Der Oktober in Parma steht ganz im Zeichen von Giuseppe Verdi. Der Meister ist im nahegelegenen Roncole in der Provinz geboren. Auch wenn er selbst zu Lebzeiten nicht in Parma lebte, so wird diese Stadt doch eng mit seiner Person verknüpft. Und die Stadt feiert ihn gebührend mit dem alljährlich stattfindenden nach ihm benannten Opernfestival. So wird die für Schinken und Käse berühmte Stadt auch zur Kulturmetropole. Überall hängen Fahnen mit dem Meister, ein OFF festival reichert das Programm mit vielen kostenlosen Veranstaltungen an. Täglich gibt es eine Arie vom Fenster des ehrwürdigen Teatro Regio, dem Opernhaus der Stadt, Einführungen und Konzerte an verschiedenen sehenswerten stimmungsvollen Orten, welche es in dieser Stadt zahlreich gibt. So auch das Teatro Farnese, ein architektonisches Juwel aus dem 17. Jahrhundert im monumentalen überdimensionierten Palazzo Pillota, der aber bescheiden nach einem Ballspiel benannt wurde. Mitten in der Stadt türmen sich die hohen Ziegelmauern dieses Palastes auf. Jeglicher Schmuck an der Aussenfassade fehlt, da der Verputz nicht durchgeführt wurde. Drinnen beherbergt er dieses einzigartige, vollständig aus Holz gebaute Theater in wiederum beeindruckend grossen Maßen. Der Zuschauerraum ist ein langgezogener Halbkreis. Wie in einer römischen Arena sind die Sitzreihen auf grossen Stufen angelegt. Oberhalb schliessen klassische Torbogen den Aufbau ab. Dahinter vermitteln Malereien einen Blick in die ferne Umgebung. Den Bühnenraum säumen jeweils zwei grosse Säulen mit griechischen Kapitelen. Bis zu 3000 Leute konnte das Theater fassen, Opern wurden nie aufgeführt, dafür aber Seeschlachten und vereinzelt Schauspiele bis es in Vergessenheit geriet, unglaublich aber zum Glück für die Menschheit. Erst seit wenigen Jahren finden wieder ausgewählte Konzerte und Opernaufführungen mit grossen Sicherheitsauflagen statt. Le Trouvere, die selten aufgeführte französische Version der beliebten Oper Giuseppe Verdis "Il Trovatore", wurde dieses Jahr für das Teatro Farnese vom Festival ausgewählt. Am 12. Januar 1857 wurde sie mit grossem Erfolg uraufgeführt und erlebte viele Wiederholungen bis sie Ende des 19. Jahrhunderts in Vergessenheit geriet. Neben geringfügigen kompositorische Veränderungen hat Verdi die für die grande opera geforderte Ballettszene von über 20 Minuten hinzugefügt. Er selbst war kein Freund dieses Brauches, da sie für ihn den Handlungsablauf verlangsamen und störend wirken. So sieht es auch Robert Wilson, der Regisseur dieser Neuinszenierung. Für ihn ist Verdi ein Komponist, der seine Werke stringent mit einem klaren Handlungsaufbau wie ein Architekt konstruiert. In den vier Akten mit je zwei Szenen geht es in diesem Werk um zwei Dreiecksgeschichten, jeweils um eine Frau, die mit einem umfangreichen Handlungsablauf und Ortswechsel sehr konsequent erzählt wird. In seinen eigenen Kommentaren zur Inszenierung sieht sich Robert Wilson ebenso als visueller Architekt, welcher Raum und Stimmung für die Musik schafft. Auch hier sind seine typischen Stilelemente erkennbar. Schwarz weiss ist der Bühnenraum ohne Aufbau, sondern nur durch Lichtregie gestaltet. Die Personen werden in effektvolle kreative Kostüme, kreiert von Julia von Leliwa gesteckt und bewegen sich mechanisch schemenhaft. Maskenhaft sind die Gesichter weiss geschminkt, die Augenbrauen hochgezogen, um den Gesichtsausdruck zu verfremden. Immer wieder denkt man an Schattentheater oder Scherenschnitt. An diesem Abend sind seine Bewegungsabläufe sehr reduziert, eine Interaktion zwischen den Charakteren ist ausgespart. So wird ohne Umarmung geliebt und gestorben. Die Protagonisten werden um weitere Personen auf der Bühne ergänzt, welche die mystische Vor- und Hintergrundgeschichte der Oper darstellen. So wird ein Kinderwagen über die Bühne geschoben, der alte Graf Luna beobachtet das Treiben seiner Kinder. Nur in der Ballettszene geht es munter zu. Da treten der Reihe nach Statisten in dunklen Shorts und T Shirts mit knallroten Boxhandschuhen auf. Rhythmisch füllt sich die Bühne und eine Ansammlung von Zweikämpfen findet statt. Der Zusammenhang zur Handlung darf erraten werden, oder vielleicht teilt Wilson nur die Abneigung Verdis für Ballettszenen und stellt sie bewusst aus dem Zusammenhang gerissen dar. Immerhin spielt das Orchester in dieser Szene zum ersten Mal schwungvoll auf und nutzt die Gelegenheit sich in den Vordergrund zu schieben. Roberto Abbado enttäuscht mit seiner Interpretation des Werkes. Sicher sind akustische Unzulänglichkeiten in diesem Raum zu berücksichtigen, aber es fehlt an Tempo und Schwung. Das Geschehen kommt nicht in Fahrt, nahezu lähmend lässt er das Orchester zu dem bewegungslosen Spiel auf der Bühne agieren. Den Sängern bleibt ausser der Stimme so wenig Gestaltungskraft. Giuseppe Gipali als Manrico singt seine Partie ordentlich, erreicht die Spitzentöne verschenkt aber wenig Farbe oder nuancenreiche Malerei. Seine reiche Bühnenerfahrung verhilft Franco Vassallo zur ausdrucksstarken Darstellung des Grafen Luna. Eifersucht, Hass, Triumph und Leid sind hörbar. Sein Timbre kleidet Stimmungen aus. Viel Kraft und Höhe, ein leichtes Schleifen der Stimme zeigt Roberta Mantegna als kämpferische Leonore. In der Tiefe verliert sie sich schemenhaft. Wenig gespenstisches und auch schamanen- hexenhaftes erleben wir in der Darstellung von Azucena durch Nino Surguladze. Ihr Mezzo ist hell und rein und verbindet ein liebevolles Verhältnis zu ihrem Sohn Manrico. Insgesamt ein bildreicher ästhetischer Abend in surrealer Ausgestaltung mit wenig Schwung und Spannung. Das Publikum verliert sich im grossen Theaterraum und sitzt nur im Parkett auf mit rot überzogenen Sesseln. Die Holzränge sind aus sicherheitstechnischen Gründen nicht zu benutzen. Es zeigt sich unentschlossen zum Urteil des Abends. Überschaubarer Applaus und ein paar Buhs verstummen schnell. Andächtig wird der imposante Theatersaal und Palast verlassen. Auf dem grossen gepflasterten Platz vor dem Palast verhallen die Schritte in der frischen Herbstnacht.
Helmut Pitsch
08. Oktober 2018 | Drucken
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