Auch das Opernhaus Zürich bietet wie die meisten Theater kostenlosen Livestream ausgewählter Aufführungen der Vergangenheit in Zeiten von Corona an. Ohne Registrierung kann angenehm unkompliziert über die Website des Opernhauses das Angebot abgerufen werden. Mit 5. April beginnt die Oper ihr online Programm mit einem Stream der gefeierten Ballettaufführugen von Giuseppe Verdis Requiem in der Choreografie von Christian Spuck, Leiter des Ballett Zürich. Die Produktion feierte 2016 seine Premiere und ist eine szenische Kombination aus Sängern, Tänzern und einem großen Chor.
Die Philharmonia Zürich spielt unter der Leitung des Chefdirigenten des Züricher Opernhauses Fabio Luisi, Solisten ersten Ranges treten auf der Bühne, eingebunden in das tänzerische Konzept, allesamt in schwarz gekleidet auf. Krassimira Stoyanova, Sopran und die Mezzosopranistin Veronica Simeoni , genauso wie der Tenor Francesco Meli und der Bass Georg Zeppenfeld fügen sich in edlem Gesang aber auch in ausdrucksstarken Gesten und verschiedenem tänzerischen Einklang mit dem Ballett Zürich zu einer Einheit zusammen.
„Tanz und Gesang zu verschränken, ist eigentlich immer zum Scheitern verurteilt. Man kann es versuchen, aber eine wirkliche Verschmelzung wird es nie geben, denn das würde bedeuten, dass der Sänger tanzt und der Tänzer singt. In meiner Choreografie berühren sich Sänger und Tänzer manchmal oder geben sich gegenseitig gestische Impulse, viel weiter kann ich in meiner abstrakten Lesart kaum gehen.“ So äußerte sich Christian Spuck bei den Probenarbeiten zu diesem außergewöhnlichen Projekt. Auch andere Kollegen wie John Neumeier in Hamburg haben szenische Umsetzungen der grossartigen Totenmesse des italienischen Komponisten erarbeitet.
Christian Spuck beginnt langsam, getragen ruhig im Introitus. Bevor die Musik einsetzt, tasten sich einzelne Tänzer an der hinteren Bühnenwand im Halbdunkel auf die Bühne. Nahezu unhörbar setzt die Musik ein und im Hauch des Chores gelangen weitere Tänzer in leichten wenigen Bewegungen auf die Bühne.
Ein Bewegungsausbruch startet im Dies Irae. Wie ein wild gewordener Kobold verrenkt sich ein Tänzer am Boden, markante kraftvolle Bewegungen und ausufernde Sprünge gehören dazu. Bei Einsatz der Trompeten verfällt eine Tänzerin in einem Freiheitstaumel, der sich zu einem Pas de trois mit zwei Tänzern entwickelt. Georg Zeppenfeld schreitet gemächlich auf die Bühne, dem Treiben wird ein Ende bereitet und die Tänzerin erstarrt.
Die Einbindung der Solisten ist in sich schlüssig und gefühlvoll. Choreografisch werden harmonisch steigernde Gruppenbilder erzeugt. Immer wieder findet man sich erzählerisch in die Leidensgeschichte Jesu versetzt, verkörpert durch die Ballerina. Die Begegnung mit dem Leid und Tod ist spürbar.
Viele Gruppenbilder beeindrucken durch die grosse Anzahl der Tänzer und - innen. Es war dem Choreografen ein Anliegen, da die Ballett Comüpagnie „soviele Temperamente und Persönlichkeiten besitzt“. Hinreißend ist die Symbiose Tanz zur Musik zu fühlen, Legati werden raumgreifend geschwungen geranzt. Ein fahrender Scheinwerfer grenzt die halbdunkle Bühne für Soli ein.
Am Ende des Lacrymosa schreiben die Tänzer Zitate mit Kreide auf die Bühnenwand und treten gespenstisch ruhig ab - Todesstille erfüllt wirkungsvoll den Raum.
Erlösend setzt das Domine Jesu des Offeritorium ein, vertrauensvoll die Todesstimmung aufhellend. Im folgenden himmelsgleichen Gesang zeigt sich eine neu gewählte tänzerische Ausdruckskraft, ruhig und lyrisch, die sich auch farblich in den Kostümen niederschlägt. Zwei Tische dienen zusätzlich als Utensilien für die Choreografie - sind es bereits göttliche Opferrituale.
Im Sanctus tritt der Doppel Chor auf die Bühne und strahlt wiederum eine neue Ausdruckskraft aus. Zwei Tänzer tragen eine Tänzerin wie eine Heiligenfigur in verschiedenen Positionen einer Prozession vergleichbar.
Das Agnus Dei eröffnen die Solisten am Tisch sitzend und stehend, elegisch schwebt förmlich ein Tänzerpaar dazu in verschlungenen Posen. Im Lux aeterna bleibt der ruhige zurückgenommene Anbetungsstil vorherrschend. Feierlich bedächtig bewegen sich die Tänzer zumeist am Boden liegend, bevor im Responsorium wieder die meisterhaft ausgefeilte Choreografie für die grosse Truppe zurückkehrt. Einer Welle im Stadium vergleichbar rauschen Bewegungsabläufe fliessend durch die Gruppe. Der grosse Chor kommt zum Libera me zurück, poesievoll vollführen zwei Tanzpaare ihre Einlage.
Ruhig klingt das Sopransolo im verdunkelten Saal aus.
Respektvoll ist der Umgang mit dem Thema und der Musik in dieser stimmigen Choreografie, die sowohl Tänzer, Solisten und Chor miteinbezieht. Sehr innig ist die Stimmung eingefangen. Das Requiem, das Werk und die Musik, nimmt viel Raum ein und die Choreografie findet sich sehr natürlich unaufdringlich ein. Das opernhaft Dramatische des Werkes kommt so erst recht gut zur Geltung.
Der Stream ist noch bis 12.4.2020 abrufbar.
06. April 2020 | Drucken
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