Salzburg hält der Welt den Spiegel vor
Georg Friedricht Händel Il Trionfo del Tempo e del Disinganno
Premiere am 21.5.2021
Salzburger Festspiele
Die Salzburger Festspiele führen seit Jahren die Liga der großen internationalen Festivals an. Neben der Programvielfalt und Gestaltung sind besonders die jeweiligen alljährlichen Oper - Neuinszenierungen im Zentrum der kritischen Begierde des Publikums. Die Latte liegt hoch und immer noch höher, nach der Vielzahl von herausragenden impulsgebenden Produktionen, Rohrkrepierer inklusive, die auch hier zu verbuchen waren.
Nach den harten leidvollen Monaten des pandemiebedingten Lockdowns des gesamten gesellschaftlichen Lebens, Kultur- und Sportveranstaltungen eingerechnet war die Spannung und Vorfreude beim erwartungsvollen Publikum dieses Jahr umso größer. Endlich konnte es wieder nah am Geschehen dieses mit allen Sinnen in persönlicher Präsenz verfolgen und erleben. Ein ausgeklügeltes Sicherheitskonzept und umfangreiche Kontrollen am Einlass ermöglichen, dass die Spielstätten in Österreich zu 50% ausgelastet werden können.
Stilsicher - bewußt oder unbewußt - hat die künstlerische Leiterin der Pfingstfestspiele Cecilia Bartoli für dieses Jahr eine mehr als passende Werkauswahl getroffen. Das Oratorium Il trionfo del Tempo e del Disinganno schuf der junge Georg Friedrich Händel mit 22 Jahren in Rom. Sein Erstes, um das Verbot von Opern durch den Papst zu umgehen. Der weltlich anmutende Inhalt des Libretto ist tiefe Psychologie und Philosophie, intelligent von dem kunstsinnigen einflußreichen Kardinal Pamphili verfaßt. Roma Aeterna hat die Intendantin zum Motto der diesjährigen Festspiele geprägt. Es ist dies ihre Heimatstadt und geschickt findet sich in jedem aufgeführten Werk der Bezug zu der Stadt und harmonisch fügt sie diese zu einem vielschichtigen Programm von höchster Qualität zusammen.
Aber die Italienerin stellt nicht nur ihre Qualititäten als künstlerische Leiterin unter Beweis. Einmal mehr wirkt sie auch auf der Bühne mit und übernimmt eine Rolle in der szenischen Inszenierung dieses Werkes. Als Piacere – das Vergnügen – verführt sie Bellezza – die Schönheit, muss sich aber am Ende Tempo – der Zeit und Disinganno – der Erkenntnis geschlagen geben, die Bellezza von der Vergänglichkeit und der Akzeptanz der eigenen Sterblichkeit überzeugen. Über 300 Jahre sind seit der Entstehung dieses Stückes vergangen, seine Aussagekraft hat es in keinster Weise eingebüßt. Eitelkeit, Vergnügungssucht, Leichtlebigkeit prägen auch unsere Epoche und der Abend gebietet Einsicht.
Die Liste der Inszenierungen des Kanadiers Robert Carsen ist lang und sein Regiestil ist geprägt von einer intelligenten Durchdringung von Text und Musik. Seine stimmigen Umsetzungen bleiben realitätsbezogen, inhalts- bzw textbezogen und vereinen verschiedene Stilmittel ohne überbordenden Kitsch. Klug greift er gegenwartsbezogen den Schönheitswahn auf und macht Bellezza zur Teilnehmerin eines Topmodel Wettbewerbs, dessen Finale in Salzburg stattfindet. Piacere, als toughe Managerin einer Marketing- und PR Agentur im strengen roten Hosenanzug und männlichen Kurzhaarschnitt ist Mitglied der Jury neben Tempo, einem strengen kirchlichen Würdenträger in langer schwarzer Robe und Disinganno, einem verdrucksten Psychiater.
Zur Ouvertüre lernen wir die Teilnehmer am Wettbewerb in einem Video kennen – die später als Tanzcompagnie das Geschehen mitgestalten werden. Bellazza geht als Siegerin hervor und fällt in die Fänge der erbarmungslosen Piacere, die das unerfahrene Mädchen zum It Girl gestalten will. Rasant wie die Rezitative wechselt mit einfachen Mitteln das Bühnenbild, drei Sessel und ein Podest, das immer wieder hochgefahren wird oder im Boden verschwindet gehören zum Inventar. Die Musik gibt den Gegensatz zwischen Vergnügen und Zeit ein klares Bild, der Regisseur übernimmt dies mit ebenso ausdruckskräftigen Mitteln in Lichtregie, Kostümen und Personenführung. Disinganno steht wie ein Vermittler dazwischen und begleitet Bellezza wie ihr persönlicher Psychiater oder Coach. Dafür legt sich die Patientin auch auf die Liege.
Wirksam setzt Robert Carsen einen Spiegelvorhang über die gesamte Bühne ein.Jeder Zuschauer wird im Spiegelbild zum Mitwirkenden und Betroffenen In Überblendungen wird das Angesicht Bellezzas vom Kind bis zur gealterten Frau als Allegorie der Vergänglichkeit lebendig. Am Ende entsagt Bellezza und schreitet über die leere Bühne ans Bühnenende. Durch das Tor verläßt sie das Theater in ihrer neuen Einsicht.
Melissa Petit wandelt und verwandelt sich vom dummen Blondchen zur einsichtigen Frau, die die untrügerische Existenz der Zeit und die Vergänglichkeit erkennt. Ihre inneren Konflikte und Kämpfe weiß sie mit ihrem reinen Sopran nuanciert gefühlvoll zum Ausdruck zu bringen. Geschmeidig meistert sie die ständigen Läufe und leicht sitzen ihre Koloraturen. Cecilia Bartoli wirkt durch den Lockdown stimmlich sehr erfrischt und erholt. Mit ihrer gewohnten Spielfreude wirbelt sie auf der Bühne passend zur Rolle herum und weiß Bellezza immer wieder zu verunsichern und in ihren Machtbereich zu ziehen. Dabei zeigt ihre Stimme die unterschiedlichsten Ausprägungen, erbarmungslos werden beißende Koloraturen zum Stilmittel. Aber auch berührend lyrische Momente erreicht sie in der berühmten Arie „Lascia la spina“ in feinstem Pianissimo rein intoniert.
Lawrence Zazzo meistert den Disinganno mit seiner reifen Countertenorstimme. Ruhig besonnen ohne artistische Showeffekte erreicht seine Stimme Strahlkraft und in der Exotik der Stimmlage greift das Rollenbild bestens. Charles Workman vermittelt mit seiner Größe bereits natürlich Autorität. Somit kann er verständnisvoll weich und gütig seine Botschaft stimmlich in seinem Tenor verpacken. Seine dunkle Färbung wirkt samten und seine Koloraturen fließen locker.
Dem wirkungsvollen Bühnengeschehen verleiht Gianluca Capuano am Pult der Musicien du Prince-Monaco den notwendigen musikalischen Untermauerung. Das Orchester wurde von Cecilia Bartoli in Ihrer Funktion als Lieterin der Oper von Monte Carlo gegründet und begleitet sie bei ihren Aufnahmen und Tourneen. Unaufdringlich präsent begleiten die Musiker das Geschehen, setzen ihre Akzente und treiben das Geschehen voran. Mit Rafinesse stellen sich die Instrumentalsolisten zu den Stimmen und fügen sich aufmerksam ein.
Das Publikum feiert begeistert die überzeugende intelligente wie kurzweilige Inszenierung und die sängerische Leistung aller Mitwirkenden und das Orchester. Verdiente Bravi und standing ovations für diesen hervorragenden einprägsamen Opernabend.
Dr. Helmut Pitsch
24. Mai 2021 | Drucken
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