Kultur lässt Stolz und Identität entstehen– ein Gespräch mit dem Sänger Etienne Dupuis – frisch und unbekümmert, aber mit konkreten Vorstellungen auf dem Weg nach oben.
Der sympathische Kanadier steht zurzeit in Nozze di Figaro als Graf Almaviva im Nationaltheater in München auf der Bühne. Mit 26 hat er seine Karriere begonnen. Er studierte Gesang an der McGill University in Montreal und vervollständigte seine Ausbildung als Mitglied des Atelier Lyrique de l’Opéra de Montréal. Als Silvio in Bajazzo, Marcello in Boheme oder Mercutio in Romeo et Juliette stand er die ersten Male auf der Bühne. Zu Beginn seiner Karriere wurde er schnell für das italienische und französische Fach entdeckt, nur zweimal wurde er als Papageno in Mozarts Zauberflöte angefragt.
„Ich fühlte mich bei Mozart nicht sicher, sein Gesangstil ist von kurzen Linien geprägt. Ich liebe lange Melodien wie bei Donizetti oder Massenet, da fühle ich mich freier“ beschreibt er seine Rolleneinschätzungen. „Die Stimme kann sehr viel über die Intensität des Dramas, des Charakters ausdrücken. Schauen Sie auf Rodrigo in Don Carlo. Ich habe in Canada in einem Werk von Honegger nur einen 10 – 15 Minuten Auftritt gehabt – aber dessen Wirkung war wie ein Blitz und ein Blitz zieht Negativität als auch Eingebung an“. Impulsiv gerät er ins Schwärmen und erzählt über seine ersten Erfahrungen mit der Kamera und dem Film. „Ich liebe schauspielern, liebe dramatische Geschichten. Sicher ist dabei wichtig, dass ein intensiver Austausch mit dem Regisseur stattfindet.“ Im Anschluss berichtet er von seinen Erfahrungen mit der verfremdenden Darstellung der Person des Grafen Almaviva in Nozze di Figaro von Christof Loy, in der er aktuell in München zu erleben ist „nachdem ich über die Rolleninterpretation aufgeklärt wurde und ich die Zeichnung des Charakters verinnerlicht habe, konnte ich diese in die gesangliche Interpretation umsetzen“.
Eine große Neigung hat er auch für die zeitgenössische Musik. Seine Auftritte in modernen Werken bedeuten ihm viel, auch wenn er ab und an die Melodien vermisst, „da wird zu viel Sprechgesang verlangt – schreibt Melodien“ fordert er auf. Er hat in verschiedenen Produktionen von zeitgenössischen Werken erfolgreich mitgewirkt wie Another Brick in the Wall auf der Vorlage von Pink Floyd und in der Uraufführung von Les Feluettes von Michel Marc Bouchard und Kevin March in Montreal gesungen. Für ihn ein Meilenstein in seiner Karriere. Zu seinem großen Bedauern wurde die Produktion von Death Man Walking von Jake Heggie an der Met abgesagt auf die er sich sehr gefreut hat.
Den Umgang von großen Opernhäusern mit zeitgenössischer Musik und modernen Opern sieht er kritisch. Es wird der Unterschied im Publikums zu wenig berücksichtigt. „Das Publikum weiß oft zu wenig vom Werk, von der Handlung und es entsteht Konfusion. Je besser vorbereitet, desto besser das Vergnügen. Der Besucher soll jedes Detail genießen.“
Seine persönlichen Projekte konzentrieren sich um Rollendebüts in weiteren Verdi Opern wie Simone Boccanegra und Rigoletto aber auch in Tschaikowskys Pique Dame. Sehr gerne würde er auch in Wagner Opern singen. „Meine deutsche Aussprache wird immer gelobt“, Tannhäuser oder fliegender Holländer würden ihn reizen.
Privat ist Etienne Dupuis mit der australischen Sängerin Nicole Car verheiratet, die beiden leben mit ihrem Sohn in Paris. Kennengelernt haben sie sich auf der Bühne, gemeinsam haben sie in Eugen Onegin in Berlin gesungen. „Nicole ist eine großartige Frau und Sängerin, dieses Urteil fälle ich als Sänger und nicht als Ehemann“ beschreibt er die gemeinsame Erfahrung „Wir verstehen uns perfekt auf der Bühne, es besteht vollständiges Vertrauen.“ Dieses Vertrauen auf der Bühne ist für ihn von entscheidender Auswirkung auf die Leistung des einzelnen aber auch aller Beteiligten.
„In der Freizeit sitze ich lieber ruhig herum und denke oder spiele, meine Frau braucht immer ein Projekt wie eine neue Rolle einstudieren, oder etwas neu und noch schöner machen“ beschreibt er den Alltag „aber wir machen das auch sehr gerne gemeinsam“. Gerne würde er auch mehr künstlerische Projekte mit seiner Frau angreifen. Weitere Auftritte in Eugen Onegin oder Don Giovanni, sowie gemeinsame Liederabende – auch mit französischen Chansons. „Gemeinsame Auftritte machen es einfacher unser Leben zu organisieren“.
Auf die aktuellen Auswirkungen der Corona Krise angesprochen sieht er positive und negative Aspekte. „Wir werden unsere Positionen genauer einschätzen und beurteilen, wir werden bewusster mit dem Geld umgehen, was wir akzeptieren oder welche Verträge wir unterschreiben. Wir werden Opern für weniger Geld aber in gleicher Qualität oder sogar besser erleben. Die Regieideen sind in letzter Zeit ausgeufert. Es wurden enorme Ausgaben für die Gestaltung getätigt, die ab und an in einem großen Chaos endeten.“ Er erzählt von ausufernden Proben, die nicht bezahlt wurden, übermäßigen Kommentaren von Regisseuren und Dirigenten, die nach harter Arbeit frustrieren, sowie Produktionen die vom Publikum nicht verstanden werden. „Die breite Masse will sich unterhalten und hat ein Bewusstsein für übersteuerte übertriebene Produktion. Wir können auch einen Weg zur Schönheit über andere Wege finden. Künstlerische Freiheit kann auch finanzielle Rahmenbedingungen akzeptieren. Kreativität kann auch in Beschränkungen stattfinden, vielleicht so gar noch mehr.“
Negativ sind für ihn die großen wirtschaftlichen Einbußen und der eingeschränkte Kulturbetrieb. „Produktionen wurden in die die Zukunft verschoben, bleiben ungewiss und überschneiden sich dann mit anderen Projekten, die bereits geplant sind. Können vielleicht gar nicht mehr realisiert werden.“
Auf den Unterschied des kulturellen Verständnisses in Mitteleuropa und Nordamerika angesprochen, urteilt er kritisch. „In Canada und Australien wird Kultur nicht ausreichend berücksichtigt als sie sollte. Oper und Kultur werden als Luxus für die Bevölkerung empfunden. Aber Kultur ist auch immens wichtig für Tourismus. Es rundet die Erfahrung mit einem Land ab. Wir wissen nie was einen Urlaub auslöst, wieso Menschen in unser Land, in unsere Stadt kommen. Das treibt auch die Wirtschaft an.“
Europa steht da besser da. Europa ist für ihn ein Zentrum der Kultur von dem viele Entwicklungen ausgingen. Oper ist hier entstanden zur Unterhaltung der Adeligen, der Nobilität, die gesehen werden wollte. Ein Top Entertainment für die Top Class. In den Vereinigten Staaten und Canada war das nicht der Fall.
„Kultur lässt Stolz und Identität entstehen“ schließt er sein Statement ab, dem ist nichts hinzuzufügen.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
27. Oktober 2020 | Drucken
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