Daniil Trifonov gehört zu den ganz großen Pianisten unserer Zeit. Geboren in einer Musikerfamilie, nimmt er im Alter von 5 Jahren Klavierunterricht. Mit 22 Jahren gewann er 2011 bei den bedeutendsten Klavierwettbewerben in Warschau, Moskau und Tel Aviv. Damit legte er den Grundstein seiner Karriere und schnell wurde sein internationaler Ruf mit höchsten Lobliedern aufgebaut. Mit seiner Bescheidenheit, unbekümmerten Ruhe, unkapriziösen Auftritten nebst seinem unvergleichlichen Können füllt er Konzertsäle landauf und landab. Das Publikum feiert ihn, die Musikindustrie setzt die Marketing -Maschinerie auf ihn. Bisher konnte er aber übermäßige Vermarktung und Überpräsenz vermeiden und fasziniert insbesondere mit seinem Anschlag, der samten weich, zart beseelt, impulsiv und dämonisch zugleich wirkt. Ein Künstler, der alles verbindet und noch mehr zu haben scheint. Neben seinen Soloabende tritt er vermehrt auch als Kammermusiker in unterschiedlichsten Kombinationen auf und als Solist aller grosser Klavierkonzerte ist er begehrt. Ebenso erregte er auch Aufmerksamkeit als Komponist, als er 2013 sein Klavierkonzert in Cleveland vorstellte.
In der 26. Auflage des Verbier Festivals dürfen die Besucher sich über eine ausserordentliche Auftrittserie dieses Ausnahmekünstlers freuen. Mit dem Cellisten Narek Hakhnazaryan aus Armenien, der ebenso 2011 den Tschaikowski Wettbewerb gewann, präsentiert er eine Sonate für Violoncello von Dmitri Shostakovitch und von Serge Rachmaninoff. Wirkungsvoll die technisch anfordernden rhythmisch herausfordernden Sätze des Ersten, harmonisch ausgereizt und in elegische Melodien verpackt die nicht minder anspruchsvollen des Zweiten. Umso mehr ist eine Flexibilität und Klarheit jedes einzelnen aber insbesondere im Zusammenspiel der beiden jungen Künstler notwendig. Führt der Cellist die Stimme muss es dem Pianisten gelingen einen Klangkörper zu gestalten, der sich vereint und mit dem notwendige Mehr verkleidet und trotzdem seine Identität erhalten. So bringen beide die Musik der russischen Komponisten zum schweben, phrasieren exakt und spinnen musikalische Bögen, die in der Seele des Zuhörers aufblühen können. Dabei arbeiten sie den Humor, die tänzerische Leichtigkeit eines Shostakovich ebenso meisterhaft heraus wie die expressionistische Dramatik Rachmaninoffs. Es ist Spannung und elektrische Ladung in der Kirche von Verbier spürbar, ein nüchterner moderner ovaler Betonklotz, der gerade mal etwas mehr als 200 Personen fasst.
Ebenda kommt es am nächsten Abend erneut zur Begegnung mit Daniil Trifonof, diesmal ein Soloabend mit einem ungewöhnlichen ausschliesslich modernem Programm. Zur Einleitung wirkt seine Interpretation Alban Bergs erster Klaviersonate wie eine melodiöse feingliedrige Schöpfung. Es ist das einzige Klavierwerk Alban Bergs, dem der Komponist eine Opus Zahl gab. Lange grübelte er über dem einsätzigem Werk, dem er keine klassische Dreisätzigkeit zu vergeben mochte. Erst mit dem Hinweis seines Lehrers Arnold Schönberg " ..dass alles gesagt sei" gab er sich zufrieden. Diese Vollständigkeit an Ausdruck und Inhalt lässt Daniil Trifonov aufblühen ohne Kontraste und Dramatik zu überfordern. Nahtlos leitet er das Werk über zu den Sarcasmen op 17 von Serge Prokofiev. Wie elektrisiert bewegt er sich am Klavier, springt immer wieder unruhig auf dem Hocker, aber aus seiner inneren Kraft und Explosion übertragt sich keine Unruhe und überbordende Kraft auf sein Spiel. Minutiös feilt er an den schnellen Läufen und Trillern in schillernden Farben und Höhen. Grossangelegten Akkordreihen verleiht er seine bewährte Leichtigkeit und Lockerheit ohne an Ausdruck zu verlieren. Ebenso vielschichtig bewegt er sich in Bela Bartoks Klavierwerk „Im Freien“. Fünf Klavierstücke mit impressionistischen Zügen die einen grossen Stimmungsbogen kreieren. Seine Musikalität vereint mit technischer Perfektion ist in dem Klavierwerk „Der Kuss des Jesuskindes“ aus dem Klavierzyklus 20 Blicke auf das Jesuskind von Olivier Messiaen zu spüren.
Nach der Pause widmet er sich jüngster zeitgenössischer Musik. György Ligeti zählt wie Karl Heinz Stockhausen zu den bedeutendsten Komponisten des 20. Jahrhunderts. Musica Ricercata von György Ligeti, 1951 komponiert, trägt Züge der Kontrapunktik, aber zeigt dessen Suche nach neuen Wegen der Kompositionstechnik und seine Absicht eine Vielzahl von Stimmen auf engstem Raum zu verflechten und so eine besondere Polyphonie zu erreichen. Einer Anforderung, der sich der Pianist in seiner Ernsthaftigkeit kompromisslos stellt und Transparenz in der harmonischen Wuchtigkeit zu schweben beginnt. An der Schwelle zur elektronischen Musik steht der deutsche Komponist Karl Heinz Stockhausen. Seine 19 Klavierstücke lösten bei der Uraufführung Skandale aus, mittlerweile gehören sie zu den Standardwerken der Klavierliteratur und stehen noch der klassischen Musik nahe. Einzeltöne, Pausen, Tongruppen erhalten Gewicht. Der Komponist selbst gibt keine Anweisungen zur Interpretation an den Pianisten, wohl aber an den Hörer ..auf Pausen zu achten, wie lang und still diese sind, je nach nachdem welche Töne danach folgen. Auf dieses Spiel lassen sich die Zuhörer an diesem Abend aufmerksam ein. Meditativ endet der Klavierabend mit der „Fantasie on an Ostinato“ von John Corigliano. Der amerikanische Komponist erhielt zahlreiche Preise für seine Musik sowie eine Oscarnominierung.
Das Publikum bedankt sich überschwenglich für diesen unvergesslichen von höchster Musikalität geprägten Abend bei dem jungen Pianisten, der höflich nahezu unberührt sich bedankt. Zum Abschluss seiner Auftritte beim Verbier Festival spielt Daniil Trifonov mit seinem Lehrer Sergei Babayan gemeinsam Klavierwerke für zwei Klaviere, teilweise gemeinsam mit dem Verbier Festival Chamber Orchestra unter der Leitung von Gabor Takacs Nagy. Robert Schumann verfasste sein Andante und Variationen für zwei Klaviere ursprünglich mit Begleitung, am Ende entschied er sich nur für die beiden Klaviere allein. Johann Sebastian Bach verfasste eine eigene Transkription seines Konzertes für zwei Violinen für zwei Klaviere BWV 1062 und Mozart reihte sein Konzert für zwei Klaviere selbst in seine Klavierkonzerte ein, um die Bedeutung des Werkes zu unterstreichen. Im Anschlag Sergei Babayans erkennt man die Züge seines Schülers. Auch er versteht es weich und kompakt, direkt und transparent zu bleiben und nuancenreich die Interpretation auszuschmücken. Die Zuhörer erleben einen lebendigen nahezu einem Wettkampf oder beherzten Disputs vergleichbar im Wechselspiel der beiden Pianisten, welcher in feinster Harmonie und Eleganz ausgetragen wird. Mozarts unvergleichlicher Schwung und Leichtigkeit mit kompositorischer Dichte kommt fein herausgearbeitet zum Ausdruck und nach einem begeisterten Applaus wird das Finale zurecht wiederholt. Zum Abschluss trumpfen die beiden Pianisten vierhändig mit Mozart auf. Unveränderte Harmonie und gegenseitige Anerkennung spiegelt sich in deren Spiel wieder. Ein weiterer Höhepunkt des Festivals geht zu Ende.
23. Juli 2019 | Drucken
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