Große Symphonik mit Gänsehauteffekt

Xl_philharmonisches_staatsorchester_hamburg_foto_felix_broede_1_web_1.jpg__1420x695_q85_crop_subject_location-764_600_subsampling-2_upscale © Felix Broede

Philharmonisches Konzert Elbphilharmonie Hamburg 29.9.2024

Große Symphonik mit Gänsehauteffekt

Der Gesundheitszustand Anton Bruckners verschlechterte sich gravierend nach Vollendung seiner achten Symphonie. Im Aberglauben begann er die Komposition 1887 seiner neunten Symphonie in d- moll. Es ist dies die gleiche Tonart wie die Neunte seines angebeteten Meisters Ludwig van Beethovens. Nach wenigen Monaten schuf er drei Sätze und hinterließ das Werk unvollendet.

Weit und ausladend gelingt ihm der erste Satz in einer feierlichen Grundstimmung. Ein Fanfarenthema wechselt sich mit einem lyrischen Thema ab. Gewaltig ausgebaut sind die Steigerungswellen, um doch am Ende in Stille zu verklingen. Das Scherzo folgt im zweiten Satz schwungvoll und farblich freudig ausgekleidet. Den Tod erahnend will der tiefgläubige Meister im folgenden Adagio sein Meisterwerk liefern. „Das Schönste soll es werden“ hatte er selbst geschrieben.

Mit spürbarem Respekt und Ehrfurcht nähern sich Kent Nagano und sein Philharmonisches Staatsorchester Hamburg diesem musikalischen Erbe Anton Bruckners, dessen 200. Geburtstag dieses Jahr gefeiert wird. Es ist dies das Eröffnungskonzert der letzten Saison Naganos als Generalmusikdirektor an der Hamburger Staatsoper und somit Chefdirigent des philharmonischen Staatsorchesters. Während der mehrjährigen Zusammenarbeit sind die beiden harmonisch zusammengewachsen und zeigen dies eindrucksvoll. Mit etwas Verspätung aufgrund eines technischen Fehlers in der Sprinkleranlage und nachdem absolute Ruhe im großen Saal der Elbphilharmonie herrscht, gibt der charismatische Dirigent den Einsatz. Es herrscht Spannung vom ersten Takt, hochkonzentriert folgen die Musiker. Immer wieder feilt der Maestro am Spiel, treibt die Musiker voran, um den Bogen zu halten. Viel Augenmerk liegt in der Rhythmik, akzentuiert wird der Takt gehalten, nuancenreich wird von den Streichern gezupft und gestrichen. Die Bläser werden von Bruckner vielschichtig eingebunden und von Nagano entsprechend gefordert. Majestätisch erobert sich die Klangfülle den großen Saal und vereinnahmt die Zuhörer.

Eigentlich hatte Bruckner testamentarisch verfügt, sein Te Deum als Finalsatz zu verwenden. In Hamburg entschied sich Nagano für ein gewagtes Kontrastprogramm und wählte die vertonte Communio aus der Totenmesse, das Lux  Aeterna von György Ligeti als Finale im Anschluß an die Originalfassung von Bruckners 9. Symphonie. Nachdem das Ende des dritten Satzes im Saal ausgeklungen ist, wird das Licht gedimmt. Magisch erklingen die Gesangsstimmen des Vokalensemble LauschWerk aus dem Off und verteilen sich eindringlich im Raum. Ohne Melodie statisch legen sich die Stimmen aufeinander, finden immer wieder im Gleichklang zueinander. Präzise vereinigen sich die Stimmen in einem Ton, um wieder auseinanderzudriften. Das polyphone Klanggebilde entwickelt eine mystische Ausdruckskraft. Packend ist die bestechende Klarheit der einzelnen Töne und Tonschritte die unaufhaltsam keinem erkennbaren Ziel zuschreiten, um unerwartet auszuklingen. Wieder herrscht betörende Stille, nun geht das Licht aus und im Dunkeln flammt der Beifall auf. Großer Jubel für das Orchester, Dirigent, den perfekt agierenden Chor und dessen Chorleiter Martin Steidler.

Dr. Helmut Pitsch

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