Guter Start in die neue Saison mit Lohengrin in Lübeck

Xl_8fb76aab-55ad-409c-a4ad-e6feaa2fcf1d © Jochen Quast

LÜBECK: LOHENGRIN - Premiere am 4. September 2022

Guter Start in die neue Saison

Vom Regisseur Anthony Pilavachi ist man in der Hansestadt Lübeck, an dem Theater, wo Thomas Mann seinen Wagner kennenlernte, immer Gutes gewohnt. Von 2007-09 inszenierte er hier einen „Ring des Nibelungen“ der sich international sehen lassen konnte, trotz einiger Ungereimtheiten, wie der Tatsache, dass Erda mit der kleinen Brünnhilde schon im „Rheingold“ auftritt und der Wanderer Erda im „Siegfried“ erwürgt. Aber so etwas ist ja mittlerweile fast schon zur Regel des Wagnerschen Regietheaters geworden, obwohl es keinen Sinn macht. 2012 und 2013 inszenierte Pilavachi noch einen gelungenen „Parsifal“ und ebenso eindrucksvoll „Tristan und Isolde“.

So gab es also guten Grund, erneut die doch relativ weite Reise von Wien an die Ostsee anzutreten, um seine Premiere des „Lohengrin“ zu sehen und zu hören. Und grosso modo wurde man auch nicht enttäuscht. Erfreulich schon, dass sich der Vorhang nicht gleich zu Beginn des ätherischen Vorspiels hebt, sondern erst etwa zur Hälfte. Dann wird es aber gleich heftig. Denn man sieht, wie Ortrud mit Hilfe Telramunds dem kleinen Gottfried die Kehle aufschlitzt, ihn in ein Kellerverlies entsorgt, das Messer der schlafenden Elsa vor die Hände legt und sein kleines Jäckchen mitten auf die Bühne wirft, sodass es die Brabanter gleich sehen können und auch die vermeintliche Täterin haben. Dieser kriminelle Akt kommt Wagners Intention immerhin näher als die abstruse Vorstellung von Jossi Wieler, Sergio Morabito und Anna Viebrock bei den diesjährigen Salzburger Osterfestspielen, wo Elsa den Kleinen - auch während des Vorspiels - umbringt und die „Lohengrin“-Geschichte nur „inszeniert“, um die Brabanter von ihrer Mordtat abzulenken.

Bei Anthony Pilavachi steht - im Übrigen völlig werkgerecht - die gleichzeitige Behandlung von politischen und persönlichen Themen in Wagners Romantischer Oper im Vordergrund. Die Rittergeschichte, an die „Lohengrin“ anknüpft, war ihm nur ein Vorwand für seine Botschaft, die seine Gegenwart betraf, nämlich ein Künstler zu sein, der in der realen Welt keine Heimat findet. Ähnlich könnte man Wagners Intention auch beim „Tannhäuser“ sehen, wie ja überhaupt viele seiner Bühnenwerke autobiographische Züge aufweisen. Dazu ist sicher auch Wotan ebenso wie Fricka (als seine erste Frau Minna) zu rechnen. Pilavachi zeigt die Brabanter als völlig herunter gekommenes Volk, das schon im Schlamm watet und alle Zeichen der Verwahrlosung trägt. Die vier Edelknaben, hier junge Damen (Therese Meinig, Nataliya Bogdanova, Frederike Schulten und Iris Meyer), verkörpern eher leicht zugängliche Prostituierte als Edles…

Das verfallene Bühnenbild, eine ruinöse Kathedrale, von Tatjana Ivschina, symbolisiert ebenfalls die Ästhetik des Verfalls und gesellschaftlichen Kontrollverlusts. So ist es ein Leichtes für die wohl nur vordergründig elegant gekleideten Sachsen unter Heinrich dem Vogler als opportunistischem Politiker herzukommen und die Brabanter als Söldner zu werben für den Waffengang gegen die Ungarn. Elsa ist de facto, wie es der Regisseur in einem Gespräch im Programmheft formuliert „wie ein heller weißer Schwan inmitten von Schmutz und Dreck.“ Das Bühnenbild rotiert immer wieder sinnvoll, um kleinere Räume zu bilden für neue Szenen und Dialoge, wie zum Beispiel zwischen Ortrud und Telramund im 2. Akt. Hier entsteht dann sogar eine gewisse optische Intimität. Im weiteren Verlauf, und das ist ein guter und relevanter Ansatz, versucht Pilavachi Elsas Wunsch zur Selbstbestimmung zu zeigen, der ihr aber ständig verwehrt wird, erst von den Brabantern, dann in besonderem Maße von Ortrud und Telramund. Sie erlebt letztlich keine eigene Identität, was in Lübeck dramaturgisch effektvoll und nachvollziehbar herausgearbeitet wird. Und sie kann sie auch nicht über Lohengrin erreichen, der seine Identität nicht einmal preisgeben kann. Pilavachis Ansicht, das seine (vermeintliche) Suche nach der eigenen Identität dadurch verdeutlicht werde, dass er seinen Namen nicht nennen kann, ist wohl kaum beizupflichten. Lohengrin hat sehr wohl eine ganz klar umrissene Identität, wie er in der Graslerzählung später darlegt. Nur ist er auf der Suche nach sich selbst als Mensch, vielleicht nach dem ultimativen Sinn seines Lebens, wohl über Elsa - obwohl er sie nach einem Jahr wieder verlassen will/muss.

Ihre Beziehung kann nicht gelingen, denn sie verstehen sich beide nicht, was im 3. Akt besonders deutlich wird. Elsa, und da hat der Regisseur völlig Recht, will eine gleichberechtigte Frau sein, was aber zu Wagners Zeiten noch Utopie war. Das ist die persönliche Ebene, die sich auch beim dem dunklen Paar vollzieht. Sie werden von schweren Gewissensbissen angesichts der Mordtat geplagt, was Pilavachi dadurch zeigt, dass der kleine Gottfried immer wieder mal über die Bühne wandelt, ihr Gewissen belastend. So sind der 1. und 2. Akt der Lübecker Neuinszenierung durchaus sinnvoll, dramaturgisch nachvollziehbar und auch optisch nach diesem Regiekonzept gut in Szene gesetzt.

Das ändert sich leider im 3. Akt, als ausgerechnet während des Vorspiels Heinrich der Vogler sturzbesoffen von der Hochzeitsparty auf einem Stuhl in seiner Unterhose hängt und von den vier „Edeldamen“ à la „Hoppe, hoppe Reiter“ bestiegen wird. Hier geht die Vorstellungskraft des Absurden und Unpassenden wieder mal mit Pilavachi durch. Die Brabanter befinden sich schon in Tarnanzügen nach erfolgreicher Mobilmachung… Das Schwert (Lohengrins) beherrscht von Anfang an den Bühnenvordergrund, wie ein Symbol für Gerechtigkeit in dieser falschen Welt - ein guter Regieeinfall!

Beim Sängerensemble gab es viel Licht, aber auch etwas Schatten. Anna Gabler sang eine intensive und auch darstellerisch überzeugend auf ihre Identität pochende Elsa, mit kraftvollem, manchmal etwas unruhigem Sopran. Peter Wedd konnte als Lohengrin nur bedingt überzeugen. Er wirkte wie ein alter Mann, den generellen Vorstellungen eines Lohengrin geradezu widersprechend. Aber es sollte wohl auch so gemeint sein. Bei guter Diktion ist das Timbre nicht sehr schön, lässt es an tenoraler Strahlkraft missen. Webb hat kein Charisma für die Rolle. Aber vielleicht wollte der Regisseur ihn auch als Betrüger zeigen, was er im Programmheft als eine Möglichkeit für die Figur andeutet. Dazu würde dann aber die Musik Wagners ganz und gar nicht passen! Und schon gar nicht die Gralserzählung.

Rúni Brattaberg ist als Heinrich der Vogler vokal völlig daneben. Die Stimme schleift, bricht in den Höhen nahezu ab und hat auch kaum Tiefe. Eigentlich hätte er sich ansagen lassen sollen. Dies tat aber Anton Keremidtchiev als Telramund, der diesen daraufhin wunderbar sang, mit guter Nuancierung und viel Ausdruck, bei bester Direktion. Bea Robein war ihm mit ihrem kraftvollen Mezzo eine Partnerin auf Augenhöhe, sodass, auch darstellerisch, die Szenen des dunklen Paares zu den Höhepunkten des Abends zählten. Jacob Scharfman war ein begnadet sindender Heerrufer und empfahl sich hiermit zweifellos für größere Aufgaben.

Stefan Vladar zauberte mit dem Philharmonischen Orchester der Hansestadt Lübeck einen musikalisch großartigen „Lohengrin“ mit viel Feingefühl für die vielen subtilen Momente, was schon im Vorspiel offenbar wurde. Auch die großen Szenen mit den bestens gespielten Fanfaren im Saal und dem Chor gelangen eindrucksvoll. Das Orchester ließ zu jedem Zeitpunkt erkennen, dass es nach den vielen Jahren mit den größten Werken des Komponisten über eine hohe Wagner-Kompetenz verfügt. Der von Jan-Michel Krüger einstudierte Chor und Extrachor des Theater Lübeck fügte sich harmonisch und dramatisch bestens in das musikalische Gesamtbild ein. Lübeck ist mit diesem „Lohengrin“ beachtlich in die Saison 2022/23 gestattet. Klaus Billand

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