Richard Strauss Salome Tiroler Landestheater 13.3.2022
Falsche Erotik üppig verpackt
Sie war eine Salome der Extraklasse. Mit halb entblößter Brust betörte sie in München das Publikum. Nun ist Angela Denoke unter die Regisseurinnen gegangen und inszeniert die Oper, die schon zur Uraufführung 1905 in Dresden skandalträchtig war und bis heute in vielen Neuinszenierungen geblieben ist. Timo Dentler und Okarina Peter gestalten Bühne und Kostüme. Eine breite weisse Wendeltreppe führt dominant nach oben, von einem Stahlgerüst getragen. Dahinter verstärkt ein großer runder Spiegel die optische Wirkung des Bühnengeschehens. Schräg sind die Kostüme an ein Variete der 20iger Jahre erinnernd. Herodias im engen schwarzen Pailletten Hosenanzug, Herodes mit Paillettenhemd und schwarzen Gehrock mit lila Revers, Salome mit silbernen Paillettenbüstier und lila weissen Tüllrock, Naraboth im weissen Zweireiher. Die Juden treten stilecht in dunklen Anzügen mit Melonen in Erscheinung. Jochanaan irrt frei in zerlumpten Hosen und ärmelosen Mantel herum. Seine Charakterzeichnung ist der verfremdenste Teil dieser Neuinszenierung, deren Konzept nicht gleich ersichtlich ist.
In der ersten Begegnung mit Salome ist Jochanaan gleich ihren Reizen erlegen und wirkt gegen den Text magisch von ihr angezogen. Immer wieder küsst er ihren Körper und weicht nicht von ihrer Seite, ja stösst sie anzüglich von hinten. Es ist Salome, die sich bedrängt fühlt und sich ihm entzieht. Trotzdem erleben wir sie gleich vereint am Boden liegend. Die erotische Spannung der Begegnung fehlt. Der verweigerte Kuss ist nach diesen gegenseitigen Liebkosungen nicht mehr echt. Neuartig und gedanklich akzeptierbar ist Denokes Gestaltung des Schleiertanzes, der zur Palastorgie führt, an der jeder männliche Angestellte mit heruntergelassener Hose teilnimmt. Die Lust des sexuellen Aktes ist dem Hausherren vorbehalten der kräftig stoßen darf. Nur die folgende Szene der Erfüllung des Eides verliert so jede Spannung in der Handlung. So wird auch kein Kopf in der Silberschüssel hereingetragen sondern Jochanaan kommt selbst blutüberströmt mit aufgeschlitztem Hals. Salome mittlerweile in schwarzer Unterwäsche beobachtet seinen Todeskampf. Auch Denokes Stilmittel der gedoppelten Salome als junges vergewaltigtes Mädchen ist nicht neu. Hier darf das alter Ego in der Schlussszene ein Messer überreichen. Salome richtet sich selbst und schneidet sich die Pulsadern auf. Der markige Todesbefehl des beobachtenden Herodes ist eigentlich nicht mehr nötig und wird auch nicht ausgeführt. Der Palast läuft nur neugierig sensationshungrig zusammen. Der Zuschauerraum ist zum Finale hell erleuchtet.
Die Personenführung ist üppig und dominiert von der ständig drehenden Bühne. Treppauf und treppab bzw in grossen Schritten geht es auf der Bühne im Geschehen voran. Zuviel davon wirkt ermüdend und wenig fesselnd.
Der Erfolg des Abends liegt in den Händen von Jacquelyn Wagner in der Rolle der Titelheldin. Mit vollem Einsatz spielt sie die junge am Hof des Herodes gequälte Stieftochter, die den sexuellen Abnormitäten standhalten muss. Ihr Sopran ist eine junge frische hell gefärbte Stimme, die nicht wie oft in Besetzungen dieser Rolle von Dramatik sondern von farbenreicher Lyrik geprägt ist. Sie kann nicht nur mit den körperlichen Reizen, die die Regie auch in üblicher Form verlangt, sondern auch mit ihrem Gesang betören. Jochen Kupfer ist ein jugendlich wirkender und auch stimmlich männlich präsenter Bariton der cantabel Melodiebögen zieht. Im Spiel wirkt sein Jochanaan spröde verhalten gegenüber seinen Kollegen. Feine schön geformte Töne lässt Jon Jürgens als Narraboth erklingen. Trotz frisch gegipster Hand aufgrund eines Sturzes füllt er die Rolle voll aus. Corona bestimmte die Besetzung von Herodes. Kurzfristig sprang Uwe Eikötter aus Mannheim für Florian Stern ein und erfüllte alle Erwartungen. Sein Tetrach ist bissig lüstern, machtgeil und weltfremd. Seine Stimme kann durchdringen und nuanciert sein zerklüftetes Inneres umsetzen. Susanna von der Burg wirkt als Herodia im Glitzeroutfit mit Zigarette und auftupierten Haar wie eine Drag Queen, die sich im Schleiertanz auch noch sexy einbringt. Schauspielerisch musterhaft, setzt sie auch stimmlichnoch ihre Akzente dazu.
Im Graben führt Lukas Beikircher das Orchester des Tiroler Landestheater sicher durch die anspruchsvolle Partitur und kann einige schöne Passagen herausarbeiten, setzt aber zu wenig Akzente.
Viel Beifall und wohlverdienten Applaus für die Künstler.
Dr. Helmut Pitsch
16. März 2022 | Drucken
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