© Helmut Pitsch
Nachtgedanken überschreibt der Veranstalter den Klavierabend der französischen Pianistin Hélene Grimaud, die als einige der wenigen Pianisten seit vielen Jahren zur Weltspitze gehört und ihre ausserordentlichen und immer rarer werdenden Konzertabende sind unvergessliche Erlebnisse. Sie hebt sich wohltuend in ihrer Erscheinung und Spiel von dem technisch perfekten und künstlich stilisierten Klavierstil der besonders jungen asiatischen Künstlerpersönlichkeiten ab. Ihr feiner Anschlag, ihre ruhige unprätentiöse nahezu bescheiden wirkende Gestik am Flügel verleiht ihrem programmatisch aufgebauten Abend eine besondere mystische Atmosphäre. Für den ersten Teil hat sie ruhige bedächtige aber farbenreiche und gefühlsbetonte Stücke verschiedener Künstler des 20. Jahrhunderts ausgewählt. Das Publikum muss erst zur Ruhe kommen und zur abgedunkelten Welt der Musik Zugang finden. Zahlreiche Huster bringen zusätzliche Unruhe. Nach und nach verfällt das Publikum in den meditativen Vortragsstil. Die Bagatellen I und II des noch lebenden ukrainischen Komponisten Valentin Silvestrov sind poetische Kleinigkeiten zum Entdecken. Sie klingen frisch, vornehm frech mit einem Schuss Heiterkeit und musikalisch ist ein impressionistischer Charakter festzustellen. Als Barpianist hat Eric Satie seinen Lebensunterhalt verdient und dabei sehr französisch anmutende Musik mit ausgefeilten Melodien und expressionistischen Harmonien geschaffen. Seine Gnossiennes lassen sich im Titel gewollt nicht übersetzen bzw interpretieren, Helen Grimaud sieht sie als spritzige knapp gehaltene Kommentare, die sie zwischen die Werke von Chopin und Debussy als geschickt gewählte und auch notwendige Abgrenzung setzt, um auch ohne Zwischenapplause die Identität der Stücke lebendig zu belassen. Mit der Nocturne e-Moll op. 72/1 wandelt sie weiter auf nächtlichen verschlungenen Wegen, passend zum ruhigen ausgeglichenen Fluss der Stücke, um den einnehmenden, ja geradezu hypnotisierenden Gesamtzustand zu erhalten. Spielerisch wieder erfrischend die tänzerischen melodischen Stücke gegen Ende des ersten Teiles. Fréderic Chopin Mazurka a-Moll op. 17/4 und Grande valse brillante a-Moll op. 34/2 sowie Clair de lune und Rêverie von Claude Debussy.
Nach der Pause reisst die Pianistin die begeisterten Zuhörer aus der Schlummerphase und wirbelt mit den acht Fantasiestücke für Klavier op. 16 von Robert Schumann, auch Kreisleriana genannt, die Stimmung im Saal. ETA Hoffmann schuf diese Gestalt des fiktiven Kreisler, um in dessen Identität zu den Vorgängen seiner Zeit Stellung zu nehmen. In zwölf Texten erfand er in den Jahren 1810-1814 eine Lebensgeschichte in Zeiten des Umbruchs. In acht Teilen schuf Robert Schumann hierzu eine gefühlsbetonte widersprüchliche rebellisch anmutende Komposition. Inspiriert vom zwielichtigen, zerrissenen Charakter der Romanvorlage taucht Robert Schumann autobiographisch in dessen Seelenleben ein. Anmutig unverhüllt bringt Héléne Grimaud diese innere Zerrissenheit in ihre Interpretation, kämpferisch lässt sie Versuche der Befreiung anklingen, die in tragische Verzweifelung enden. Bunt sind die Klang und Gefühlswellen, mitreissend ihr Spiel mit den Phantasien. Es bleibt leicht im Anschlag, keine technische Perfektion liegt in ihrem Augenmerk. Lebendigkeit und Persönlichkeit, eigene Auseinandersetzung werden vermittelt. Das Publikum bedankt sich euphorisch und bekommt dafür vier Zugaben, die wiederum zu den Nachtgedanken passen und russische Romantik und impressionistische Klangsprache verbinden.20. Mai 2019
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