Korngolds Tote Stadt lebt und begeistert in München

Xl_die_tote_stadt_kaufmann__petersen_c__w._hoesl__5_ © Winfried Hösl

Puccini, Strauss, Wagner und doch sein eigener Stil ist in diesem großen Werk des 20 jährigen Erich Wolfgang Korngold in jedem Ton in jedem Wort zu spüren. Gewaltig erschütternd und berührend sind seine spätromantischen Klanggebäude. Eine Traumphantasie über den empfundenen Trauerprozess über die große Liebe und den erlösenden Zusammenbruch erzählt er mit Spannung, mit Gefühlen und expressiven Ausbrüchen. Das tote Brügge lieferte die literarische Vorlage, ein symbolistischer Roman von Georges Rodenbach (1855-1896). Paul hat sich nach dem Tod seiner geliebten Marie vollkommen isoliert zurückgezogen und huldigt die Gewesene. Da erscheint Marietta. Die Ähnlichkeit mit Marie ist frappierend. Paul erscheint in Visionen Marie, die ihn zur Treue aufruft. Gleichzeitig durchlebt Paul eine Vision einer Liebesgeschichte mit Marietta, welche in deren Ermordung endet. Paul erwacht aus seiner Vision, geheilt und fasst Mut ein neues Leben zu beginnen.

Korngold galt als Wunderkind in Wien zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die Stadt ist gebeutelt durch den Zerfall der Monarchie und dem Schrecken des ersten Weltkriegs. Freud ist ein einflussreicher Wissenschaftler und seine Psychoanalyse beschäftigt auch die Kunstwelt, welche im Aufbruch der Demokratie steckt. Mit seinem Vater arbeitet Korngold auch am Libretto zu dieser Oper. Die Uraufführung findet 1920 gleichzeitig in Hamburg und Köln mit großem Erfolg statt. Das Werk wird von den Nationalsozialisten verboten und Korngold emigriert nach Amerika und erlebt eine zweite Karriere als Filmkomponist.

Kirill Petrenko erweckt all die Schätze in der Partitur am Pult des bayerischen Staatsorchesters. Sein Stab wirbelt nur so um alle notwendigen Einsätze in der an zahlreichen Stellen sehr verschachtelten Instrumentation zu geben. Dabei bleibt der Klang aber frisch, klar und im Schwung locker. Prägnant sind die abgesetzten Fermate. Donnernd fallen die Akkorde aufeinander. Dies bleibt nicht ohne Wirkung.

Glück das mir verblieb - dieses traurige Lied als zentrales Motiv singen Jonas Kaufmann als Paul, wieder, wenn nicht zu kräftig und mit kehligem Druck auf der Stimme und Marlis Petersen mit viel Dramatik. Die beiden werden in diesen Rollendebüts jubelnd gefeiert. Überzeugend schlüpfen sie in ihre Rollen, die der Regisseur Simon Stone in seiner gewohnt erzählerischen Weise aus- und erschöpfend inszeniert. Nach seinem Ausflug in die Welt des Wiener Liedes findet Kaufmann in der Partie des Paul eine neue Rolle, die seinen aktuellen stimmlichen Fähigkeiten entspricht. Glanz und Schmelz haben sich verändert. Einschichtig wirkt die Stimme ohne Modulationskraft und Farbe, angestrengt in einer Lautstärke. Mit einer Frische und Dynamik wirbelt Marlis Petersen von einem Raum zum nächsten auf der Bühne. Beachtenswert ist das Tempo und dabei hat sie auch noch einiges zu singen. Die Doppelrolle Marietta, eine Tänzerin, die das Leben genießen will und Marie, eine todgeweihte Krebskranke stellen einen waghalsigen Spagat mit großen Anforderungen dar, welche sie zu meistern weiß.

Auch Andrzej Filonczyk gibt hier sein (Doppel) Rollendebüt als Franz und Fritz.  Mit der zweiten berühmten Arie der Oper – Mein Sehnen, mein Wähnen gelingt es ihm nicht, den richtigen Ausdruck an Melancholie und Schwärmerei einzufärben. Jennifer Johnston gestaltet eine altjungferliche mütterliche Brigitta mit schrillen Spitzen.

Auf der Bühne gibt es viel Bewegung in und um einen modernen Bungalow, der sich dreht, zerlegt und Raum für viel Aktion gibt. Marietta kommt mit dem Fahrrad zu Besuch, Kinder fahren mit einem Roller, lebensecht werden Situationen nachgestellt. In den Traumwelten erscheinen gleich mehrere Pauls als auch seiner Marie, wandelnd im Geschehen integriert, so wie der groß besetzte Kinderchor. Aber Simon Stone weiß starke Bilder zu schaffen und die Spannung mit einer bewegten Personenführung am Leben zu halten. Dabei nimmt er dem Besucher die eigene Interpretation, das eigene Erlebnis ab und liefert eine Show a la Hollywood. Und am Ende passt alles für einen überzeugenden Opernabend, der mit viel Jubel belohnt wird. Wohltuend, daß dieses Werk den Weg zurück auf die Bühnen findet.

 

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