Imagination und Traumwelten in Palermo zur Saisoneröffnung

Xl_260121pal_carlamonni © Carla Monni

Imagination und Traumwelten in Palermo zur Saisoneröffnung

Mit einer Produktion, die die Gegenwart mit den Konsequenzen von Distanzierung und Isolation abbildet will Francesco Giambrone, Intendant des renommierten Teatro Massimo gemeinsam mit seinem Generalmusikdirektor Omer Meir Wellber die Saison eröffnen. Die Pandemie und die damit einhergehenden Beschränkung erfordern neue Ideen und Kreativität.

„Il crespusculo dei Sogni“ (Dämmerung der Träume) ist ein neugeschaffenes Gesamtkunstwerk, welches das gesamte Theater miteinbezieht, Orchester, Chor, Kinderchor und Ballett. Das Haus, immerhin eines der größten Opernhäuser, wird auf der Bühne und im gesamten Zuschauerraum bespielt. In einem musikalischen Medley vieler großer Komponisten beschreitet der Regisseur Johannes Erath einen Traumpfad zwischen Licht und Schatten. Er zeichnet für Regie, Dramaturgie, Bühnenbild, Kostüme und Licht verantwortlich.

Mit einem Ausschnitt aus La Traviata beginnt die Musik, Fernseher stehen auf der leeren Bühne, wie tiefverschneit anmutend. Omar Meir Wellber selbst am Akkordeon agierend setzt ein. Auf einem altmodischen Vinyl Schallplattenspieler wird eine Platte aufgelegt. Zwei Protagonisten sitzen in einem Fauteuil und verfolgen das Fernsehprogramm. Sind wir schon in der Apokalypse? Aus dem Nebel taucht das Orchester auf und setzt ein. Eine sehnsüchtige Melodie von Richard Strauss „ und morgen wird die Sonne wieder scheinen“ dazu schweben die beiden effektvoll wie im Wolkenhimmel. Licht und Videoregie erzeugen fortlaufend eindrucksvolle Bilder, bestens abgestimmt zur Musik. Zwei Stecker werden zusammengefügt und das Theater ist hell erleuchtet und Leben entsteht. Pathetisch steigt der Bass ein, aus einer Loge wie ein Herrscher oder Gott spricht er zu den Beiden, die in helle Aufregung versetzt werden und die Flucht versuchen. Leider sind die Untertitel nur in Italienisch und dem Libretto ist so selbst für den Sprachkundigen schwierig zu folgen. Maskenmänner in weißen Schutzanzügen schleichen nun zu Beethovens Gefangenenchor herum, drängen hier die Überlebenden nach Rettung? Auch auf den Rängen und Logen im ganzen Haus erklingt der Gesang. Ist dies die besagte Dämmerung?

Munter wird es dann zu Verdis Dies irea . Ein Lichterspiel erleuchtet das ganze Haus, auch ein paar Tänzer zeigen Figuren. Zwischen den beiden Protagonisten entsteht ein Streit, erwidert sie seine Gefühle nicht? Sind die beiden doch ein Paar? Es bleibt rätselhaft märchenhaft, will die Dramaturgie uns hier eine Geschichte erzählen oder einen Zustand beschreiben?

Schnell ist die Abfolge der Bilder, mannigfaltig die Ideen des Regisseurs, anspruchsvoll ist es dem allem zu folgen. Bizarr wirken oft die zahlreichen Statisten oder Tänzer in ihren kreativen Kostümen. Soll Isoldes Liebestod am Bettgestell ohne Matratze hier den Bezug der beiden als scheidendes Liebespaar klarstellen? Das Geschehen ufert zur Ekstase aus. Replays verschiedener vorangehender Sequenzen lassen deren Beziehung vorbeiziehen. Der Herrscher sorgt im satten russischen Bass für Ruhe und mit Boris Wahnsinnsarie schaltet er den Fernseher aus. Die Träume dämmern.

Da kommt es nochmal zu einem euphorischen Schlussgesang bevor wieder der Maestro am Akkordeon den Abend ausklingen lässt.

 Wenn auch die Handlung schwer erkennbar ist, der Abend lebt von den Einfällen und meist ästhetischen Bildern, gepaart mit vielen unverkennbaren beliebten Melodien und Arien. Das Theater dient als prachtvolle Kulisse, das Orchester sitzt ausgedehnt auf der Bühne.

Die Sopranistin Carmen Giannattasio und der Bariton Markus Werba sind die beiden Protagonisten auf der Bühne, die sich mit Trennung, Distanz, Bildschirmen und neuen Kommunikationsebenen auseinandersetzen. Dabei zeigt sie die Beweglichkeit und Flexibilität ihres Soprans auch in unterschiedlicher Dramaturgie Rollen zu besetzen. Markus Werbas Bariton reagiert schmal und beengt ohne Nuancen auszufeilen oder auch erzählerischer Fülle.

Der Bassist Alexandros Stavrakakis ergänzt die beiden in unterschiedlichen Rollenbildern. Mit kräftiger weicher Stimme zieht er den Bogen gekonnt vom herrschaftlichen Gebieter zum zerbrechlichen vom Wahnsinn getriebenen Despoten.

Eine außergewöhnliche Aufführung in außergewöhnlichen Zeiten, die kreativ in einem neuartigen Konzept und Format auf die frustrierende Situation der Distanz reagiert in der wir uns aktuell befinden. Leise wie im Stummfilm verabschieden sich die Künstler ohne verdienten Applaus und verschwinden in der Dämmerung.

 

Dr. Helmut Pitsch

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