Eine spannende brasilianische Literatur-Oper - Piedade in Manaus

Xl_pidade_manaus © Klaus Billand

MANAUS/Teatro Amazonas: PIEDADE am 21. Mai 2023

Eine spannende brasilianische Literatur-Oper

João Guilherme Ripper, 1959 in Rio de Janeiro geboren, ist Komponist, Dirigent sowie Musikmanager und Professor an der Musikschule der Federalen Universität von Rio de Janeiro. Er machte seinen Master of Arts in Komposition an der Catholic University of Americain Washington D.C. unter Helmut Braunlich und der Argentinierin Emma Garmendia. Weitere Studien führten Ripper nach Argentinien und Paris. Heute ist er Präsident der Brasilianischen Musik-Akademie, die von Heitor Villa-Lobos im Jahr 1945 gegründet wurde und 40 brasilianische Komponisten, Interpreten und Musikologen vereint. Ripper hat mittlerweile auch acht Opern komponiert, zum Teil Kammeropern, immer wieder aber auch Werke mit Bezug zur brasilianischen Literatur.

Um ein solches handelt es sich bei der Oper „Piedade“, die im Jahre 2012 ihre Uraufführung in Brasilien erlebte und hier bereits mehrfach aufgeführt wurde, fast immer aber in konzertanter oder kammermusikalischer Form mit reduziertem Bühnenbild. Während des 25. Opernfestivals von Manaus (FAO) wurde sie nun szenisch in der Regie von Julianna Santos und mit großem Orchester gegeben. Und so viel ist vorwegzunehmen: sie zog das zahlreich erschienene Publikum im Teatro Amazonas von 1896 über die pausenlosen vier Akte mit einer Stunde und 45 Minuten durchgehend in ihren Bann.

Als Drei-Personenstück handelt diese Oper vom bedeutenden brasilianischen Autor, Publizisten und Militäringenieur Euclides da Cunha (1866-1909), der sich mit einigen wichtigen Publikationen, vor allen anderen „Os Sertoes“ (1994 unter dem Titel „Krieg im Sertão“ auf Deutsch erschienen) hervortat, die den 1896-97 währenden Krieg in Canudos behandelt. Dieser forderte weit über 15.000 Tote, nachdem die sich angegriffen fühlende neue Republik von 1889 vier Waffengänge gegen den „Belo Monte“ geführt hatte, wie sich die Stadt Canudos im Hinterland des nordöstlichen Bundesstaates Bahia (etwa so groß wie Frankreich!) unter Führung des Predigers Antônio Conselheiro nannte. Euclides da Cunha erlebte das Ende dieser Kämpfe als Berichterstatter, drang mit seiner Erzählung tief in die brasilianische Seele ein und wurde damit ein Schriftsteller von großer nationaler Bedeutung - also Grund genug für João Guilherme Ripper, ihm eine Oper zu widmen.

„Piedade“setzt in dem Moment ein, als da Cunha an „Os Sertões“ schreibt und als politisch interessierter Mensch in großer Sorge um die Zukunft seines Landes angesichts des erlebten Geschehens in Canudos lebt. Das wiederum färbt auf die schwieriger werdende Beziehung zu seiner Frau Anna ab. Als er wieder einmal auf eine Reise in den Norden Brasiliens geht, verliebt sich diese in den jungen Kadetten Dilermando de Assis, der in ihrem Hotel wohnt, in das sie in Abwesenheit ihres Mannes umzog, weil sie den teuren Hausstand nicht aufrecht erhalten konnte. Da der ohnehin schon misstrauisch gewordene da Cunha während der Reise von der Liaison Wind bekommen hat, gerät ihm nach Rückkehr die Liebschaft seiner Frau zu Dilermando zur Gewissheit, als dieser ihn mit dem Kosenamen „Saninha“ anspricht. Von hier an geht das Ganze hochdramatisch in den 4. Akt zum bitteren Ende da Cunhas im Haus von Dilermando im Stadtteil Piedade von Rio, daher der Name des Stücks. Es kommt zu einer Auseinandersetzung zwischen da Cunha und Dilermando, wobei da Cunha den ersten und zweiten Schuss abgibt, Dilermando aber nur verletzt. Dieser trifft ihn in Notwehr dann tödlich. Das alles beruht auf wahren Gegebenheiten.

Giorgia Massetani hat ein einfaches, aber stimmiges Bühnenbild gebaut, zwei hintereinander versetzte und in der Höhe verstellbare Stege als Spielflächen, auf denen die Handlung in zwei Phasen oder auch parallel, dann aber zeitlich versetzt, stattfindet und so einen stimmigen Gesamteindruck ergibt. Vorhänge bilden immer wieder Möglichkeiten zu einer gewissen Intimität des Liebespaares bei zudem sensibel geführter Lichtregie von Kuka Batista. Olintho Malaquias schuf die Kostüme in Anlehnung an die Mode zur Zeit des Stücks, also zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

Bei einer sorgsam und detailfreudig ausgearbeiteten Personenregie verkörpert der Bariton Romero Velho den Schriftsteller Euclides da Cunha und scheint der Figur in Haltung und Ausdruck sehr nahe zu kommen. Wie schon bei seinem Kapitän Balstrode in „Peter Grimes“ kommen ihm seine kraftvolle und gut geführte Stimme sowie seine gute Mimik bei der Ausstrahlung intellektueller Souveränität sehr zu Hilfe. Gabriella Pace singt und spielt seine Frau Anna da Cunha mit einem Sopran, der der Rolle durchaus gewachsen ist, aber gelegentlich ein allzu hörbares Vibrato aufweist. Ihre kontroverse und komplexe Rolle zwischen den beiden Männern spielt sie ausgezeichnet. Daniel Umbelino gibt den Dilermando mit einem ansprechenden Tenor, der auch zu guter Attacke in den dramatischen Momenten des Finales fähig ist. Auch er ist darstellerisch voll in seiner Rolle.

Die Musik von João Guilherme Ripper, die von Otávio Simões mit der Amazonas Filarmônica gefühlvoll dirigiert wird, besticht durch ihr große Harmonie und feine Linienführung sowie ein hohes Maß an emotionaler Färbung, mit der die entsprechende Handlung auf der Bühne interpretativ musikalisch umgesetzt wird. So ergibt sich aus Musik und Handlung eine sehr unmittelbar wirkende Einheit, was nicht zuletzt auch die Spannung der Oper insgesamt erhöht. Das Publikum in Manaus sah das ähnlich, denn es spendete allen Akteuren und dem Komponisten lang anhaltenden und enthusiastischen Applaus.

Mit dieser Oper ging beim 25. Amazonas Opernfestival in Manaus ein selbst für europäische Verhältnisse, ganz sicher aber für südamerikanische, „Marathon“ von vier grundverschiedenen Opern an vier aufeinanderfolgenden Tagen zu Ende. Das ist sicher für das Festival am Rio Negro mitten im größten (Regen-)Wald der Erde eine Besonderheit. Es macht aber auch deutlich, wie sehr sich das FAO in Manaus nach seiner Gründung, auch mit starker Unterstützung des damaligen Kulturstaatssekretärs von Amazonas, Sergio Braga, und seiner ebenso interessanten wie phantasievollen Konzipierung nach 1997 entwickelt und ganz offenbar stabilisiert hat. Es ist heute ein Festival, das aus dem brasilianischen Musikleben nicht mehr wegzudenken ist und hat auch schon Auftragskompositionen vergeben, unter anderen an João Guilherme Ripper. Man möge sich daran erinnern, dass es damals nur eine paar wenige Musiker in Manaus gab und man die in Osteuropa arbeitslos gewordenen nach Amazonien lockte mit dem Angebot eines sicheren Arbeitsplatzes im ständig wachsenden Orchester Amazonas Filarmônica unter der Bedingung, dass jeder ausländische Musiker jeweils zwei brasilianische in seinem Fach ausbilden würde. So entstand ein Orchester von heute über 80 Musikern, ein großer und ganz beachtlicher Erfolg und vielleicht ein Modell für andere Länder, in denen still alte Opernhäuser aus der Kolonialzeit vor sich hindämmern. Die künstlerische Arbeit von Luis Fernando Malheiro und das Organisationstalent von Flavia Furtado haben wesentlich zu dieser Entwicklung und dem immer evidenter werdenden Erfolg, der sich auch in einem stark gestiegenen Publikumszuspruch manifestiert, beigetragen.

Dr. Klaus Billand

 

 

 

 

| Drucken

Kommentare

Loading