Schön bebilderte Tristesse zu Claude Debussys einziger Oper in München

Xl_02bbdc05-cb13-4845-8517-5f600c229c2d © Wilfried Hösl

Claude Debussy Pelleas und Melisande Opernfestspiele München 9.7.2024

Schön bebilderte Tristesse zu Claude Debussys einziger Oper in München

Eine glücklose Familie, die nicht kommuniziert, keiner hört zu, jeder bespitzelt jeden. In diese Tristesse gerät die junge Melisande, die von Prinz Golaud verloren an einem Brunnen gefunden wird. Ihre Vergangenheit bleibt rätselhaft, die beiden heiraten gegen elterlichen Wunsch. In ihrem Unglück verlieben sich Pelleas, der jüngere Halbbruder Golauds und Melisande. Von Eifersucht getrieben tötet der neurotische Golaud seinen Halbbruder, Melisande stirbt nach der Geburt ihrer Tochter.

Die literarische Vorlage für die einzige Oper von Claude Debussy Pelleas und Melisande stammt vom Belgier Maurice Maeterlinck. Nachdem dessen Lebensgefährtin, die Sängerin Georgette Leblanc, in der Uraufführung 1902 nicht für die Titelrolle ausgewählt wurde, tobte eine erbitterte Auseinandersetzung zwischen Debussy und Maeterlinck vor Gericht und im Pariser Publikum. Nach Anlaufschwierigkeiten wurde die Oper ein Erfolg und als Befreiung von der Wagnerschen Dominanz in Frankreich gefeiert.

Allzu häufig ist diese impressionistische Oper nicht auf deutschen Spielplänen zu finden. Umso erfreulicher, dass sich die Bayerische Staatsoper nun für eine Neuinszenierung im Rahmen der diesjährigen Opernfestspiele entschieden hat. Als Aufführungsort wurde passend mit seinen Jugendstilanklängen das Prinzregententheater gewählt.

Die Regisseurin Jetske Mijnssen verlegt das Drame lyrique in die Entstehungszeit des Schauspiels, dem „Fin de Siecle“.  Ben Baur schuf hierzu bestens gelungen ein steriles stilvoll bürgerliches Ambiente auf der Bühne und in den Kostümen. Die verschiedenen Szenen in den fünf Akten werden in einem Guckkasten, der mit einem weiß leuchtenden Rahmen umschlossen ist gezeigt. Ein dunkler Parkettboden ist Konstante, dazu werden immer wieder Requisiten aufgestellt. Zwischen den Szenen wird der Vorhang heruntergelassen. Mitunter unterbrechen zu lange Pausen den Spannungsbogen. Die Kostüme mit Korsett und hochgeschlossenen Kleidern und strengen Anzügen für die Herren und Kinder spiegeln die harte Etikette wieder. Wasser übernimmt einen tragenden Teil in der Symbolik der Entwicklung der Tragödie und am Ende waten die Protagonisten in einem Becken in ihrem Leid, der Holzparkett hat sich aufgelöst. In der Personenregie bringt Mijnssen die Kälte aber auch die Hilflosigkeit im Umgang mit Gefühlen zum Ausdruck. Selbst unter den Liebenden kann keine Emotion aufkeimen, auch nicht Furcht oder Angst. Lediglich der junge Yniold kriecht noch unter dem Tisch um Schutz zu suchen.

Musikalisch breitet Debussy umso mehr einen Gefühlsteppich aus, der sich bis zur Pause nach dem dritten Akt sehr langsam entwickelt, der Handlung entsprechend. Melisande tastet sich in die Familienbeziehung vor, wie auch ihre Liebe zu Pelleas behutsam wächst. Umso dramatischer die Steigerung und die Wucht der Gefühlsballung in den beiden letzten Akten. Alles Aufgestaute scheint hervorzubrechen. So fühlt es sich im Dirigat von Hannu Lintu an. Das Bayerische Staatsorchester kommt hier dominant zur Geltung und macht es den Sängern schwer zu bestehen. Umso mehr besticht das Orchester aber auch in den wunderbar ausmusierten Zwischenspielen, die eine impressionistische bebilderte Klangwelt ausbreiten.

Das Sängerensemble ist bestens ausgewählt und internationale Spitzenklasse. Franz Josef Selig zeigt einen hartherzigen verschlossenen Großvater Arkel, der im Alter zu reflektieren scheint und begangene Fehler erkennt. Weich und schmerzvoll versucht er sich versöhnend einzubringen, sucht mit Authorität zu punkten. Er führt seinen dunklen Bass mühelos durch Gesangslinien, kann das Volumen gut dosieren und setzt sein warmes Timbre fassettenreich ein. Sophie Koch ist eine versteinerte Genevieve, Mutter der Halbbrüder, die hilflos in einem Korsett strenger Regeln steckt und Gefühle ausklammert. Ohne Schärfe führt sie ihren Mezzo, bleibt zurückhaltend und versucht in feinem Schöngesang die schwellende Explosion zu verhindern. Ben Bliss ist ein lyrischer Pelleas, dessen Tenor edel und jugendlich klingt, bleibt leider in der Kraft und Fülle zurück. Zu dominant gestaltet Christian Gerhaher seinen Golaud. Es ist sein Rollendebüt und man spürt, dass er sich in diese Rolle sehr intensiv hineingearbeitet hat – auch darstellerisch. Sein Rollenbild des verklemmten Neurotikers, der sich in seinen Ausbrüchen nicht kontrollieren kann, um anschließend in Reue zu vergehen ist sehr glaubhaft. Stimmlich zieht er hierzu alle Möglichkeiten, die ihm technisch geboten sind. Hier kommt ihm auch seine breite Erfahrung im Umgang mit feinen subtilen Liedern zu Gute. Perfekt sitzen die Töne in allen Lagen, die vokale Leuchtkraft rückt ihn in den Mittelpunkt des Abends. Sabine Devieilhe versteht es ihm gegenüber mit Anmut und engelsgleicher Ruhe einen starken Gegenpol zu entwickeln, der dem Abend eine gewisse Spannung geben kann, die der Betrachter mitunter vermisst. Ihre herrlich sinnliche Sopranstimme verleiht ihr zusätzlich Charisma als Opfer der vermeintlichen Ausweglosigkeit. Beeindruckend ist die Leistung von Felix Hofbauer, Solist des Tölzer Knabenchor, als Yniold. Er gestaltet den Jungen inmitten der Trostlosigkeit seiner Familie mit einer starken Präsenz und spielerischen Lockerheit. Souverän für sein Alter auch seine stimmliche Darbietung, die zurecht mit viel Applaus belohnt wird.

Großer Beifall für alle Beteiligten für diese gelungene Premiere.

 

Dr. Helmut Pitsch 

 

 

 

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