Mimi stirbt auf der Gasse - Graue Tristesse in Glyndebourne

Xl_f1d27cb3-ef1e-4bf8-9ff7-cc034d23924d © Glyndebourne

Giacomo Puccini La Boheme Glyndebourne Opera Festival 15.6.2022 

Mimi stirbt auf der Gasse - Graue Tristesse in Glyndebourne

Waren es kommerzielle Einschränkungen oder künstlerische Einfalt, aber in dieser La Boheme von Giacomo Puccini in der nüchternen grauen Inszenierung von Floris Visser spürt der Zuschauer keine Stimmung oder Wärme. Sicher spielt diese Oper in erbärmlichen Verhältnissen, stirbt Mimi als junge Frau auch am Mangel der Finanzen aber es knistert von Gefühlen und Emotionen in der Musik, die auch an diesem Abend aus dem Orchestergraben aufblühen.

Die Geschichte spielt auf der Bühne des renommierten englischen Opernfestivals in Glyndebourne in der trostlosen Gosse. Links und rechts der gepflasterten leicht ansteigenden Straße besteht  ein schmaler Gehsteig, dann zwei lange schmucklose Wände, kein Fenster, kein Graffiti, nur Tunnelblick. Die beschauliche Künstler WG ist nicht in einem Dachboden sondern Marcello und Rudolfo leben auf der Straße. Noch sind sie keine Obdachlosen, elegant und adrett angezogen, besonders Schaunard kommt tip top im Frack und Seidenschal und kriegen auch Besuch vom Vermieter. Die Stühle und Tische vom Cafe Momus sind aufgestapelt und dienen den Künstlern als Mobiliar.

Mimi kauert am Ende auf der Straße oder an die Wand gelehnt, Schaunards Frack dient zusammen geknüllt als Polster. Die Kostüme sind Alltag der Zwanziger des letzten Jahrhunderts. Ein besonderer Regieeinfall ist der Mimi ständig begleitende schwarze Tod, der im zweiten Akt auch als Perpignol erscheint. Die Personenregie scheint den Sängern überlassen, die sich in dem gestalteten Ambiente redlich mühen.

Aber als dies dient der Konzentration auf die musikalische Interpretation. Allen voran auf das berührende Paar Mimi und Rudolfo. Sehoon Moon hat die Rolle des Rodolfo von Long Long übernommen, der auf Grund von Visa Verzögerungen leider die Proben nicht mitmachen konnte. Der Koreaner erfüllt die Rolle des strahlenden mitfühlenden Liebhabers zur vollsten Zufriedenheit. Lyrische Höhen, die er auch in feiner Legatokultur breit auffächern kann, ein sympathisch weiches Timbre mit klarer Diktion kennzeichnen seine Stimme. Yaritza Veliz als Mimi bezaubert mit junger Frische, locker und leicht geführter Stimme. Auch spielerisch fügt sie sich der Rolle gut ein. Wohlig weich passt sie sich in den Duetten ihrem Partner an. Daniel Scofield ist ein unscheinbarer Marcello. Seine Stimme sitzt tief verschlossen und bleibt farblos. Vuvu Mpofu als seine angebetene wechselhafte Musetta hat dagegen eine kräftige Stimme mit Umfang in der Höhe und dunklen Tiefen. Im Spiel bleibt die Südaftikanerin hölzern. Ivo Stanchev singt die düstere Mantelarie mit viel Wehmut ordentlich und berührend. Luthando Qave versucht als Schaunard Munterkeit und Flair in der Tristesse zu erzeugen bleibt aber ein exotischer Fremdkörper in seinem abwegigen Oitfit im Frack und seinen gekünstelten Bewegungen.

Christopher Lemmings begleitet als personifizierter Tod, der über der kranken Mimi schwebt, die Handlung stumm mit wenigen Gesten. Seine schwarze mysteriöse Präsenz drückt die Stimmung. Als Parpignol darf er auch seine dunkle Stimme zeigen.

Das London Philharmonic Orchestra stellt alljährlich das Festival Orchester in Glyndebourne. Jordan de Souza steht für die Produktion von La Boheme am Pult. Der junge Kanadier hat bereits an vielen Opernhäusern, als auch bei den Bregenzer Festspielen dirigiert. Mit viel Gespür, Tempo und nuanciertem Dirigat kreiert er aus dem Graben heraus Intimität, Emotionen und bewegende Gefühle. Nie wird es laut oder überdreht, mit geschmeidig wachsenden Volumen untermalt er Arien und Duette und unterlegt die Sänger mit satten Klangfarben. Die Handlung nimmt so Fahrt und Stimmung auf. Die Tragödie erhält einen musikalischen Rahmen vor nahezu ausverkauften Haus.

Nach zweijähriger Pause darf das Publikum wieder auf dem herrlichen Anwesen im Süden Londons bei sonnigen sommerlichen Temperaturen das beliebte Picknick einnehmen und mit dem Besuch der Oper verbinden. Ein besonderes Erlebnis das ungebrochen großen Zuspruch hat.

Dr. Helmut Pitsch

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