Concerto Köln Kent Nagano Festspiele Herrenchiemsee Spiegelsaal 20.7.2024
Festspiele Herrenchiemsee- eine Symbiose aus Kunst, Natur und Musik der Extraklasse
In asiatischer Zurückhaltung übt sich Kent Nagano zumeist, einer der bedeutendsten Dirigenten zur Zeit. Passend bescheiden tritt er aufs Podium, um sich entwaffnend sympathisch für die vergessene Partitur zu entschuldigen. Schnell eilt er die Noten zu holen und zeigt siegessicher das Objekt der Begierde bei seiner Rückkehr. Zwei selten gespielte bedeutender Komponisten der Romantik stehen auf dem Programm des Concerto Köln bei den diesjährigen Festspielen im Spiegelsaal des Schlosses Herrenchiemsee. Romantischer kann kein Rahmen an einem sonnendurchfluteten Nachmittag und mehr noch einer magischen Vollmondnacht für ein klassisches Konzert sein. König Ludwig verstand es, für seine Prunkbauten die richtigen Orte und Architektur auszuwählen. Ein glücklicher Umstand verhalf zum Bau von Klein Versailles auf der Herreninsel, der größten Insel im oberbayerischen Chiemsee.
Heimliche Verbindungen ist der Titel des Konzertes, heimliche Verbindungen sollen laut Programm zwischen den Komponisten und einer übergeordneten Welt bestanden haben. Robert Schumann erhielt Themen seines Konzertes für Violine und Orchester d molll WoO 1 von Engeln in Träumen zugeflüstert. Deshalb wurde das selten gespielte Werk nicht in dessen Werkverzeichnis von seiner Gattin, der Pianistin Clara Wieck Schumann aufgenommen. Im 20. Jahrhundert wurde das Werk wiederentdeckt und Shunske Sato interpretiert es in technischer Perfektion. Das dreisätzige Werk verweilt in einer schwermütigen Grundstimmung und ist an die klassische Sonatenform angelehnt komponiert. Der Solist lässt wenig Rafinesse in der Ausgestaltung der Themen und des Soliparts spüren, verbleibt sehr an den Noten. Kent Nagano begleitet zurückhaltend, transparent und kammermusikalisch wirkt der Klang des Concerto Köln. Mit seiner Zugabe, einem Werk von Johann Sebastian Bach beeindruckt Shunske Sato mit seinen sicheren Griffen, klaren Tongebung und eleganten Läufen.
Bei prächtigen Sommerwetter mit Blick auf den gepflegten Park mit seinen kunstvollen Brunnen gibt es noch Alphornklänge in der Pause zu genießen, die in die umgebende Gebirgskulisse davonschweben. Welch gelungene Einstimmung für das folgende Programm.
Seine vierte Symphonie erhielt als einzige einen programmatischen Titel „ Romantische“. Anton Bruckner verfasste das Werk erstmals 1874, doch fehlende finanzielle Mittel verhinderten die Kopien der Stimmen und die Uraufführung. Später legte Anton Bruckner nochmals Hand an das Werk und eine weitgehende Überarbeitung der Symphonie Nr 4 in Es Dur wurde 1881 uraufgeführt. Die nun in Herrenchiemsee aufgeführte 1. Fassung von 1874, die Urfassung, erlebte erst 1975 seine Uraufführung Die Unterschiede der beiden Fassungen sind interessant sowie aufschlussreich im Vergleich, unterscheiden sich doch manche Sätze insbesondere der dritte, das Scherzo eklatant. Bruckner haftet in der Urfassung noch am Ender der Klassik, die Sonatenform ist klar erkennbar, die Be- und Verarbeitung der Motive in der Durchführung robust und schwer. Mitunter fehlt der Schwung und die Geschmeidigkeit, dafür wirkt die Tonsprache ehrlich und direkt. In der Instrumentierung zeigt sich bereits die Könnerschaft. Die Steigerungen gegen Ende der einzelnen Sätze sind weniger opulent und so durchdringender. Am Ende fehlt sie ganz, der Schluss ist abrupt und unerwartet.
Erkennbar ist im Werk durchgängig Bruckners Religiosität und seine Verbundenheit mit der Natur. Diese „heimliche“ Verbindung ist im Dirigat Naganos gut spürbar, mitunter zelebriert. Ehrwürdig und reduziert sind seine Gesten, unaufgeregt winkt er immer wieder mit der Hand, um die Lautstärke zu reduzieren. Das Orchester ist sehr gut vorbereitet, die Bläser liefern ihren Part präzise, der Streicherklang verschmilzt zu einem harmonischen einheitlichen Klangteppich. Der prachtvolle Spiegelsaal des Schlosses Herrenchiemsee nimmt das Klangvolumen erhaben auf und wird erfüllt von den Stimmungswellen.
Concerto Köln und Kent Nagano ist zu danken, diese Urfassung gerade im Brucknerjahr zu dessen 200. Geburtstag ausgewählt und einem breiten Publikum nähergebracht zu haben. Zu sehr und zu Untecht steht sie im Schatten der späteren Fassung. Das begeisterte Publikum spendet viel Beifall und dankt herzlich dem Dirigenten und Musikern. Durch die Prunkzimmer des Schlosses, vorbei am überdimensionalen Bett König Ludwigs verlassen die Konzertbesucher den Saal und werden schon fast kitschig von einem rötlich strahlendem Vollmond erwartet, der die abschließende Schifffahrt zum Festland ausleuchtet. Ein Konzertbesuch der Spitzenklasse wirkt so noch lange nach.
Dr. Helmut Pitsch
23. Juli 2024 | Drucken
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