Versteckt und unauffällig ist der Eingang in der Ungargasse im dritten Wiener Gemeindebezirk. Eine Ladentür und ein Schaufenster mit ein paar alten Szenenphotos, mehr lässt von außen nichts anmerken, dass sich dahinter eine besondere Theaterwelt versteckt. Seit 2008 residiert das LEO, das letzte erfreuliche Operntheater in der ehemaligen Bäckerei, seit 23 Jahren führt der Tiroler Stefan Fleischhacker, selbst ein Theater Multitalent als Darsteller, Sänger, Pfeifer oder Regisseur diese Institution, der sehr spezifischen Eigenart. Opernaufführungen oder Themenabende dominieren das Programm. Auch der Ring des Nibelungen an einem Abend gehören dazu. Opernstoffe in verständlicher nachvollziehbarer Kraft des Ausdruckes zu präsentieren gehören zum Dogma des Hauses, wie auch Komponistenportraits oder Genre Darstellungen. Als solches ist der Abend unter dem Titel Wienerliederliches & Doppellitteratur zu verstehen.
Die Mezzosopranistin Elena Schreiber und der Schauspieler und Sänger Robert Kolar "begeben sich auf eine künstlerische Expedition in die Tiefen und Untiefen der Wiener Seele" und fördern Perlen des alten und neuen Wienerlieds, sowie literarisch- humoristische Schmankerln zutage" verspricht die Programmankündigung. Begleitet werden die beiden vom Musiker Andreas Brencic, der am Klavier und Akkordeon aber auch mit Stimme den Abend mitgestaltet.
Die künstlerische Gestaltung und Inszenierung, sowie die Auswahl der Lieder und Texte stammt von den Künstlern selbst. Überzeugend und mit entsprechender Freude setzen die drei ihr Programm um. Auch der aktuelle Bezug als Kulturveranstaltung noch offen zu haben und den Wirren des Corona Virus zu trotzen verknüpft Bühne und Publikum besonders. Die Spielstätte des LEO ist ein kleiner Raum, die Überreste des Bäckerhandwerks sind in dem liebevoll gestalteten Theater noch ersichtlich. Stuck und Fresken zeigen sich im Eingangsbereich, dem ehemaligen Verkaufsraum und jetzt Foyer. Mit alten Zeitungen wurden die ehemaligen Produktionsräumlichkeiten ausgelegt. Ein kleines Podest stellt die Bühne dar, ein dürftig wallender Vorhang darf nicht fehlen.
Die Zuschauer sitzen auf Gartenstühlen, teils mit Hussen überzogen, teils mit kleinen Polstern. Je Sitzreihe gibt es kleine runde Tische zur Ablage oder zum Abstellen des kredenzten Weins und köstlichen Schmalzbrots. Ca 50 Personen fasst der Raum und bleibt so unter der behördlichen Spielgrenze von 100. Die Köpfe der grossen Opernkomponisten, auf Medaillons gebannt, beobachten das Geschehen. Theaterstimmung kommt auf sobald sich der Vorhang öffnet und den Blick auf eine Heurigenstimmung in einer Laube freigibt. Ein paar trockene Blätter hängen am Bühnenhintergrund, drei Sessel und ein Tisch mit rotkariertem Tischtuch sowie ein Flügel bilden die Umrahmung. Elena Schreiber im sexy schwarzen Kleid, den Rock hat sie kess an den Seiten hochgebunden und gibt den Blick auf ihre Beine in schwarz gemusterten Strumpfhosen frei. Ein Korsett um die Mitte und leicht freizügig die Bluse. Ein freches Wiener Madl auf Bräutigamschau. Schlicht, schmächtig und verlegen tolpatschig wirkt Robert Kolar in schwarzer Hose, weißem Hemd und rotem Gilet. Ihre Wiener Lieder geben einen Überblick über die Entwicklung bis hin zum unvergesslichen Karl Hodina (gest. 2017) und öffnen die Wiener Seele, der Text original nur für echte Kenner des Wiener Dialekts verständlich, dann aber umso erfrischender und berührender. Wein, Weib und Gesang, die morbide Wiener Melancholie, der schwarze Humor und die jüdische Wurzel auf alles gewähren sie Einblick. So auch die kurzen literarischen „Schmankerln“ von HC Artmann, Karl Farkas oder Peter Altenburg.
Eine wahre Musik- und Literaturreise in die österreichische Hauptstadt fernab der touristischen Sehenswürdigkeiten hin zur Seele, zum Herzen der Bewohner. Der wahrlich sprichwörtliche Wiener Charakter wird pointiert gezeichnet und ironisiert mit viel wahrem Kern in der Aussage. Die ausgeprägten Besonderheiten des Wieners waren und sind immer wieder Gegenstand künstlerischer Betrachtung und kommen auch hier zu Tage. Das Publikum, zumeist wahre Fans des LEO folgen wieder mit Begeisterung.
16. März 2020 | Drucken
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