Glyndebourne Cendrillon Aschenputtel schwebt bezaubernd zwischen Traum oder Wirklichkeit

Xl_7053e294-9c52-4a6b-8e02-fe06d72d12f1 © Helmut Pitsch

Seit 1934 steht Glyndebourne für feinste englische Operntradition in privater Atmosphäre. Berühmt ist das inspirierende Picknick im naturbelassenen Park mit Blick auf weidende Schafe, Hügel und Wälder. Die Begeisterung des operninteressierten Publikums ist gross und über die Jahre hat sich das beschauliche Landgut zu einem bestens ausgestatteten Aufführungsort mit einem modernen Theater in Hufeisenform und ausgezeichneter Akustik für 1200 Besucher vor den Toren Londons entwickelt. Alljährlich finden die Opernfestspiele dort von Mai bis September mit dem Hausorchester, den London Philharmonic Orchestra und ausgewählten internationalen Sängern mit Aufführungen von sechs Werken statt.

Jules Massenet steht für die späte französische romantische Oper am Ende des 19. Jahrhunderts. Mit Franz Liszt befreundet wirkte er als Lehrer am Konservatorium in Paris von Enescu und Charpentier und steht so an der Wende zur expressiven Moderne. Seine zahlreichen Opern wurden zu Lebzeiten mit unterschiedlichem Erfolg aufgeführt, zählten aber sämtliche zum Repertoire der Theater. In der heutigen Zeit gelten diese ausser Manon oder Romeo et Juliette eher zu den Raritäten. Nicht immer zu recht.

Seine 1898 uraufgeführte Oper Cendrillon, eine weitere Vertonung des Aschenputtel Märchens auf Basis der Erzählung von Charles Perrault, wird nun zum ersten Mal in Glyndebourne aufgeführt und findet sich selten auf Spielplänen. Dabei ist dieses Werk voller hochromantischer Arien sowie ausgedehnter Ballettmusik mit vollem spätromantischem Orchesterklang und expressionistischen Ausbrüchen. Das London Philharmonic Orchestra unter John Wilson arbeitet ausdrucksvoll diese Vielfalt und Feinheiten heraus. Mit Schwung und englischer Eleganz schimmert der Orchesterklang nie überladen aber trotzdem vollmundig und sehr klar gezeichnet.

Viel Gespür für märchenhaftes Erzählen auf der Bühne zeigt Fiona Shaw. Die Regisseurin hat das Werk für Glyndebourne on Tour 2018 inszeniert. Jetzt wurde es für das Opernhaus angepasst. Vier drehbare dreieckige Zylinder, an jeder Seite unterschiedlich gestaltet, bilden das Bühnenbild von Jon Bausor und zeigen das Wohnhaus, den Palast und mit einer Spiegelwand die Traum- und Feenwelt. Zwischen Traum und Realität gleitet diese Inszenierung ohne Brüche und hält den Betrachter in dieser Leichtigkeit gefangen ohne Umbaupausen. Besonders geschickt werden die Ballettstücke interpretiert. Meist obliegt es Kobolden und Elfen tänzerisch in leicht fließenden Verrenkungen zu spielen und das Aschenputtel in der Traumwelt zu führen. Die heile Welt der kleine Lucette wird immer wieder eingespielt. Lucette, die nach dem Tod der Mutter und erneuten Heirat des Vaters zur gedemütigten Cendrillon wird, ist auch als Schmetterling, ihrem Kosenamen, symbolhaft eingegliedert. Bewusst hat Fiona Shaw sich als Prince Charmant für eine Hosenrolle entschieden. Den Prinz zeichnet sie als typischen Mädchenschwarm, ein aufbegehrender melancholischer Popstar mit weiblichen Zügen.

So übersetzt ihn Kate Lindsey meisterhaft gespielt um. Stimmlich ist ihr Mezzo dunkel gefärbt und sie führt nuancenreich die kraftvolle Stimme mit Gefühl. Kindlich schwärmerisch und begeisterungsfähig setzt Danielle de Niese ihren süßlichen hellen Sopran als Cebdrillon gegenüber und beide bezaubern als Liebespaar. Nina Minasyan als in die Jahre gekommene erfahrene gute Fee erscheint im eleganten Kleid mit Zigarette. Sicher springt sie beherzt in der anspruchsvollen Partie in den hohen Koloraturen mit mystischen Ausdruck. Lionel Lhote spielt den einfältigen Vater, gemütlich und ergeben. In der Mittellage kann er mit seinem Volumen punkten, in höheren gefühlvollen Legati dünnt die Stimme aus. Viel Komik und Schrille kennzeichnet die Rollen von Agnes Zwierko als Stiefmutter und Julie Pasturaud und Eduarda Melo als ihre beiden närrisch und giftig anmutenden Töchter. Ein bezaubernder und ein verzaubernder Opernabend, der sich in der wunderbaren englischen Garten- und Parklandschaft rund um das Opernhaus stilvoll fortsetzt.

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