein Hauptwerk der Spätromantik auf dem Programm, 1901 in München uraufgeführt. Gleichzeitig ist das Werk ein Stellvertreter der beginnenden Moderne und als Liedsymphonie wachsen hier zwei Gattungen zusammen. Verblüffend der Ansatz des jungen Dirigenten. Er ist bemüht Elegie und Theatralik zu vermeiden und eine frische positive Ausstrahlung dem Werk zu versetzen. Die versteckten, ausgereizten Rhythmen will er auflösen und schwungvoll tänzerisch erscheinen lassen. Vieles gelingt frappierend in dieser Darstellung und reißt den Zuhörer mit. Anspruchsvoll ist es aber diesen Spannungsfaden durchzuziehen und nicht in eine dem Werk innewohnende Schwermut zu verfallen. Dies besonders in den umfangreichen Ecksätzen.
Chen Reiss ist wieder die Solistin des Sopransolos im vierten Satz. Diesen schuf der Komponist losgelöst bereits zehn Jahre früher während seiner Zeit in Hamburg als Humoreske „das himmlische Leben“ überschrieben. Ihr liegt die Volksliedvertonung Mahlers „des Knaben Wunderhorn“ zugrunde. Die Solistin wandelt versunken zu ihrem Solo auf die Orgelempore des Wiener Konzerthauses. Wie eine Gallionsfigur oder engelsgleiche Göttin mit ihrem weißen Kleid und Pelzjäckchen ragt sie über allem. Dazu wirkt der Gesang zu unpersönlich und gefühllos gegenüber dem feinen Klangteppich der Wiener Symphoniker, die sich im feinsten Piano mühen und liedhaft kammermusikalisch dem Text folgen. Lahav Shani glättet die Kanten in seiner Führung und findet einen stimmigen Gesamteindruck.
Viel Applaus am Ende
Dr. Helmut Pitsch
10. Mai 2022 | Drucken
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