Sieben Jahre wurde an der Berliner Staatsoper gebaut und gebaut. Wie bereits leidvoll bei öffentlichen Aufträgen üblich, wurde es auch hier deutlich länger und teurer. Deutlich besser sollte die Akustik durch ein um 5 m gehobenes Dach werden, um den Schall um 0,7 Sekunden zu verlängern. Im Erscheinungsbild draußen und drinnen sollte die Architektur des DDR Rokokos prägend bleiben. Nunmehr ist es soweit und die Stadt Berlin und die Staatsoper haben zu einem denkwürdigen Präludium eingeladen. Für ein paar Abende wird das Haus mit publikumswirksamen Veranstaltungen drinnen und draußen mit roten Teppich eröffnet, um dann wieder für die Restarbeiten zwei Monate geschlossen zu bleiben. Ein teures Vorspiel wird medienwirksam von der anwesenden Politprominenz unterstützt. Kaum ist das hektische Blitzlichtgewitter erloschen, schreitet der Bundespräsident ans Rednerpult auf der neuen Bühne vor den aus Gold und Kristalluster nur so strahlenden Zuschauerraum und eröffnet das Haus mit einer Hommage an die Kunstform Oper. Ob diese nun unterbrochen, vorgespult oder gezappt werden kann, muss nicht diskutiert werden. Die Bedeutung des Kulturlebens für unsere Gesellschaft steht bei allen knapp gehaltenen Reden außer Frage. Der Hausherr Intendant Jürgen Flimm leitet mit einem Goethe Zitat passend zur Aufführung von Robert Schumann selten gespielten Werk Szenen aus Goethes Faust "Zum Augenblick sagen: Verweile doch! Dies werden sich viele Politiker angesichts der schwierigen politischen Lage auch gedacht haben. Endlich eine gute Nachricht und dann an diesem geschichtsträchtigen Ort mit eine starken Zeichen für das Berliner Kulturleben, das in den letzten Jahren immer wieder im Mittelpunkt von Sparaktionen stand.
Das Werk Schumann ist schwer einzuordnen, zumeist wird es als Oratorium geführt und umfasst 3 Teile. Das Textbuch hat der Komponist selbst auf Fragmenten aus Faust I und Faust II verfasst. Ein logischer Handlungsablauf ist nicht gegeben. Zehn Jahre hat er insgesamt an dem Werk gearbeitet. Nach der Aufführung des zuerst komponierten dritten Teiles hatte er sich für die Komposition der zwei weiteren voranstehenden Teile entschieden. Zuletzt hat er noch drei Jahre für die Ouvertüre gebraucht. Eine Aufführung des gesamten Werkes hat er nicht erlebt. Oft ist eine solche auch nicht erfolgt. Auch diese Aufführung hier in Berlin ist der Not geschuldet, da das ursprünglich vorgesehene Auftragswerk Saul von Wolfgang Rihm, nach Bodo Strauß nicht rechtzeitig fertig wurde, ein weiterer Stolperstein.
Der Hausherr Jürgen Flimm inszeniert selbst und Markus Lüpertz, das Enfant terrible der deutschen Kunstwelt, gestaltet die neue auf letztem technischen Stand ausgestattete Bühne mit grossflächigen wuchtigen bunten Figuren und einem Guckkasten in der Mitte mit bunt ausgemalten Wänden, ohne jeglichen technischen Anspruch. Historisiert und bunt sind die effektvoll gestalteten Kostüme von Ursula Kudrna. Hell und freundlich leuchtet Olaf Freese den Raum aus. Zu Beginn gleich noch eine Hommage an die ehemals hier gefeierte Grande Dame Anna Tomowa Sintow, die weitere Texte von Goethe am Rednerpult vorliest, ganz aus dem Zusammenhang gegriffen. Ein Vorspiel zum Vorspiel. Markig beginnt Sven Eric Bechtolf in der Rolle des gesprochenen Mephistofele. Im abgetragenen roten Samtanzug regiert er präsent auf der Bühne, schlüpft in verschiedene Rollen, um am Ende doch immer sich selbst zu spielen. Rene Pape ist sein gesangliches Pendant und er überzeugt wieder mit einem vollen satten, schön ausgesungenen Part. Gegenüber stehen der Schauspieler Andre Jung und Roman Trekel als Faust bzw als dessen geläuterte Wiederkehr Doctor Marianus. Der erste von kleinerer Gestalt aber mit kräftiger farbenreicher und wohl deklamierter Stimme, der andere ein schlanker statischer Hüne mit kleiner Stimme, die mit fortschreitendem Abend an Sicherheit und Intonation verliert. Elsa Dreisig als Gretchen ist ein glanzvoller Neuzugang im Ensemble der Berliner Staatsoper unter den Linden. Eine frische junge Stimme, die ihrem Sopran flexibel und sicher in die Höhe führt, farblich die Stimmführung beherrscht und auch mit schauspielerischem Talent als junges naives gläubiges Mädchen überzeugt. Meike Droste wirkt dagegen bereits geläuterter vom Leben gezeichneter in den gespielten Gretchenszenen. Der Wechsel zwischen Gesang und Schauspiel, dazu der bewegungsreiche Ablauf der einzelnen doch sehr konträren Szenen ist von Jürgen Flimm geschickt mit der nötigen komödiantischen Komponente gelöst, ohne in den Klamauk zu fallen. Über dreienhalb Stunden führt er die Zuschauer durch weltliche und göttliche Spähren mit den seligen Knaben, alten grauen Weibern Patres und Engeln. Musikalisch kleidet dies Daniel Barenboim im Orchestergraben mit seiner Staatskapelle Berlin, dem Hausorchester aus. Er ist wohl der unumstrittene kulturelle Mittelpunkt der Stadt und die treibende Kraft hinter dem Renovierungsprojekt. Seit der Wiedervereinigung leitet er das Haus und hat dieses wieder zu neuem Glanz und Anerkennung geführt. Sichtlich gerührt und stolz nimmt er seine Position am Pult ein und führt das Orchester mit Bedacht, ab und an zu ehrfurchtsvoll immTempo und zu laut für die Sänger. Die Akustik hat sich gebessert doch Tücken bleiben, je nach Standort der Sänger oder Sitzplatz im Hause. Durchgängig romantisch mit vollem und breiten Orchester und Instrumenteneinsatz ist der dritte Teil von Schumann komponiert. Farbenreich in der Instrumentierung füllt hier der volle Orchesterklang das Haus bis unter die neue Decke. Auch der Staatsopernchor und Kinderchor der Staatsoper kommt zu seinem gelungenen Einsatz. Die Notwendigkeit so vieler Mitwirkender spricht für die Auswahl dieses Werkes für diesen besonderen Anlass. Dieses Haus ist die neue alte Heimat all dieser Künstler die jeden Abend die imaginäre Welt der Emotionen und Gefühle entstehen lassen und nur zu recht dürfen sie diesen staatstragenden Abend alle auf der Bühne miterleben. Kräftig und erlöst spenden Bundespräsident, Bundestagspräsident, Bundeskanzlerin und Publikum an diesem Abend vereinten Beifall für einen am Ende runden Abend mit holprigen Anlauf.
Der zweite Abend des Präludiums ist dem Orchester gewidmet. Gemeinsam mit Maurizio Pollini am Klavier gestaltet Daniel Barenboim und die Staatskapelle einen weiten musikalischen Bogen. Mit Jörg Widmanns sphärischen Klängen im zweiten Labyrinthn dokumentieren die Orchestermusiker aufgeteilt in fünf Gruppen ihr solistisches Können und exaktes Zusammenspiel. Sichtlich gealtert und berührend der Auftritt der Klavierlegende Maurizio Pollini in Schumanns Klavierkonzert. Kraft und Elan kommt an den Tasten zurück, zumal es fehlt die Flexibilität und Leichtigkeit in den schnellen Läufen. Zuletzt brilliert das Orchester nochmal unter Daniel Barenboim in Claude Debussy's Images. Er entrückt das Publikum in die Harmonien auskostenden Bilder des licht durchflutenden Impressionismus. Barocke Tanzfragmente und spanische Anklänge setzen Themenphantasien. Entrückt entgleitet selbst dem Dirigenten hier sein Stab. Viel Applaus und ein kräftiges Lebenszeichen der Staatskapelle als weiteres erstklassiges Orchester dieser Stadt so reich an Kulturleben. Ein Wiedersehen im Dezember macht Freude.
Helmut Pitsch
07. Oktober 2017 | Drucken
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