Idomeneo Wolfgang Amadeus Mozart Oper Köln Staatenhaus
Besuch am 22. Februar 2024 Premiere am 17. Februar 2024
Eleganz und Spirit des lyrischen Musikdramas und die Regiejagd nach Schauwerten klaffen erratisch auseinander
In beglückenden Aufführungen hat der vom 24-jährigen Wolfgang Amadeus Mozart verfasste Idomeneo das Zeug, uns Heutige voll und ganz einzunehmen. Mutet uns eine solche Sternstunde doch wie „auf goldenem Muschelhorn“ zelebriert an. Su concha d’oro, so besingt der Chor gegen Ende des ersten Aktes die Art und Weise, wie Poseidon mit „königlicher Zier“ in diesem Drama aufspielt. In der Neuproduktion des Dramma per musica aus der Münchner Karnevalssaison 1780/81 bleibt der Zauber der Koinzidenz barocker, italienischer und französischer Einflüsse weitgehend auf der Strecke. Er wird in einem Stück, in dem verlangte oder gewährte Opfer das zentrale Thema sind, auf dem Altar des Spektakels um jeden Preis selbst zum Opfer. Bei der Uraufführung im Residenztheater des Mozart gegenüber aufgeschlossenen Kurfürsten Carl Theodor klaffen die von der Musik erzeugten dramatischen Konzeptionen und die Konventionen der Operia seria unüberbrückbar auseinander. Zum Nachteil Mozarts, dessen Namen in den Premierenberichten nicht einmal erwähnt wird. Zum Nachteil des Werks, das bis Ende des 18. Jahrhunderts unbeachtet bleibt. Mit dem sich auch spätere Generationen von Theaterdirektoren schwertun, wie nicht zuletzt die bloße Tatsache der Bearbeitungen von Ermanno Wolf-Ferrari und Richard Strauss belegt.
In der Kölner Neuproduktion klaffen ähnlich Welten auseinander. Die Inszenierung des niederländischen Regisseurs Floris Visser, der beim Publikum mit einem Panorama visueller Reize und aufgeputschter Schauwerte punkten möchte. Die musikalische Performance des Dirigenten Rubén Dubrovsky mit dem blendend aufgelegten Gürzenich-Orchester, der alles darauf anlegt, die Wunder der Partitur und ihrer damals revolutionären Neuerungen in Form von Ensemblenummern, Chorsätzen und Märschen aufzuspüren und in emotionale Ereignisse zu verwandeln. Im Alltagsleben nennt man solches Verfehlen ein Missgeschick.Eben dies, ein Malheur, ist diese Neuinszenierung, was nichts mit den Einschränkungen des Ausweichstandortes der Kölner Oper zu tun hat. Aber vieles mit den Spielarten, unter denen heute vielfach Opernregie betrieben wird. Prima la musica? Weit gefehlt an diesem erratischen Opernabend.
Obgleich Mozart in München keinerlei Auswahl- oder Mitspracherecht auf das Werk besitzt, das der Hof bei ihm unter Festlegung des Stoffes und der Form beauftragt, trifft er doch günstige Voraussetzungen an. Mit dem nach München gewechselten Orchester der Mannheimer Schule, dank seiner Klangkultur und Artikulationspräzision das wohl beste Ensemble in Europa. Mit Giambattista Varesco einen Librettisten, der offen ist für Mozarts Reformideen. Der ihm ein Textbuch liefert, das die willkommene Gelegenheit bietet, seelische Dramen und menschliche Pein, abgrundtiefes Leid und jauchzendes Glück in Noten und Affekte zu verwandeln. Wahrlich dramatisch ist das Schicksal des Kreter-Königs Idomeneo, der aus Dank über den Sieg vor Troja und seine Rettung aus Seenot den Göttern seinen Sohn Idamante zu opfern bereit ist. Der schuldlos schuldig zu werden droht. In Vissers Sicht ist Idomeneo – anders als bei Varesco - ein verzweifelter Mensch, der über die panischen Versuche, seinem eigenen Gelübde zu entgehen und das grausame Schicksal seines Sohnes abzuwenden, wahnsinnig wird. Diese Auffassung ist in eine Rahmenhandlung eingebettet, die das Schicksal des Herrschers wie in einer Rückblende auffächert.
Zur brausenden Ouvertüre sieht man ihn in einer psychiatrischen Einzelzelle, wie er auf weiße Kacheln Konturen Poseidons mitsamt dem Dreizack kritzelt. Dann bricht er zusammen, worauf ihn Wärter mit einer Spritze sedieren. Zum Schluss ist Idomeneo als physisch und seelisch zerbrochenes menschliches Wrack in eben dieser Zelle zu erleben.
Das Zerrbild des Königs ist auch der eigentlichen Handlung immanent. Peter Bermes mimt weiß gewandet die Kopie des Idomeneo im Greisenalter und bewegt sich als Antizipation seines Scheiterns durch die Szene. Ihr Antipode ist ebenfalls dauerhaft in den Kulissen unterwegs. Daniel Calladine verkörpert eine vom Regisseur „Trauma“ genannte Figur in Schwarz, die mit über dem Kopf geschwungener Axt Angst und Schrecken verbreitet. Ein Bote des Hades? Die Untergangsvision des Kreter-Königs? Vissers Regie bewegt sich an der ewigen Scheidelinie zwischen Wollen und Können. Gewollt ist stoffsprengend eine Verbindung des antiken Mythos mit dem aktuellen Kriegsgeschehen im Nahen Osten. Mit Flucht und Vertreibung und all den Folgen für Europa. Gekonnt wird ein Panorama visueller Reize, die sich mehr und mehr zu einem Arsenal beliebiger Bebilderung aufbauschen. Frank Philipp Schlößmanns Bühnenbild, eine felsige mediterrane Küstenlandschaft, avanciert zum Schaukasten assoziativer Bilder von den Kriegen dieser Welt. Angelandete Särge mit getöteten Soldaten. Gefangene, die in Lager oder zur Erschießung durch MP-bewehrte Kommandos getrieben werden. Für den Krieg direkt aus dem Strandbad rekrutierte Väter, die sich gerade noch von ihren Söhnen verabschieden können. Despoten, die sich als Kriegsgewinner von ihren Untertanen feiern lassen.
Auf die Spitze getrieben wird die Suche nach ikonographischen Superlativen mit der Adaption des Bildes des syrischen Jungen Alan Kurdi, der im September 2015 nach dem Ertrinken an der Mittelmeerküste der Türkei angeschwemmt wird. Es geht auf dem Höhepunkt des Flüchtlingsansturms in Europa um die Welt. Uwe Eric Laufenberg verwendet es bereits im April 2019 in seiner Wiesbadener Idomeneo-Inszenierung. Vollends zur Plakatwand mutiert Vissers Ausstattung nach der Rettung Idamantes. Poseidon ist beeindruckt von Ilias Bereitschaft, sich an Stelle des Geliebten aufzuopfern, und hebt den Bann auf. Letztlich sind es die unbedingte Liebe und die Menschlichkeit der jungen Generation, die den ewigen Kreislauf von Krieg und Gewalt der Alten durchbrechen. Ein Motiv, das sich in Zeiten von politischen Jugendbewegungen als Regiethema geradezu aufdrängt. Visser hingegen krönt die sich anschließenden Feierlichkeiten zu Hochzeit und Krönung von Ilia und Idamante durch das Aufziehen einer roten Fahne mit Halbmond neben dem griechischen Fahnentuch. Der Nationalismus bleibt Staatsräson und wird den Kreislauf der Kriege verstetigen.
Für Verwirrung und zusätzliche Ablenkung von den Figuren des Librettos sorgen die Kostüme Gideon Daveys. Idamante agiert im schwarzen Büroanzug mit Krawatte. Idomeneo in einem Kampfanzug mit weißem Stirnband, obwohl er doch als Sieger vor Troja längst wieder als Herrscher respektiert ist. Die Choristen und Statisten bewegen sich phasenweise in bunter Kleidung, als hätten sie sich zu einem Dorffest auf dem Schützenplatz verabredet. Ilia und Elettra in Schwarz, mal als Abend-, mal als Cocktailkleid, sind sich fast zum Verwechseln ähnlich, obwohl ihre Charaktere extrem unterschiedlich angelegt sind. Die trojanische Prinzessin lyrisch, eine liebende Seele. Die Atridentochter von Rache und Eifersucht getrieben, eine Furie.
Schon erstaunlich ist, wie gleichsam konträr zu diesem Tsunami an Kriegsgetöse die Sängerdarsteller die Konzentration für ihre eigentliche Mission, den Gesang, aufbieten. Sebastian Kohlhepp in der Titelpartie taumelt mit Kopfverband durch die durch mit Statistenauftritten aufgeputschten Episoden und bringt es dennoch fertig, der inneren Zerrissenheit des zum Spielball der Götter gewordenen Atriden gesanglich berührenden Ausdruck zu verleihen. In dunkler Vorahnung in Vedrommi in torno im ersten, angsterfüllt in Fuor del mar im zweiten Akt. Mit geschliffenen Koloraturen con affetto. Eben diese bleibt Anicio Zorzi Giustiniani in der Rolle des zum Berater des Königs aufgewertete Arbace schuldig. Beeindruckendes Mozart-Format erreichen die um Idamante ringenden Rivalinnen. Kathrin Zukowski gestaltet Ilia mit Emphase und Eleganz, von ihrer wehmütigen Auftrittsarie Padre, germani, addio! über das hoffnungsvolle Se il padre, perdei hin zum einschmeichelnden Zeffiretti lusinghieri, womit der dritte Aufzug nach innigem Rezitativ graziös eröffnet wird. Als Elettra hat Ana Maria Labin mit souveräner Stimmführung und geschmeidigen Koloraturen ein sicheres Gefühl für die Rolle, deren Furor in einem merkwürdigen Missverhältnis zu den konkreten Taten dieser Königstochter steht. Auch dies ein erratisches Momentum. Die Besetzung des Idamante mit der Mezzosopranistin Anna Lucia Richter erzeugt zwiespältige Eindrücke. Noch ganz im Stil der Barockoper sieht Mozart für diese Partie einen Kastraten vor. Fünf Jahre nach der Uraufführung schreibt er die Rolle für eine konzertante Aufführung im Passauer Hoftheater des Grafen Auersberg für einen Tenor um. Das Theater Gießen wagt 2014 mit dem koreanisch-amerikanischen Countertenor Kangmin Justin in der Rolle des Königssohnes ein Experiment und erzielt damit Erfolg. Richters Stimme erreicht mit der stürmischen Auftrittsarie Non ho colpa Präsenz und Ausstrahlung, gewinnt in der von Mozart mit leichter Hand hingeworfenen kurzen Kadenz an Farbe, wird danach aber immer wieder unruhig und in der Tiefe unstet.
Im grandiosen Quartett Andrò ramingo e solo im dritten Akt, finden die vier wesentlichen Protagonisten dann ungeachtet der unterschiedlichen Charaktere zu einem melodischen Hauptnenner, der unter die Haut geht. Der von Rustam Samedov einstudierte Chor ist in guter Verfassung und verabschiedet sich zusammen mit dem Gran Sacerdote, den John Heuzenroeder Respekt erheischend verkörpert, stilvoll aus dem mythischen Geschehen. Dem hat Lucas Singer als La Voce bis dahin mit mächtiger Stimme die Richtung gewiesen.
Für das Publikum ist ein unterhaltsamer, vielleicht inspirierender, aber niemals beglückender Opernabend zu Ende gegangen. Der stürmische Applaus im sehr gut besetzten Saal gilt der ganzen Phalanx der Mitwirkenden, insbesondere dem Orchester und seinem Leiter. Letzteres absolut verdient.
Dr. Ralf Siepmann
Copyright Foto: Sandra Then
26. Februar 2024 | Drucken
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