Vor 150 Jahren erblickten die Meistersinger von Nürnberg das Licht der Welt auf der Bühne des Münchner Nationaltheaters. Anlass genug, dieses Werk in der aktuellen Inszenierung aus 2016 termingerecht zur Feier in das Programm aufzunehmen. David Bösch, der Regisseur und Patrick Bannwart, der Bühnenbildner dieser Produktion verlagern die Geschichte in die Gegenwart. Nürnberg zeigt sich schmucklos heruntergekommen, die Festwiese spielt im Hinterhof, Sachs betreibt einen mobilen Schusterladen in einem abgefahrenen Citroen Kastenwagen. Aber die Stadt ist lebendig, Tracht und bunte Sommerkleider sind gängige Mode, ein Glitzeranzug a la Elvis Presley für Beckmesser inklusive. Es gelingt dem Regisseur eine lebendige, unterhaltsame und überzeugende Umsetzung zu liefern, zwischendurch an der Grenze zum Klamauk ohne diese weit zu überschreiten. Videoeinspielungen dürfen da auch nicht fehlen und frischen Orchesterpassagen auf. Zu Beginn gibt es "wetterbedingt" einige Ansagen zu Besetzungsänderungen, insbesondere hat sich erfreulicherweise Michael Volle kurzfristig bereit erklärt für den erkrankten Wolfgang Koch als Hans Sachs einzuspringen. Aus Berlin angereist ist er gleich von Anfang mit vollem Einsatz dabei und meistert diese anspruchsvolle Partie bravurös. Auch die vielen Gesten der ausgefeilten Personenregie gelingen ihm und er wirkt sehr präsent in dieser zentralen Rolle. Seine kräftige Stimme umfasst die Partie und in allen Lagen singt er einnehmend ohne im Sprechgesang zu verfallen. Erst im Schlussgesang ist der Kräfteverzehr hörbar aber Kirill Petrenko am Pult führt das Staatsorchester im feinen Piano zur Unterstützung. Es ist auch sein Abend. Schwungvoll im Tempo und mit Korpus und Dichte fährt er in der Ouvertüre das volle Orchester auf. Liedhaft begleitet er in verschiedenen Soli als auch tutti die Sänger und gibt ihnen jederzeit Spielraum. Das Orchester versprüht Klangfarbe und in der Transparenz kommt Spannung und Intimität auf. Darauf reagieren die Sänger im Wettstreit untereinander aber nicht mit dem Orchester. Auch Klaus Florian Vogt lässt sich mit Verkühlung ansagen aber bestreitet zur grossen Freude des Publikums den Abend. Sein silbriger Tenor hat an Wärme und dunklerem Timbre gewonnen. Heldenhaft streitet er romantisch für seine Geliebte und betet sie in seinem Meisterlied in der richtigen Mischung aus Liebe und Schmelz an. Mit seiner Mähne, Sneaker, Jeans und kühler Lederjacke verinnerlicht er auch im Spiel den junger Wilden Walther von Stolzing, der am Ende auch die Meisterwürde cool ablehnt. Sein geliebtes Evchen, Julia Kleiter ist hübsch anzusehen, aber kann nicht so richtig überzeugen wie auch Claudia Mahnke als Magdalene. In die Herzen und Gunst des aufmerksamen und begeisterten Publikums singt sich wiederum Markus Eiche als Stadtschreiber Beckmesser. Diese komödiantengleich ausgestaltete Rolle ist eine tragikomisch Figur und erfordert sehr viel Gespür in der Ausgestaltung für Sänger und Regisseur. Er stosst auf viel Ablehnung im Kreise der Meistersinger und kämpft um seine Autorität und Anerkennung sowie Liebe. David Bösch verleiht Beckmesser viel Raum und Aufmerksamkeit bis hin zu seinem skurrilen Selbstmord am Ende, der von Richard Wagner nicht vorgesehen ist. Markus Eiche bietet viel Einsatz auf und mit seinem vollen sicheren Bariton verleiht er seinem Beckmesser Würze, Spritzigkeit und Tragikomik. Sonore Ehrwürdigkeit zeigt Georg Zeppenfeld als Veit Pogner als einflussreicher Führer im weissen Anzug. Der bestens aufgestellte Chor der Münchner Staatsoper schliesst die grossartige Leistung aller ab. Am Ende spendet das Publikum begeistert langanhaltend Beifall und feiert alle Beteiligten.
Helmut Pitsch
04. Oktober 2018 | Drucken
Kommentare