Absperrungen und Kontrollen vor dem Eingang, geschlossene Garderoben, Richtungspfeile am Boden und auf Ständern im Foyer - aber kaum betritt man das Amphitheater dann ist es wieder da – das geliebte wohlige Gefühl, die Spannung und die Erwartungshaltung, typisch für jeden Opernbesuch und so lange vermisst. In den meisten Ländern Europas ist es unmöglich, in Spanien aber dank strikter Sicherheitsmaßnahmen und Vorgaben ist der Kulturbetrieb aufrecht erhalten geblieben. Die Konzertsäle und Opernhäuser sind offen und die Veranstaltungen erfreuen sich großen Publikumsinteresses. Die Künstler reisen mit Freude an und beschreiben ihre Erleichterung, endlich wieder vor Publikum auftreten zu dürfen im Netz.
Mit eben dieser großen Freude und Neugier machte ich mich auf den Weg, das so geliebte lebendige Opernerlebnis live nach Monaten des Lockdowns in Deutschland und Österreich in Spanien wieder zu erleben. Das berühmte Teatre de Liceu in Barcelona bietet zurzeit ein Auftragswerk in Zusammenarbeit mit 7 weiteren Opernhäusern George Benjamin Lessons of Love and Violence – Lektion über Liebe und Gewalt.
Das Werk erlebte seine Uraufführung 2018 am Royal Opera House Covent Garden in London. Die Produktion unter der Regie von Katie Mitchell wird im Anschluss an allen beteiligten Häusern gezeigt. Pandemiebedingt mit Verspätung nun in Barcelona, dann in Madrid. Amsterdam, Lyon, Chicago und Hamburg werden folgen. Auch die Sänger standen vor Beginn der Komposition fest, so daß besonders auf diese Stimmen abgestimmt wurde. Martin Crimp schuf das Libretto auf Basis verschiedener mittelalterlicher Erzählungen.
Die homoerotische Liebe des englischen Königs Edward II (1284-1327) zu dem bürgerlichen Piers Gaveston steht im Mittelpunkt. Während sein Land von Armut und Hunger gepeinigt wird, gibt sich der König und sein Geliebter einem Luxusleben hin. Dies ist seiner Gattin Isabel von Frankreich sowie dem machhungrigem Armeeführer Mortimer ein Dorn im Auge. Sie verbünden sich, Gaveston sowie der König werden hingerichtet. Dies alles geschieht vor den Augen des Sohnes und der Tochter des Königspaares. Der zukünftige König bittet noch um Gnade für den Vater und wird zum Todesurteil gezwungen. Seine erste Amtshandlung ist die Hinrichtung Mortimers vor den Augen seiner Mutter. Die grausame „Lesson“ - Lektion ist gelernt und verinnerlicht.
Schon die wirkungsvolle Handlung läßt einen spannenden Opernabend erwarten und eröffnet die Frage, wie der komplexe dichte Stoff verständlich in 90 Minuten musikalisch umgesetzt wird. George Benjamin, 1960 geboren studierte am Pariser Konservatorium bei Olivier Messiaen und in Cambridge. Er zählt heute zu den bedeutendsten Komponisten der Gegenwart und seine Werke sind zumeist Aufträge großer Opernhäuser und Festivals.
Zumeist in ruhigem getragenen Modus entwickelt sich die musikalische Erzählung. Ein sehr fein modellierter breit ausgelegter Klangteppich wird durch den Einbezug auch selten eingesetzter Instrumente sowie mehrfach Besetzungen erreicht. Fünf Musiker am Schlagzeug, zwei Harfen, Timbalen und Celesta setzen klanglich zusätzlich Akzente. Grundsätzlich im breiten Sprechgesang angesetzt gibt es verschiedene nahezu arios angelegte Szenen. Viel musikalische Interpretation und Erzählung erfolgt in Zwischenspielen, die durchaus romantischen vollmundigen Charakter auch in ihrer Disharmonie erreichen.
Katie Mitchell siedelt die Handlung in der Jetztzeit an, moderne Bühnenbilder und elegante Kostüme entsprechend. Zumeist befinden wir uns im eleganten Wohnbereich oder Schlafzimmer des königlichen Hofes, der stumme Hofstaat – alle Statisten mit Mund- Nasenschutz - verfolgt zumeist das Geschehen. Die Königskrone wird immer wieder unter eine Plexiglashaube aufgefahren. Die Personenregie ist statisch angelegt, die Brisanz und Erotik der Geschichte wird zu wenig auf die Bühne projiziert. Es werden Spannungsmomente verschenkt.
Diese arbeitet zum Glück Josep Pons mit viel Gespür am Pult des Orchesters heraus. Ohne große Gestik aber mit viel Dynamik und Konzentration durchsteigt er die komplexe Partitur. Um die Abstandsregeln einzuhalten wurden auch ein paar Reihen im Parkett zusätzlich ausgebaut und so dem Orchester ausreichend Raum zu bieten. So prominent postiert erfüllt der Klangkörper auch das große Haus. Transparent und unaufdringlich entwickelt er seine Gestaltung, erratisch legt er Akzente in der monoton melancholischen Stimmungswelt der Partitur. Er unterstützt die Sänger, markiert die Einsätze und leitet sie in der Stimmführung mit bedachter Orchesterbegleitung.
Die Sängerbesetzung entspricht zum Teil noch der Besetzung der Uraufführung. Stephane Degout gestaltet wiederum den König in seiner homoerotischen Leidenschaft steif, sängerisch intoniert und artikuliert der Bariton wortdeutlich und theaterreif mit wenig cantabler Ausschmückung. Der kanadische Bassbariton Daniel Okulitch mimt den karrieresüchtigen berechnenden Geliebten des Königs Piers Gaveston. Dunkel ist die Stimmfärbung und verleiht dem Großgewachsenen wenig homoerotische Ausstrahlung. Sein gesanglicher Part bleibt auf wenige Sprechpassagen reduziert.
Sehr markant in Spiel und Gesang präsentiert Georgia Jarman Königin Isabella von Frankreich und Gemahlin des Königs. Markig und streng sind ihre akrobatischen Sprünge in gesangliche Höhen ohne Schärfe. Samuel Boden ist wiederum der Sohn und Thronfolger. Der Schrecken ist in seinem Spiel mitfühlend erkennbar, die Abrechnung als junger König gelingt dem Countertenor herrschaftlich erwachsen. Der Tenor Peter Hoare erobert in seiner Interpretation des Mortimer viel Platz. Sein Tenor wirkt wortdeutlich und gut verständlich auch im Sprechgesang und beweglich in der feinen Gestaltung und Ausschmückung.
Viel Beifall und Zuspruch beim zahlreich erschienen Publikum. Mit umfangreichen Sicherheitsmaßnahmen und Abstandsregeln ist es den spanischen Theatern möglich einen Spielbetrieb bei bis zu 50% Kapazitätsauslastung aufrecht zu erhalten. Der mutige und verständnisvolle Kulturminister verteidigt seine Entscheidungen mit den bisherigen positiven Erfahrungen.
02. März 2021 | Drucken
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