Gärtnerplatztheater Hans Werner Henze hält mit "Der junge Lord " der Gesellschaft einen Spiegel vor.

Xl_1558361597_x_l10a4393lordhp1copypogozach © Christian POGO Zach

 

1965 in Berlin uraufgeführt, hat sich das Gärtnerplatztheater in München aufgemacht, diese als Wiedergeburt der Opera buffa gefeierte Oper von Hans Werner Henze neu zu inszenieren. Damals wie heute zeigt sich das Sujet und die Handlung mehr als aktuell. Flüchtlingskrise und Migration finden auch in diesem Werk zusätzlich Platz. In der kleinen deutschen Provinzstadt Hülsdorf Gotha lässt sich der britische Gelehrte Sir Edgar nieder und lebt zum Missfallen der neugierigen Bewohner sehr zurückgezogen mit seiner exotischen Dienerschaft, einem indisch anmutenden Butler und einer schwarzen Köchin. Als er eine von der Vertreibung bedrohte Künstlergruppe bei sich aufnimmt versammelt sich die von fremdartigen Geräuschen aufgebrachte Menge vor seinem Haus. Um diese zu beruhigen erfindet er die Geschichte vom jungen Lord, der zur Erziehung bei ihm weilt. Diesen angeblichen sehr fremdartigen Jungen Lord führt er auch in der guten bürgerlichen Gesellschaft ein, welche von diesem ganz entzückt ist. Auch wenn sich so mancher über das ungewöhnliche Verhalten wundert, wird dieses schnell als neue Mode nachgeahmt. Das Spiel findet ein jähes Ende und die Gesellschaft fällt rasch auseinander, als sich herausstellt, das der junge Lord niemand anderer ist als der trainierte Affe der Künstlergruppe. Die Gesellschaft wurde zum Affen gehalten.

 

Ingeborg Bachmann, die mit Henze über Jahre eng befreundet war, schuf das feinsinnige treffsichere Libretto, wie sie auch die Vorlage von Wilhelm Hauff und den Stoff auswählte. Pointiert, geschliffen und erbarmungslos greift der Text Vorurteile und Engstirnigkeit sowie Gruppenzwang und Borniertheit der Bürger an. Das Stück spielt im ausgehenden Biedermeier. Die Worte sind unverändert aktuell.

 

Hans Werner Henze komponierte hierzu eine progressiv moderne Musik, indem er sich von der Zwölftonmusik abwendet und zu klassischen Harmonien und Disharmonien in Auflösung zurückkehrt. Der Melodiefluss ist sehr monoton gehalten, Rhythmus und Harmonie sind seine Stilmittel, um die Zerrissenheit und Verlogenheit der Gesellschaft markant zu unterstreichen, klassische Tongemälde spiegeln Einigkeit und Zweisamkeit wieder ohne zur Tonalität zurückzukehren.

 

Wieder einmal führt Brigitte Fassbaender am Gärtnerplatztheater Regie und nähert sich realistisch und  gegenständlich mit vielen Details der handlungsreichen Geschichte. Dietrich von Graebmer schuf dazu eine ästetische an ein Puppenhaus erinnernde Bühne und steckt die Gesellschaft in elegante Kleider, die dem Biedermeier nachempfunden sind, inklusive Hüte. Zur Überbrückung bzw Begleitung der Zwischenspiele werden Videos von Raphael Kurig und Thomas Mahnecke auf die grosse Leinwand projiziert, die einem Drohnenflug durch die saubere Kleinstadt gleichen. Alessio Attanasio unterstützte die Regisseurin mit witzigen, flotten Choreografien, die von allen Beteiligten wohl einstudiert zur Aufführung gebracht wurden. Gleich von Beginn ist Leben auf der Bühne. Die Mitglieder des Chores, der bestens von Felix Meybier vorbereitet ebenso der Kinderchor von Verena Sarre, flanieren durch die Strassen ihrer geleckten hell erleuchteten Stadt. Der Stolz, sowie eine satte Langeweile ist ihnen anzumerken. Meist ist die Bühne voll ja fast übervoll, aber es wirkt nicht überladen oder chaotisch. Hier zeigt sich die Erfahrung der Regisseurin. Auch die typischen Bewegungen eines Schimpansen integriert sie ohne die Situation für gezwungene komische Effekte zu nutzen. Die Seitenhandlungen der Liebe von Wilhelm und Louise fügt sich genauso gut ein.

 

Gross ist das Aufgebot an Sängern für die zahlreichen Rollen, zumeist aus dem Ensemble des Hauses. Maximilian Mayer hat es übernommen, die Rolle des vom Affen zum Lord Barrat Mutierenden zu gestalten. Viel Augenmerk liegt in seiner  Gestik und überzeugenden Gesten, ein geringerer Anteil fällt auf den Gesang. Auffallend die Darstellung der Baronin Grünwiesel durch Ann Katrin Naidu, nicht nur durch Kostüm und Perücke. Maria Celeng singt ihr Mündel Luise, die in ihrer Begeisterung für den jungen Lord ihre Liebe zu dem Studenten Wilhelm, dargestelt von Lucian Krasnec vergisst. Beide kommen sehr gut mit der Ausgestaltung der Rollen zwischen Sprech-und ariösen Liedgesang zurecht. Christoph Filler versteht es der schrägen Rolle des Sekretärs von Sir Edgar eine freche und frivole Prägung zu geben. Jennifer  O'Loughlin ist eine charmante, gehässige Frau Oberjustizrat Hasentreffer.

 

Ebenso klar und wohl austariert gestaltet Anthony Bramall am Pult des Orchesters des Staatstheaters am Gärtnerplatz die musikalische Interpretatipn mit dem groß besetzten Orchester. Solisten reihen sich aneinander, selten wird der volle Breite Orchesterklang ausgespielt. Umso müssen Einsätze exakt und Lautstärke sowie Tempi abgestimmt und getrimmt werden. Es gelingt eine schwungvolle verständnisvolle Interpretation, die auf den Zuhörern lastet aber nicht belastet.

 

Grosser Beifall und Begeisterung im ausverkauften Haus für diese witzig, spritzige und handwerklich sehr gelungene und aufwendige Neuinszenierung.

 

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