© Jakob Steiner
Still ruht der See, die Nachmittagssonne spiegelt auf der glatten Oberfläche die Naturstimmung des weiss blauen bayerischen Sommerhimmels. Ein paar Segelboote treiben mit hängenden Segeln dem Yachthafen zu. Es ist Sommer am grössten bayerischen See und am Land tummeln sich zahlreiche Touristen in bequemer Outfit und ergötzen sich an der Bilderbuchlandschaft. Dazwischen mischen sich ein paar elegant gekleidete Herrschaften und schlendern erwartungsvoll zum Bootssteg. Die Festspiele Herrenchiemsee locken wieder mit einem umfangreichen vielseitigem Programm zum Besuch. Dieses Festspieljahr ist von der traurigen Nachricht des völlig unerwarteten Todes des Gründers, langjährigen Intendanten und Mäzens Freiherrn Enoch zu Guttenberg überschattet. Die Künstler und das Publikum trauern und natürlich steht die Frage der organisatorischen Umsetzung und Sicherung des Fortbestandes der Festspiele im Raum. Hierzu ist bisher keine Entscheidung und Veröffentlichung erfolgt, welche mit Spannung erwartet werden. Mit der altehrwürdigen Fähre Edeltraud geht es dann auf dem Wasser gemütlich zur Fraueninsel mit dem mittelalterlichen Münster, einem architektonischen Juwel im Alpenvorland. Die Aufführungsstätten sind verbunden mit der Romantik der umgebenden Natur einmalig und wesentlicher Bestandteil des Anreizes und Publikumserfolges dieses Festivals.
Das musikalische Europa ist Thema des diesjährigen Programms und in den verschiedenen Konzerten thematisch umgesetzt. Das heutige Konzert verbindet musikalische Kompositionen mit dem Jahr 1685, dem Geburtsjahr der beiden deutschen grossen Komponisten Johann Sebastian Bach und Georg Friedrich Händel. Das Concerto Köln spielt auf Originalinstrumenten der Barockzeit und präsentiert ausgewählte Concerti der beiden Komponisten und eines weiteren Zeitgenossen, des Engländers Charles Avison (1709-1770). Dieser und insbesondere sein in London tätige Lehrer Francesco Germiniani waren für die Entwicklung des "Concerto" als Form des Musizierens im Barock von grosser Bedeutung. Die Lösung enger kompositorischer Regeln hin zu freiem Wechselspiel zwischen Solisten und Orchester spiegelt die Aufbruchstimmung und freiheitliche Bewegung in Europa wieder. Das Concerto Köln widmet sich seit über 30 Jahren der Wiedergabe und Aufarbeitung barocker Kompositionen und sucht immer wieder engagiert neue Interpretationsprojekte. Bei diesem Auftritt verzichten sie auf einen Dirigenten und setzen auf ihre vertrautes Zusammenspiel. Sicherlich ist die Erfahrung gross im Umgang mit der barocken Musik und den Instrumenten, trotzdem verliert das Zusamenspiel an Spannung und Leben im Verlauf der einzelnen Stücke. Exakt gelingen die Einsätze, die Musik nimmt schwungvoll Fahrt auf. Leicht fliessen die ersten Takte aber die Lockerheit und nötige Lässigkeit verflüchtigt sich immer wieder und die Konzentration und das wichtige Hören auf die anderen bremst die tänzerische Direktheit und stacatoartig werden die Taktschläge betont. Anders beim vierten oftgespielten Brandenburgischen Konzert, welches sichtbar zum Standard Programm des Orchesters gehört. Hier fliesst das Orchester mit den beiden Soloflöten zusammen und bildet ein weiches harmonisches Klanggebilde, die Solisten im angeregten Dialog untereinander und mit dem Orchester verströmen einen satten zufriedenen melancholischen Klangboden und halten den Spannungsbogen.
Eine Barockoboe mit ihrem besonders weichen, melancholischen Timbre begleitet den Bariton Benjamin Appl bei seinem ersten Auftritt mit der Aria "es ist vollbracht" aus der Bachkantate Sehet, wir gehn hinauf gen Jerusalem. Bereits in jungen Jahren hat sich Benjamin Appl als Liedsänger einen Ruf von Weltrang ersungen. Seine Stimme zeichnet sich durch Lyrik und Klarheit bis in höchste Töne aus. Berückend schön sind seine ausfahrenden langgezogenen Töne, welche aus dem nichts kommen und ehrfurchtsvoll an Kraft gewinnen. Klanglich passt die Wahl mit dem Soloinstrument perfekt und die beiden Künstlern verschmelzen nahezu. Abwechselnd übernehmen sie musikalische Themen vom Partner und spinnen den musikalischen Faden weiter. In der Artikulation sehr verständlich intoniert Benjamin Appl die Töne kunstvoll von oben und verliert so nicht die Höhe. Schnelle Läufe oder Koloraturen verschwimmen in den tiefen Registern. Da sein Auftritt jeweils mit Orchesterstücken abwechselt, kommt seine Stimme nicht zur vollen Entfaltung. Erst durch die auf einander folgenden Zugaben öffnet sie sich und lässt das Potential erkennen. Mit der Arie " Jesu meine Freude" zeigt er vor dem andächtig lauschenden Publikum engelsgleich höchste Gesangskunst. Silbrig bringt er seinen Bariton in Stellung, locker gestaltet er die freudige Stimmung und auch im Gesichtsausdruck baut er eine Brücke zu den Herzen und Ohren. Langer und kräftiger Beifall aus den Zuschauerreihen bringt deren Dank zum Ausdruck. Draussen vor der Klosterkirche ist der See nunmehr in bunter Farbenpracht getaucht. Die Sonne verschwindet langsam am Horizont und die Schiffahrt wird vom einem glühenden Abendrot begleitet - gefühlt dem Paradies so nahe.
Helmut Pitsch23. Juli 2018
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