Rigoletto Technik zaubert Romantik am Bodensee

Xl_img_1577 © Anja Köhler

Bregenz steht und bürgt für stimmungsvolle Spektakel und erfüllte Opernabende. Da liegt verträumt der See, die Bühne umspült von Wasser, der Blick öffnet sich beim richtigen Wetterglück auf Lindau und ein Abendrot umrahmt von mächtigen dunklen Gewitterwolken, die sich hinter der Bühne auftürmen - eine Naturkulisse, die seines gleichen sucht am gestrigen Abend. Und selbst als häufiger Besucher in Bregenz und auch von Opern drinnen und draussen, war dieser Opernabend etwas Besonderes. Nachdem langsam Ruhe auf der 7000 Menschen fassenden Tribüne eingekehrt ist haftet der Blick des Publikums auf dem grossen Kopf, der einem mit seinen grossen blauen Kulleraugen traurig und mitleidsvoll aber genauso erwartungsvoll und gespannt unausweichlich anschaut. Der Blickkontakt wird intensiv und hält einen gefangen. Langsam nimmt der Zuschauer die Details weiter auf. Eine grosse rote Knollennase, ein bläulicher Rest Lidschatten um die tiefliegenden Augenhöhlen, ein mit Lippenstift verschmierter verschmitzt lächelnder Mund und zwei niedliche kleine Ohren kleben am glattrasierten Kopf. Ein wahres Wunderwerk der Technik arbeitet im Hintergrund und im Innern der anmutigen vertrauensvollen übermenschlichen Skulptur mit Holzscheitern eher laienhaft verkleidet.

Dazu hat der Regisseur und kreative Schöpfer Philipp Stölzl noch zwei Hände ausgedacht, die Rechte bewegt sich wie eine menschliche Hand, die Linke hält gebannt einen überdimensionierten Luftballon fest, der sich später als echter Ballon mit Korb entpuppt. Es ist Rigoletto leibhaftig im Grossformat, den der junge deutsche Theatermacher hier für seine Inszenierung von Giuseppe Verdis berühmten Hofnarren zur Bühne gemacht hat. Der Anblick weckt sofort kindliche Erinnerungen an verschiedene Momente oder Filmausschnitte aus der Zirkuswelt hervor. Der sehnsuchtsvolle Clown Ausdruck, der selige Kinderblick der einem wegschwebenden Luftballon nachhechelt wird zur Parabel des Hofnarren. Atemberaubend wirbelt dessen aufmerksamer Blick herum. Die technische Maschinerie erobert sich allumfassend Raum bis in schwindelnde Höhen und zieht jeden in seinen Bann. Das selbstzerstörerische Handeln der Titelfigur wird meisterhaft in der Gestaltung des Bühnenbildes umgesetzt. Ausgehend vom schicksalshaften Fluch des Monterone verliert die Figur die Kulleraugen, Zähne, Nase und bleibt am Ende als markiger Totenkopf vor seinem Scherbenhaufen übrig. Gleichzeitig ist das Innere des Kopfes der Palast des munteren Grafen von Mantua, der für all das Unheil Rigolettos verantwortlich ist. Öffnet der Kopf den Mund gewinnt der Betrachter Einblick. Da agiert der Frauenheld als Zirkusdirektor, seine Höflinge als muntere Affen herum schwirrend. Das kommt einem aus der umstrittenen Rigoletto Inszenierung von Doris Dörrie in München bekannt vor. Die rechte Hand wird zum Haus und Heim Rigolettos und seiner Tochter Gilda. Die übermächtige Halskrause Rigolettos wird zur Bühne für die umtriebigen Artisten, die ihren Direktor umgarnen und unterhalten. Mittendrin der lebendige Rigoletto im gelben Clownkostüm mit schwarzen Streifen ohne Buckel. Je weiter die nächtliche Dunkelheit voranschreitet und die Aktion im Hintergrund weniger sichtbar wird, desto mehr wird der Betrachter von der Handlung gefangen. Berührend die Szene, wenn Rigoletto seine vor Liebe schmachtende Tochter in ihrer Arie "Caro Nome" an den jungen Studenten Gautier im Ballon in die Abendnacht aufsteigt. Aber es gibt auch Hänger im Ablauf, wo sich die Tücken der grossen Bühne, die fehlende Intimität und die Notwendigkeit von Geschehen im Ablauf zeigen. Gilda bedauert ihr verhängnisvolles Vergehen gegenüber dem Vater weit ab von dessen väterlichen verzeihenden musikalischen Umarmung oder vorher ihr geheimes intimes Rendez vous mit dem verkleideten Grafen, welches sich auf die gesamte Bühne ausbreitet. Natürlich sind auch die Abgänge von Mitwirkenden mit dem Sprung oder Schubbs ins Wasser dabei. Aber das ist Bregenz und das gehört dazu wie die immer weiterentwickelte ausgereifte Technik. Und wieso nicht bei Rigoletto, steht das Werk doch auch in der Musikwissenschaft für die erste Opernproduktion mit in Werkstätten gebauten Bühnenaufbauten weg von den barocken gemalten Bühnenbildern.

Technik spielt auch eine grosse Rolle in der musikalischen Umsetzung. Die Wiener Symphoniker, das Hausorchester der Bregenzer Festspiele seit mehr als 70 Jahren spielen im nahegelegenen Festspielhaus unter der Leitung von Daniele Squeo, der eine wenig ausgefeilte aber solide transparente Interpretation liefert. Waren zu Beginn manche Unstimmigkeiten mit der entfernten Bühne hörbar, klappt das Zusammenspiel immer besser. Die Orchestermusik kann aber in der technischen Verstärkung nicht wirklich Räume füllen und bleibt wirksam als Begleitung des vielfältigen Geschehens. Der Bulgare Vladimir Stoyanov tritt an vielen grossen Opernbühnen auf und feierte Erfolge mit dem sonoren Klang und samten weich unterlegtem Timbre seines Baritons. Gute Voraussetzungen für Verdi Rollen, der zahlreiche berühmte Arien besonders für Bariton und Bass komponierte. Er zeigt als Rigoletto sein Können und die Leistungsfähigkeit seiner Stimme in diese anspruchsvolle Rolle zu schlüpfen. Weit ist der Charakter gespannt und macht die Rolle zu einer der spannendsten von Giuseppe Verdi. Da ist der zynische, böse Narr und dem gegenüber der liebevolle obsessiv sorgsame Vater. Vladimir Stoyanov untermauert dies stimmlich mit schwermütig gefärbten Legatobögen und kraftvollen Tonsprüngen. Die metallen klingende Verstärkung seiner Stimme bekommt er im Ausdruck am besten in Griff. Stephen Costello zeigt einen vor Manneskraft strotzenden holprigen Herzog von Mantua, der in den Spitzentönen seine Schwierigkeiten hat. Sein Tenor hat heroische Strahlkraft und gibt dem Weiberhelden jugendlichen Charme aber kein Charisma. Sein Ohrwurm " La Donna e mobile" gelingt ordentlich ohne zu schmettern. Als Gilda reüssiert die Französin Melissa Petit, die mutig und waghalsig die Rolle ausfüllt und auf Stunts verzichtet. Hochschwebend sitzt sie am Korbrand des Heissluftballons und steht zu ihrer uneinsichtigen Liebe. Dabei sprudeln die hellen Klänge gefühlvoll und klar aus ihrem Munde über die Köpfe der ausverkauften Seebühne. In einem Interview bezeichnet sie die Szene als " eine Seifenblase voller Romantik" und das trifft es wohl genau. Ihre Sopranstimme trifft die Höhe wohl intoniert und voll. Unter dem Jahr ist sie Ensemblemitglied in Zürich, in Bregenz feierte sie bereits als Michaela ihren ersten Erfolg. Als Sparafucile schleicht der gross gewachsene Goderdzi Janelidze im schwarzen Bodyanzug mit Skelettbemalung und langem Umhang herum. Sein schöner heller Bass lässt die passende Mystik und Verschlagenheit fehlen. Mit vollmundiger tiefer Durchschlagskraft erobert Kostas Smoriginas als Monterone das muntere Hofleben und verleiht so dem verhängnisvollem Fluch seine nötige Wirkung. Das Motiv hängt noch länger in der Luft. Der zentrale Fluch war auch der ursprüngliche Titel der Oper, bevor aus Gründen der Zensur die literarische Vorlage von Victor Hugo ein paar Veränderungen erlebte, wie die Namen der handelnden Personen und auch des Schauplatzes, um entpolitisiert zu werden. Aus dem Narr Triboulet am Hof des französischen Königs wurde Rigoletto am Hof des Grafen von Mantua, welches auch zum neuen Titel der Oper führte. Viel Erfolg war der Oper von Anfang an beschieden, ein grosser Erfolg ist sie auch bei ihrer ersten Aufführung auf der Seebühne in Bregenz. Das Publikum lässt sich von dieser lebendigen bildgewaltigen Inszenierung einfangen und spendet begeistert grossen Beifall.

Dr. Helmut Pitsch

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