© Winfried Hösl
Eine neue Sichtweise auf Richard Wagners Tannhäuser will Romeo Castellucci, der Regisseur dieser Neuinszenierung an der Bayerischen Staatsoper aus 2017 schaffen. Verantwortlich für Regie, Bühne und Kostüme entrümpelt er die mittelalterliche Sage von Deutschtum, Rittern und Burgen und schafft eine klare transparente an eine klassische griechische Tragödie erinnernde Inszenierung. Indem er viele Einzelheiten mit symbolhaften Charakter einbaut bekommt diese ästhetische Umsetzung einen mystischen Charakter. Für die Handlung selbst gibt es nur wenig Regie, zumeist stehen die Sänger statisch nahe an der Rampe. Dafür ist die Choreographie für die zahlreichen Statisten umfangreich von Cindy van Acker ausgearbeitet und lenkt den Betrachter und insbesondere Zuhörer ab. Schon zur Ouvertüre bewegen sich im Rhythmus und Stimmungsbild der Musik barbusige Bogenschützinnen in langen weissen Röcken, an Tempeldienerinnen erinnernd. Zur steigenden Dramatik wappnen sie sich zum Schuss und zielen auf ein Auge, das durch ein Loch an der hinteren Bühnenwand das Geschehen verfolgt. Wer beobachtet wen und warum? Im Venusberg herrscht die aus Fleisch- und Fettmassen bestehende Venus als Zeichen der Wolllust. Tannhäuser mit seinem Bogen bewaffnet erkämpft sich die Freiheit, die er durch jenes Loch an der hinteren Bühnenwand durch die Videoinstallation einer Grotte erreicht. Der Bogen ist zentrales Element in dieser Inszenierung und wirkt symbolhaft für Jagd und Musik, die Leier oder Harfe aus dem Bogen entstanden. Zurück bei den Menschen trifft er auf Landgraf Hermann und die Minnesänger, die einen erlegten Hirsch auf die Bühne zerren. In roten Jagdmänteln nehmen sie den wiedergefundenen Abtrünnigen mit einem Blutritual in ihre Gemeinschaft auf. Dies erinnert an Freimaurer oder an die von Nitsch inszenierten Prozessionen. Die heiligen Hallen werden zum Labyrinth von langen weissen transparenten Vorhängen, welche von der Bühnendecke hängen und sich kontinuierlich auf Schienen bewegen. Elisabeth im hellen langen Kleid wird als keusche Tempelwächterin zur göttlichen Kultfigur stilisiert. Zum Wettkampf erscheinen die Minnesänger in langen weissen kimonoähnlichen Mänteln und legen sich ordentlich aufgereiht auf den Rücken ausgestreckt zu Boden. Einmal aufgerufen vollbringen sie ihr Preislied an einem Opferaltar angelehnt stehend. In der Gruft erleben die Betachter den dritten Akt. Auf den Grabsteinen von Elisabeth und Tannhäuser sind schon die Vornamen der Sänger eingraviert, Klaus -Florian Vogt und Lise - Davidsen. Unermüdlich werden im Hintergrund der Handlung ständig Leichname der beiden in unterschiedlichen Verwesungsstadien aufgelegt, bis am Ende nur mehr ein Häufchen Sand übrigbleibt, in dem sie dann endlich die Vereinigung finden. Zur Erläuterung werden auf die Bühnenrückwand die vergangenen Zeiträume von der Sekunde, über die Minute bis -zig Milliarden eingeblendet. Der geübte Betrachter muss sich hier konzentrieren, um nicht ganz von der Handlung und insbesondere der grossartigen musikalischen Ausleuchtung dieser Erlösung eines Verdammten ausgeblendet zu werden.
Die musikalische Gestaltung obliegt Simone Young, die das Staatsorchester mächtig in vollem Klang aufspielen lässt. Sie unterlässt die feingliedrige Zerlegung der Stimmen, um einen transparenten Klang zu erzeugen. Romantische epische Breite mit einem warmen satten Volumen gestaltet sie in unterschiedlichen Lautstärken. Dabei unterstützt sie die Sänger und nutzt die grossen Chorszenen, um Monumentalität zu erzeugen. Der Chor, wiederum bestens einstudiert von Sören Eckhoff, stellt sich der Herausforderung gewachsen und im Haus herrscht ein gefühlsgewaltiger musikalischer Erguss. Nicht ohne Wirkung.
Klaus Florian Vogt zeigt sich in bester Verfassung und gestaltet inbrünstig und frisch die wechselvolle Geschichte seiner Rolle. Vom Sturm und Drang des in die Götterwelt eingedrungenen jungen Wilden wandelt er zum streitbaren revolutionären Sänger, der als Verdammter geläutert und gebrochen zurück kehrt. Seine Romlegende wird zu einem Höhepunkt des Abends. Lise Davidsen zeigt sich als junge Sängerin mit grossem Potential für weitere Wagnerpartien. Ihre Elisabeth gestaltet sie mit ihrem dunkel gefärbten Sopran fein und elegant, menschlich jugendhaft. Ohne Bruch gleitet sie in die verschiedenen Lagen, bleibt klar und wortverständlich. Sehr kurzfristig ist Michael Nagy für den erkrankten Ludovic Tezier als Wolfram eingesprungen. Intelligent baut er die Rolle auf und zeigt in seiner grossen Arie an den Abendsterne ausreichend Reserven, um jeglichen Gestaltungsspielraum auszunutzen. Stephan Milling ist ein sicherer souveräner Landgraf, auch wenn er am Ende des zweiten Aktes in Unsicherheit verfällt. Der Schlussapplaus ist kräftig und lang zu recht für alle, die diese ästethische, mystische Märchenerzählung auf höchstem musikalischen Niveau gestaltet haben.
Dr. Helmut Pitsch20. Mai 2019
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