Famoser Opernthriller für starke Nerven – Tschaikowski Mazeppa in Erl

Xl_mazeppa_erl © Xiomara Bender

Peter I Tschaikowski Mazeppa Tiroler Festspiele Erl 21.7.2024

Famoser Opernthriller für starke Nerven – Tschaikowski Mazeppa in Erl

Selten, viel zu selten wird diese dritte Oper Mazeppa von Peter I Tschaikowski aufgeführt, wie die Resonanz beim Publikum der Tiroler Festspiele zeigt. Es mag an der tristen, mitunter brutalen Handlung liegen, die in der russisch-ukrainischen Nationalgeschichte spielt, denn musikalisch verbirgt sich hier ein Meisterwerk des russischen Komponisten, das die Geschichte um den ukrainischen Heerführer Mazeppa ausdrucksstark transportiert. Bernd Loebe, der künstlerische Leiter der Tiroler Festspiele wagt sich mit dem Regisseur Matthew Wild an diese Opernrarität am Ende seiner Intendanz.  Der Südafrikaner gestaltet die Tragödie der Familie Kotschubej mit viel Gespür und darstellerischem Geschick. Im Mittelpunkt des Libretto steht die Liebesgeschichte der jungen Maria, Tochter von Kotschubej, und Mazeppa, ursprünglich ein Freund der Familie und später erbitterter Gegner.  Die beiden heiraten gegen den Willen Marias Vater, dessen Rache endet in seiner Hinrichtung samt Gefährten. Aber auch Andrej, der Jugendfreund Marias stirbt auf seinem Rachefeldzug gegen Mazeppa. Maria verfällt dem Wahnsinn, sobald sie die fatalen Folgen ihrer Liebe zu Mazeppa erkennt.

Wahrlich ein Stoff für eine Oper: Liebe, Rache, politische Intrige und erbitterte Kämpfe, die das Team rund um Wild konsequent anschaulich und modern, aber mit dem gesunden Instinkt für die Darstellung der Abscheulichkeiten umsetzt. Gelungen das Konzept von Herbert Murauer für Bühnenbild und Kostüme. Er schafft zwei Ebenen, die durch eine weiße Wand voneinander getrennt sind. Diese weiße Wand öffnet sich in der Mitte und gibt den Blick in wechselnde Räume frei, die horizontal verschoben werden. Schon während der Ouvertüre wird das Publikum geschickt mit der Vorgeschichte vertraut. Die kleine Maria wird Zeugin, wie der verletzte Mazeppa von ihren Eltern versteckt und gepflegt wird. Wir sehen das Wohnzimmer, Bad und Kinderzimmer der Familie. Die Räume werden weiters als spätere politische Zentrale Mazeppas, Folterkammer und Schlafzimmer von Maria und Mazeppa genutzt. Auf dem Bühnenraum davor spielen sich insbesondere die Massenszenen mit dem brillanten Chor als Volk oder Anhängerschaft Mazeppas ab. Reinhard Traub leuchtet die Bühnenräume wohl abgestimmt aus, spielt mit Schatteneffekten, die die Wirkungskraft nochmals erhöhen. Bibi Abel steuert Videos und Videoinstallationen bei, die auf die weiße Wand projiziert werden. Trotz der visuellen Flut bleibt die Handlung klar verfolgbar, bewundernswert schrammt die Grausamkeit der Folterszenen und Hinrichtung an der brutalen Geschmacklosigkeit vorbei. Die Farbe rot dominiert die letzten Bilder. Hier ist auch die Personenregie hervorzuheben, die gekonnt Spannung zwischen den Handelnden erzeugt und haltet, nie überbordend und trotzdem lebendig ist.

Der starken Bebilderung folgt Karsten Januschke als musikalischer Leiter mit einer ebenso wirkungsvollen, in weiten Zügen monumentalen musikalischen Interpretation. Vermutlich ist der Schwere und Dramatik der Partitur auch der tiefer gelegte Orchestergraben geschuldet, sodaß die stürmischen wilden Rhythmen als auch aufgestauten melancholischen Melodien trotz des Volumens die Sänger auf der Bühne nicht übertönen und eine angenehme Ausgewogenheit herrscht. Der Hörer badet wahrlich in romantischen Ergüssen von Leidenschaft und Gefühlen, wird aber auch durch heftige martialische Akkorde und Harmonien zu den Gewaltszenen wachgerüttelt. Die Oper ist zumeist gesanglich ausgekleidet durchkomponiert, nur wenige Arien oder Duette bestimmen einzelne Szenen der drei Akte. Das Orchester der Tiroler Festspiele zeigt sich in bester Spiellaune, punktet mit einem vollen einheitlichen Streicherklang und sicheren Bläsern. Dies gilt auch für den Chor der Tiroler Festspiele, von Olga Yanum einstudiert, der wieder einmal keine Wünsche offenlässt. Hilfreich dürfte auch die Zusammensetzung aus zahlreichen russisch sprechenden Mitgliedern sein, die so besonders ausdrucksvoll den Gesang auskleiden.

Das Sängerensemble ist durchgängig bestens besetzt. Alexander Roslavets ist ein markiger Kotschubej, der versteht seine markante Stimme auf die Gefühlsschwankungen einzustimmen. Ein liebender Vater, der sich gegen den Freund stemmt, ein erbitterter Gegner und ein standhaft Gefolterter, der den Qualen widersteht. Mit seiner Bassstimme kann er gut Volumen und Farbe nuancieren. Helene Feldbauer ist seine treue Frau Ljubow. Ihr Bittbesuch bei der Tochter Maria wird zu einem der Höhepunkte des Abends, der die Dramatik der zentralen Gefühlsebenen Hass und Liebe aufeinander treffen lässt. Nombulelo Yende überzeugt mit ihrem reinen klaren Sopran als Maria, die sichtbar naiv und blind in ihr Verderben rennt. Die Reinheit ihres Herzens zerbricht in der brutalen Realität. Petr Sokolov ist ein charmanter doppelbödiger Mazeppa. Sein Bariton verstreut Wärme und verdeckt die Brutalität der Rolle. Dies nutzt der Sänger auch darstellerisch geschickt und kann besonders in seiner Arie 'Oh Maria' überzeugen. Mikhail Pirogov ist ein lyrischer Tenor mit Strahlkraft als Andrej, der besonders die russische melancholische Seele transportieren kann. Sein finaler Gesang an die verwirrte Maria vermag erlösende Klänge zu vermittlen. Dennis Chmelensky als Orlik und Carlos Cardenas  als Iskra sind zwei willfährige treue Gefährten Mazeppas, die mit gefühlter Lust dessen hartherzige Befehle ausführen.

Im Festspielhaus herrscht knisternde Spannung über vier Stunden, gebannt wird das lebendige Geschehen verfolgt und die Ausdruckskraft der Musik gespürt. Großer Beifall und lautstarke Begeisterung zurecht für alle Beteiligten für diese durchgängig exzellente Operninszenierung. Ein gelungenes Beispiel moderner Interpretation und Wiederbelebung selten aufgeführter Meisterwerke.

Dr. Helmut Pitsch

 

 

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