Ohnmacht der Regie: Wirrungen vor spanischen Klostermauern

Xl_11052_khp_la_forza_del_destino_1398_predieri_alvise__002_ © Predieri Alivi

La forza del destino Giuseppe Verdi Besuch am 23. November 2024 Premiere am 9. November 2024 Aalto Theater Essen Opernhaus

Ohnmacht der Regie: Wirrungen vor spanischen Klostermauern

Nach den Kämpfen mit der Zensur vor der Uraufführung seiner Oper Un ballo di maschera ist Guiseppe Verdi entschlossen, kein weiteres Bühnenwerk zu komponieren und sein Glück in der Politik zu suchen, was ihn immerhin vier Jahre beschäftigt. Der Auftrag, für den Zaren in St. Petersburg eine Oper zu schreiben, reißt ihn aus seiner Resignation. Er tauscht die Rolle des Parlamentsabgeordneten des Wahlkreises Bussetto neuerlich mit der des Komponisten, entscheidet sich für ein Drama des spanischen Dichters Angel de Saaveda und dirigiert 1862 persönlich die Uraufführung am Zarenhof. La forza del destino ist beim Publikum durchaus ein Erfolg, nicht aber bei der Kritik und den einheimischen Komponisten, die sich berufen sehen, die nationalrussische Oper zu befördern.

Die 1869 im Teatro alla Scala in Mailand uraufgeführte Überarbeitung mit dem Textbuch des Literaten Antonio Ghislanzoni bahnt dem Stück nach und nach in Europa das Entrée in die Spielpläne, ohne jedoch die Popularität der drei Kronjuwelen der mittleren Phase, Rigoletto, La Traviata, Il Trovatore, zu erreichen. Dafür dürfte in erster Linie die verworrene Handlung verantwortlich sein, die in Spanien und Italien um die Mitte des 18. Jahrhunderts zur Zeit der Spanischen und Österreichischen Erbfolgekriege spielt. Zentrum des auf vier Akte verteilten Dramas sind Leonora di Vargas, Tochter des Marchese von Calatrava, und der Mestize Alvaro, Abkömmling eines Königsgeschlechts der Inka.

Der Vater untersagt die Verbindung der Liebenden. Nach einer abenteuerlichen Reise, bei der sich Leonora in ein Dasein als Eremit zurückzieht und Alvaro Karriere als Offizier im spanischen Heer macht, endet die Flucht der beiden tödlich. Leonora durch die Tat ihres Bruders Don Carlos di Varga, eines Fanatikers der Rache.

Gesteigert wird die Komplexität des Geschehens durch genreaffine Episoden, die die Tragik des Dramas mehrfach unterbrechen. So in der Wirtshausszene des zweiten Aktes, in der das Strophenlied des Carlos, der seine Schwester in der Menge verfolgt, bei Leonora Kräfte freisetzt, die sich zuvor schon aufgegeben hat. So in dem freien Monolog des Fra Melitone, der im Lagerbild die Kapuzinerpredigt aus Friedrich Schillers Wallensteins Lager paraphrasiert. Spektakulär durch die Marketenderin Preziosilla, einer Genrefigur der französischen Oper, exemplarisch gefasst in den Hugenotten von Giacomo Meyerbeer.

Die Annahme, vielleicht auch Hoffnung, die slowakische Regisseurin Sláva Daubnerová werde mit ihrer Essener Inszenierung das Geschehen durchsichtiger und die diffuse Macht der miteinander verflochtenen Schicksale einsichtiger machen, bewahrheitet sich leider nicht. Dicht an dem feministischen Ansatz, dem sich die Intendanz des Aalto-Theaters mit der neuen Spielzeit verschrieben hat, zentriert sie das Spiel der Intrigen und Mächte um Leonora. In einigen Szenen ist sie als Alter ego gedoppelt zu sehen, in heller Kostümierung, quasi als Bild ihrer „reinen“ Innenwelt, die es in dieser Figur auch gibt. Für Momente auch dreifach, gespielt durch eine stumme Statistin, wozu auch immer. In der nebulösen Szene am Ende des ersten Akts, in der der Marchese Alvaro zum Duell auffordert, als dieser im Begriff ist, mit der Geliebten zu entfliehen, und Alvaro sich weigert zu kämpfen und seine Pistole zu Boden wirft, ist es am Ende Leonora, die die Waffe auf ihren Vater gerichtet hält. Bei Ghislanzoni löst sich einfach der Schuss, der den Marchese tötet. Bei Daubnerová könnte es die sich emanzipierende Frau sein, die dem Chauvinismus der Männer den Kampf ansagt.

Regie und Bühnenbild (Volker Hintermeier), gesteigert durch militaristische Videoprojektionen (Andreas Deinert), treiben mächtigen Aufwand, um in einer zeitlosen Welt die Schrecken des Krieges auszumalen, die die Psyche der Protagonisten bestimmen. Im zweiten Akt beherrscht eine übergroße Statue, nachgebildet der „Mutter“ und Beschützerin des „vaterländischen Kriegs“ der Sowjetunion gegen den NS-Staat, die Szene. Einen Akt später ist das Haupt der Statue vom Rumpf getrennt, liegt sie zerschmettert am Boden. Gedacht mutmaßlich als Symbol für die Zerstörungen, die der Kriege anrichtet.

Weniger pompös gibt sich die Ausstattung der Folgeszenen. Der Eingang zum Kloster wird von dunklem Material bestimmt. Darauf sind Leuchtstoffröhren installiert, die sich verschieben lassen und so den Effekt einer variablen Kulisse erzeugen. Geradezu simpel ist die Bebilderung der Szene „vor Leonoras Klause“ im vierten Akt. Um den „unersteigbaren Felsen“ zu illustrieren, verdeckt ein mächtiger Klotz aus der Bühnenwerkstatt das Tal im Hintergrund.

Eine erhellende Personenregie ist nicht auszumachen. Schon Lenonaras Herumfuchteln mit der Waffe, der später ihr Vater zum Opfer fällt, während der szenisch unterlegten Ouvertüre lässt weitgehende Phantasielosigkeit erahnen. Daubnerová investiert viel Energie in das letztlich leerlaufende Spiel mit wahren oder imaginären Charakteren, mit Konstellationen, die Verbindungen außerhalb des Librettos schaffen, etwa Leonora mit einer stummen Preziosilla. Wäre es nicht zu begrüßen, würde die Regie das Publikum verstehen lassen, warum Carlos, eine der merkwürdigsten Gestalten Verdis überhaupt, wie ein Besessener die Verfolgung seiner Schwester betreibt?

Musikalisch lässt das Werk nichts zu wünschen übrig. Es changiert zwischen den Stilen, bietet eine Fülle an Melodien, wechselnden Stimmungen, meisterhaften Ensembleszenen und eine verblüffende Arienkultur sowie einem sicheren Umgang mit Leitmotiven. Das wohl bekannteste, das Schicksalsmotiv der Leonora, bringt die Ouvertüre als Solostück in Konzertsäle und in Wunschprogramme von Radio und TV, seitdem es diese gibt. Unter der musikalischen Leitung von Andrea Sanguineti bringen die Essener Philharmoniker Verdis Klanggemälde prachtvoll zum Erblühen. Die martialischen Takte, die Tarantella- und weiteren Tanz-Rhythmen, die lyrisch verinnerlichten Sequenzen. Der Opernchor, einstudiert von Klaas-Jan de Groot, agiert sängerisch wie darstellerisch vorbildlich.

Essens Forza wird von männlichen Stimmen geprägt, nicht zuletzt, weil ihnen mehr Rollen auf die Kehle geschrieben sind. Als Alvaro imponiert der Tenor Jorge Puerta, der die gesamte Palette vom heroischen Sforzando bis hin zum Verweilen in mezza voce nach Belieben beherrscht. Berührend spielt er den verfolgten Außenseiter, im Kerker geboren, in der Fremde erzogen. Als sein Gegenspieler Carlos beeindruckt der Bariton Massimo Cavalletti mit seiner schön timbrierten Stimme, bestens geeignet, die herrischen wie die durchtriebenen Farben der Partie zum Ausdruck zu bringen. Zu einem vokalen Gipfelpunkt vereinen sich Puerta und Cavaletti im Schwurduett des dritten Akts, das wie eine Vorstudie des kommenden Bravourstücks Carlo/Posa im Don Carlos anmutet.

Während Andrei Nicoara als Marchese di Calatrava rollenbedingt nicht sonderlich hervorsticht, interpretiert Roberto Scandiuzzi die Partie des Padre Guardiano, Prior des Klosters, mit markantem Bass. So wird das Erhabene seines hohen ethischen Maßstabs zum Begriff. Karel Martin Ludvik verkörpert den facettenreichen Fra Melitone mit einem Hang zur Komik so lebensecht, dass verständlich wird, warum Verdi dessen Rang mit primo baritone brillant umschreibt. In der Partie des Mastro Trabuco, keineswegs eine Nebenrolle, setzt der Tenor Albrecht Kludszuweit Akzente. Er spielt den Maultiertreiber, der eine geheime Mission verfolgt und Leonoras Flucht vorbereitet, verschmitzt.

Anna Netrebko wird auf dem Hintergrund ihrer Salzburger Trovatore-Leonora das Bonmot zugeschrieben, bei Verdi höre der Spaß auf. Übersetzt ist wohl damit gemeint, dass das Melodische bei Verdi über die Schwierigkeiten hinwegtäusche, die sich den Sängern stellen. Astrik Khanamiryan meistert als Essener Leonora nicht nur Schwierigkeiten. Sie verleiht der überforderten und unglücklichen, letztlich scheiternden Figur hochdramatische Züge und seelische Größe. Besonders berückend im Monolog im letzten Akt Pace, pace mio Dio. Zu komödiantischem Format und robuster vokaler Performance schwingt sich Bettina Ranch als Marketenderin Preziosilla auf. Als Blondine mit goldfarbenem Kleid zur Showpuppe stilisiert, legt sie das Gegenbild zu Leonora mit Temperament und Spielfreude an. Als Ikone, die freiwillig als Werbekommissarin für das Militär agiert, da sie vom Krieg profitiert und ihn verherrlicht. So wird ihr keck vorgetragenes Rataplan erst wirklich plausibel, wobei der Soldatenchor die Funktion der instrumentalen Begleitung übernimmt.

Der stürmische Beifall im gut gefüllten Aalto-Theater gilt offenkundig Sanguineti und den Philharmonikern, unter Abstufungen dem bravourösen Sängerensemble, vor allem Khanamiryan, Cavalletti und Puerta. Bis in den April 2025 hinein gibt es Aufführungen und Chancen, dem Labyrinth der Tragödie nachzuspüren. Eine Hilfe dabei dürfte Verdis Musik auf jeden Fall sein.

Dr. Ralf Siepmann

Copyright Foto: Alvise Predieri

 

| Drucken

Mehr

Kommentare

Loading