Salzburger Festspiele Luigi Nono Intolleranza 1960
Leben heisst wach bleiben- Luigi Nono‘s Intolleranza1960 in Salzburg
Die Uraufführung 1961 im Rahmen der Biennale im renommierten traditionellen Teatro La Fenice geriet zum Skandal, der im wesentlichen in der politischen Aussage begründet war. Das künstlerische Interesse am Werk blieb im Hintergrund. Luigi Nono war ein überzeugter Kommunist und Antikapitalist. Besonders in seinen Opern tritt er progressiv für seine Überzeugung auf. In Intolleranza1960 erzählt er die Geschichte eines Gastarbeiters in einem Bergarbeiterdorf der von seiner Heimat träumt und nach Hause aufbricht. Auf seinen Stationen vom passiv Leidenden zum Aktivisten finden Folter, Verhaftung, Konzentrationslager aber auch Liebe statt. Kurz vor seiner Heimkehr in sein Dorf zerstört eine Sintflut alle Träume. Gesellschaftspolitisch zieht Luigi Nono einen anklagenden Bogen über selbstherrliche Gemeinschaften, deren einfacher Egoismus Grenzen setzt.
Nonos komplex durchkonstruierten Klanggebäude stellen höchste Anforderungen an die Musiker und limitieren so die Aufführungspraxis. Dissonanzen reizt er aus, ballt Klänge und Töne zu monumentalen Wirkungen zusammen und reiht Klangmodule aneinander. Lautstärke wird ebenso zum Ausdrucksmittel. Seine Musik ist realistisch, weltlich bizarr aber ergründbar. Schon früh lernte er die zweite Wiener Schule kennen, arbeitete mit Stockhausen und gilt als Führer der seriellen Musik. In Tonfall gelingt es ihm ebenso humane Gefühle auszudrücken, Empörung und Anklage expressiv zu verkünden. Seine Werke stehen als Sammlung von aktuellen Eindrücken politischen und gesellschaftlichen Geschehens seiner Zeit sowie der Verarbeitung des Weltkrieges.Die Opern sind künstlerische politische Konfrontation und Herausforderung. Intolleranza 1960 definiert er als „Azione scenica“ in due tempi nach einer Idee von Angelo Maria Ripelli. Das Libretto schuf er selbst.
Für die szenische Umsetzung konnten die Salzburger Festspiele den Belgier Jan Lauwers gewinnen. Der mehrfach ausgezeichnete Theaterfachmann nutzt den außergewöhnlichen Aufführungsort der Felsenreitschule, um eine bewegte bewegende Inszenierung zu bauen. Mit von der Partie sind Mitglieder seiner gegründeten Needcompany, sowie Tänzer und Tänzerinnen der Salzburger Experimental Academy und von Bohdi Project. Er bringt viele Personen auf die große Bühne aber überfüllt sie nie. Ständig herrscht Bewegung aber der Betrachter kann ihr folgen. Verstärkend wirken überdimensionierte Videoprojektionen des Geschehen in schwarz weiß. Die Brutalität der Handlung bringt er zum Ausdruck aber überfrachtet sie nicht. Er ergänzt einen blinden Dichter, der spastisch zitternd ein körperliche Meisterleistung vollbringt.
Ingo Metzmacher zählt zu den bedeutendsten Dirigenten für zeitgenössische Musik und prägt seit Jahren die Aufführungspraxis. Auch an diesem Abend zeigt er seine Klasse für sich. Mit Bedacht und Präzision führt er die Wiener Philharmoniker. Groß ist die Besetzung, dass der Orchestergraben nicht ausreicht. Links und rechts der Bühne sind weitere Spielflächen für die Musiker aufgebaut. Besonders herausfordernd ist die Partitur aber für den Chor und die Sänger. Die Einstudierung der Partitur erscheint als nahezu unüberwindbare Aufgabe. Huw Rhys James hat diese Aufgabe mit dem Chor der Konzertvereinigung Wiener Staatsoper übernommen. Akrobatisch sind die Tonsprünge, nahezu unnatürlich wirken manche Tonlagen und vokalformungen, dazu gibt es kaum Orientierungspunkte für Einsätze, die so exakt nur mit höchster Konzentration gelingen. Dazu sind die Mitglieder des Chores auch aufgerufen im Bühnengeschehen aktiv mitzuwirken. Die gewichtige Aufgabe gelingt bestechend.
Der amerikanische Tenor Sean Panikkar mit Wurzeln in Sri Lanka meistert die Rolle des Emigranten überzeugend. Optisch füllt der großgewachsene Tenor mit seiner darstellerischen Begabung seine Rolle sehr präsent in mitten des breit fliessenden Geschehens auf der Bühne. Seine Stimme gleitet klar und sicher über die Sprünge, die wenigen Melodien weiß er cantabel auszuführen. Sarah Maria Sun ist seine geliebte. politische Mitstreiterin auf dem Weg in die Heimat. Sie ist eine gefragte Interpretin in zeitgenössischen Werken und hat in zahlreichen Aufführungen und Uraufführungen mitgewirkt. Ihre Routine im Umgang mit Disharmonien, herausfordernden Stimmführungen ohne metallenen Spitzen oder übersteuerter Kraft ist spürbar. Anna Maria Chiuri ist die namenlose Frau, die den Emigranten im Bergarbeiterdort verehrt und nun versucht den zum Aufbruch Entschlossenen zu halten. Vergeblich und ihre Zuneigung verwandelt sich in Haß und Rachegefühle. Ein spannender Gefühlsbogen, den die italienische Mezzosopranistin bestens umsetzt. Victor Afung Lauwers ist belgischer Schauspieler und Literat. Seine Rolle des blinden Dichters wurde in dieser Neuauflage des Werkes, vom Regisseur auch Interlleranza 2021 tituliert hinzugefügt. Lange verharrt der Schauspieler im weißen Anzug am rechten Bühnenrand auf einem Podest, am ganzen Körper zitternd, bevor er in das Geschehen integriert wird, verlacht und zum Gepeinigten wird.
Das Werk besticht geradezu mit seiner Aktualität und geht in dieser subtilen und gleichzeitig monumentalen Umsetzung unter die Haut und die politische Aussage wird für jeden ersichtlich in den Mittelpunkt gerückt. Wiederum ist den Salzburger Festspielen mit dieser mutigen Werksentscheidung ein Volltreffer gelungen.
Dr. Helmut Pitsch
28. August 2021 | Drucken
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