BUDAPEST: GÖTTERDÄMMERUNG oder „Az Istenek Alkonya“ am 29. November 2022
Eindrucksvolles Finale des neuen „Ring“ an der Budapester Staatsoper
Nachdem „Die Walküre“ und „Siegfried“ im Rahmen der beiden zyklischen November-Aufführungen der Neuinszenierung des „Ring des Nibelungen“ von Richard Wagner in der Regie und mit dem visuellen Konzept von Géza M. Tóth sowie im Bühnenbild von Gergely Z Zöldy sehr erfolgreich über die Bühne gegangen waren, erschien es sicher, dass auch die „Götterdämmerung“ viel Neues und Interessantes bieten würde, bei gleichzeitiger Nähe zu Wagners Werkaussage mit den entsprechenden Requisiten. Und so kam es auch. Ein fulminanter 3. Abend schloss diese neue Budapester Tetralogie ab, und die Staatsoper kann stolz darauf sein, sie mit einem so guten Orchester und einem ebenso guten nationalen Sängerensemble spielen zu können.
War schon von der „Walküre“ zu „Siegfried“ eine gewisse Steigerung der Leistung des Ungarischen Staatsopernorchsters zu bemerken, spielte das Ensemble unter der ruhigen und erfahrenen Hand von Maestro Balázs Kocsár, dem „Karmester“, an diesem Abend in absoluter Höchstform. Wieder beeindruckte das hervorragende Blech. Die Hornrufe Siegfrieds gelangen dem Hornisten perfekt, was man selten an großen Häusern so erleben kann. Der Trauermarsch klang erschütternd, zumal kurz vorher Siegfried in den Armen von Brünnhilde verstarb, hier also auch ein besonders starker emotionaler Akzent gesetzt wurde. Und natürlich das große Finale. Hier liefen noch einmal alle musikalischen Fäden in der Hand von Koczár zusammen zu einer wirklich großartigen musikalischen Apotheose, die auch ihre optische Entsprechung auf der Bühne erfuhr.
Zur Ausstattung, die besonders in dieser Produktion eine so bedeutende Stellung einnimmt. Schon die Nornen beeindrucken mit außergewöhnlichen, ja extravaganten und in irgendeine stilistische Zukunft weisenden Kostümen und einer überlangen weißen Haarpracht von Ibolya Bárdosi. Die anderen Figuren behalten ihren Kopfputz der Abende zuvor, weitgehend auch die Kostüme. Brünnhilde kommt also wieder im Milka-Lila, während Gunther und Gutrune in grün, lila, orange und weißem Outfits prangen, mit knallgelben Haarschöpfen – Gelb als Farbe des Neides?!
Wieder spielt die Visualisierung bestimmter Stimmungen und Ereignisse durch dieVideo-Bebilderungen des Kedd Animation Studio in Form der projected sceneries eine bedeutende Rolle. So sehen wir bei den Gibichungen schemenhaft die Wasserfläche des nahen Rheins. Beim Bruderschwur, in dem ja Blut fließt, werden rötliche Rechtecke auf den Leinwänden sichtbar. In der düsteren Alberich-Hagen-Szene, während der Hagen tatsächlich wie im Halbschlaf und damit wirkungsvoll auf einem der beiden großen hölzernen Sitzmöbel kauert, die wie gestylte Throne aussehen, bewegen sich auf den Leinwänden torartige Gestelle. Manchmal scheinen sie schemenhaft den Blick auf Hochhäuser freizugeben, die wie Wolkenkratzer in New York aussehen, aber auch etwas ganz anderes sein können. Man assoziiert jedenfalls Weltherrschaft damit, den Besitz großer Städte und damit Kontrollmacht („Ich und du, wir erben die Welt.“). Das Spannende dabei ist, dass niemals eine dieser Visualisierungen ganz klar ist, immer verschwommen und in Wandlung begriffen, in andere Formen übergehend, die man ständig versucht ist zu erkennen oder zu deuten. Es ist ein unendlicher Bilder-Fluss wie die unendliche Melodie Richard Wagners im „Ring“ - insofern also ganz passend und plausibel.
Auch in der „Götterdämmerung“ kommt die Budapester Staatsoper mit einem rein ungarischen Sängerensemble aus. Der Star des Abends ist zweifellos Szilvia Rálik als Brünnhilde, die mit ihrer kraftvollen, nahezu hochdramatischen Sopranstimme mit bestechender Attacke die größten Akzente setzt. In der Speereid-Szene des 2. Aufzugs legt sie enorme Souveränität an den Tag. Und mit ihrem Schlussgesang, bei dem sie sich vor ihrem Vater Wotan noch einmal demütig verneigt und ihm die Hand reicht, entfacht sie große Emotion. Rálik ist eine Sängerin, die man nur zu gern auch einmal an einem der großen Häuser Westeuropas hören würde. Aber da zählen ja zuerst nur große Namen. István Kovácsházi beeindruckt als Siegfried wieder mit einem schönen, viele tenorale Facetten aufweisenden Timbre. Und er singt sogar das hohe C zu Beginn des 3. Aufzugs. Die Waldvogel-Erzählungen gelingen ihm mit Leichtigkeit. Es fehlt ihm jedoch weiterhin die darstellerische Intensität, das alles auch authentisch und ergreifend über die Rampe zu bringen.
Zsolt Haja singt den Gunther mit einem gut geführten Bariton und Polina Pasztzircsák eine klangschöne Gutrune. Sie ist auch am MÜPA schon in Wagner-Rollen positiv aufgefallen. Géza Gabor, der schon den Hunding verkörpert hatte, ließ auch als Hagen etwas an Verschlagenheit und Boshaftigkeit missen, die so bedeutend für die Rollendarstellung dieser Figur sind. Stimmlich machte er seine Sache aber gut. Zoltán Kelemen war als Alberich wieder der bekannte Schönsänger, dem es aber allzu sehr an der Alberich-typischen Boshaftigkeit fehlte. Für einen Lichtblick im Mezzo-Fach und auch darstellerisch sorgte Andrea Szántó als Waltraute. Ihr Dialog mit Szilvia Rálik wurde somit zu einem der Höhepunkte des Abends. Die bewährte Bernadett Wiedemann war die Erste, Gabriella Balga die Zweite und Gertrúd Wittinger die Dritte Norn. Auch die wieder in grellen Farben auftretenden Rheintöchter konnten mit Zita Váradi, Lilia Horti und Viktória Mester sowohl stimmlich wie schauspielerisch mit einem hohen Maß an Koketterie überzeugen. Der von Gábor Csiki einstudierte und von Marianna Venekei bestens choreografierte Chor der Mannen und Frauen im 2. Aufzug war äußerst prägnant und aufgrund seiner Positionierung gleich an der Rampe auch recht laut, bei generell sehr gut geführten Einzelstimmen.
Das Finale hat es neben der musikalischen Qualität auch dramaturgisch und optisch in sich. Zunächst geht Brünnhilde mit einer Fackel zu Siegfried in den Holzstoß in einer videogesteuerten Feuersbrunst, in deren Ferne man die Güter langsam auf ihren Sesseln zusammensacken und im allgemeinen Feuerschein verschwinden sieht. Von oben schweben die Rheintöchter herunter und halten den Ring. Unten verschwindet Hagen in der Tiefe. Dann lichtet sich etwas das Gewölk, und zum Motiv der Mutterliebe der Sieglinde wird unten eine nacktes, sich zugewandtes junges Paar sichtbar, das offenbar für eine bessere Zukunft steht. Unterstützt wird es dabei von den bunten romantischen Fabelwesen, die schon die beginnende Liebe zwischen Brünnhilde und Siegfried im „Siegfried“ betanzten - ein wundervoller Schluss des neuen „Ring“ an der Ungarischen Staatsoper Budapest! Den nicht allzu weiten Wiener Wagner-Freunden sei der Besuch dieser Inszenierung sehr ans Herz gelegt, insbesondere dann, wenn nach Abspielung des Bechtolf-„Ring“ wieder etwas in der Art kommen sollte wie der neue „Tristan“ und der neue „Parsifal“…
Klaus Billand
03. Dezember 2022 | Drucken
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