Ambroise Thomas Hamlet Salzburger Festspiele 19.8.2024
Hamlet als Sängerfest für eine Opernrarität in Salzburg
Der 1811 geborene französische Opernkomponist Ambroise Thomas hat es nur zu Lebzeiten zu einer gewissen Berühmtheit geschafft. Er hinterließ ein umfangreiches Werk und war als Direktor des Konservatoriums in Paris tätig. Von seinen 19 Opern findet nur Mignon gelegentlich den Weg auf die Spielpläne. Umso erfreulicher ist die Initiative der Salzburger Festspiele seine Oper Hamlet in einer konzertanten Aufführung an zwei Abenden mit erlesenster Besetzung in das diesjährige Programm aufzunehmen.
1868 fand die Uraufführung der ersten Fassung nach dem bekannten Bühnenwerk Shakespeares, aber mit glücklichen Ausgang in Paris statt. Hamlet wird vom Geist seines Vaters am Selbstmord gehindert und zum König ausgerufen. 1869 erlebte eine zweite Fassung in London ihre Uraufführung mit dem Original tragischen Ende.
Bertrand de Billy leitet in der Felsenreitschule als nüchtern bestens geeignete Kulisse am Pult des Mozarteumsorchester eine Wiedergabe der ersten Pariser Urfassung mit zumeist französischen Sängern und Sängerinnen und dem Philharmonia Chor Wien. Dank der engagierten Spiel- und Ausdrucksfreude des Ensembles gelingt eine lebendige spannende Wiedergabe, die auch Emotionen hervorruft.
Stéphane Degout verschmilzt nahezu dem Abend über in die Titelrolle des treuen Prinzen, der den Mord an seinem Vater nicht ungesühnt lassen kann und die Intrige am Hof aufdeckt. Vom Verstörten und Verunsicherten entwickelt er sich zum Rebellen, der einen Psychpoten realistisch vorgibt bis er selbst an dem Wahnsinn und Tod seiner Geliebten Ophelie nahezu zerbricht. Bewundernswert nutzt er neben Mimik und Gestik seinen Bariton als Stilmittel. Farbe, Schmelz und sprachlicher Ausdruck kann er mit einer Leichtigkeit in seiner Technik varieren. Elegant mit jungfräulicher Reinheit steht ihm Lisette Oropesa als seine geliebte Orphélie gegenüber, die er, nachdem er die Mitschuld ihres Vaters erkennt, verstösst. Die folgende Wahnsinnsarie zählt zu den größten Herausforderungen für Koloratursopranistinnen, die die junge Amerikanerin atemberaubend mit vokaler Sicherheit und perlenden Tönen gestaltet. Eve-Maud Hubeaux schwankt als Hamlets Mutter und Mörderin am Ehemann zwischen Schuld und verletzten Muttergefühlen. Sie nutzt ihren kühlen klaren Mezzo geschickt für kontrollierte höfische Haltung und dramatische Ausbrüche. Jean Teitgen ist als Bruder und Nachfolger von Hamlets Vater auf dem Thron und im ehelichen Bett mitschuldig am Mord. Seine fortschreitende Reue lässt ihn zwischen Autorität und Wahnsinn schwanken. Sein Bass ist in der Tiefe spröde und wechselt farblich zu einer flexiblen Mittellage und Höhe. Clive Bayley zieht als Geist des ermordeten Königs orakelhaft von der Galerie der Felsenreitschule die Fäden der Handlung. Mystisch erscheinen so seine Auftritte. Auch die Nebenrollen sind durchgehend bestens besetzt und man hat sich gewünscht, mehr von den jungen Sängern wie Julien Henric als Laerte oder Raul Gimenez als Marcellus zu hören.
Dafür brilliert der Philharmonia Chor Wien, bestens von Walter Zeh einstudiert, in vielen Szenen sehr präsent.
Ein großer Abend für die Festspiele und ein hervorragendes Beispiel, wie mit wenigen Mitteln ein mitreißend spannender Opernabend entstehen kann.
Dr. Helmut Pitsch
22. August 2024 | Drucken
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