Spannend realistisch cinematographisch Dialogues des Carmelites in Zürich

Xl_carmelites_r_herwig_prammer_2pr1787 © Herwig Prammer

Francis Poulenc Dialogues des Carmelites Opernhaus Zürich 13.2.2022 Premiere

Spannend realistisch cinematographisch Dialogues des Carmelites in Zürich

Die französische Revolution liefert zahlreiche schreckliche Begebenheiten einer Terrorherrschaft, die aber an Aktualität oft genug kaum eingebüsst haben. So ist auch die Hinrichtung der Ordensschwestern von Compiegne am 17. Juli 1794 im Rahmen der Säkularisieung beklemmend, aufwühlend und ebenso aktuell mit anstehenden religiösen Verfeindungen und regierender Terrorregime.

Die vom Protestantismus zum Katholizismus konvertierte deutsche Dichterin Gertrud von le Fort (1876-1971) schuf mit ihrer Novelle „die letzte am Schafott“ eine literarische Dokumentation dieses Ereignisses und verlieh ihr eine Rahmenhandlung in deren Mittelpunkt Blanche de la Forche steht. Das junge Mädchen ist von Angstzuständen getrieben, ihre Mutter ist an ihrer Geburt durch einen Unfall verstorben, und sucht ihr Seelenheil im Kloster. Der Tod der schwer erkrankten Priorin wirkt für Schwester Blanche erlösend und symbolisiert dargestellt, indem die Priorin die Qualen für jemanden anderen erträgt und die Todesangst mit sich trägt. Das Kloster wird durch die Revolutionsgarden aufgelöst und Blanche kehrt als Magd in ihr besetztes adliges Haus zurück. Als sie von der Verurteilung ihrer Ordensschwestern hört schließt sie sich deren Gang zur Guillotine an unter dem Gesang des Salva Regina.

Le Forts Novelle diente Georges Bernanos als Vorlage für sein einziges Bühnenstück 1952 uraufgeführt und auch als Filmdrehbuch, 1960 verwendet. Francis Poulenc erarbeitete selbst daraus das Libretto zu seiner 1957 an der Mailänder Scala uraufgeführten Oper Dialogues des Carmelites. Sowohl Le Fort als auch Poulenc sahen sich mit den Schrecken des NS Regimes konfrontiert und beide besinnen sich auf den Katholizismus. Poulenc fühlt sich von den Ängsten Blanche angezogen, findet er dort die Ängste und Selbstzweifel seiner verdrängten Homosexualität wieder. Die Komposition des Werkes spiegelt dieses psychologische Profil und die selbstverzehrende Intensität der Auseinandersetzung mit dem Stoff. Seine durchgehend tonale Musik verarbeitet Einflüsse von Monteverdi bis Stravinsky, Impressionismus und Verismo. Das Orchester ist groß besetzt, es bleibt aber in der Klangwucht reduziert. Transparenz und kammermusikalischer Charakter dominieren, so wie klarer Sprechgesang, der selten in großangelegten Melodiebögen ausfranst. Eingängig und ansprechend, geradezu intim einnehmend ist seine Tonsprache, der sich der Zuhörer schwer entziehen kann.

Die holländische Regisseurin Jetske Mijnssen dieser Neuinszenierung am Opernhaus Zürich beläst die Handlung sehr realistisch in der französischen Revolution. Gideon Davey kreiert elegant barocke Hofkleider und klassische Ordenstrachten. Dramaturgische Aussagekraft verdankt die Regie auch dem intelligenten wie ausdrucksstarken Bühnebild von Ben Baur. Nur geringe Änderungen sind notwendig, um die Schauplätze der zwölf Bilder markant vor der gleichbleibenden grauen Wand mit barockem Stuk entstehen zu lassen. Vom Adelshaus, über Klosterkapelle oder -Zelle hin zum Gefängnis werden Eingangstore oder Fenster in den Paneelen rasch ausgetauscht. Eine unaufgeregte Personregie vermittelt die psychologische Gedanken- und Gefühlswelten und setzt große Anforderungen an die Sängerinnen.

Olga Kulchynska verleiht mit ihrem klaren hellen Sopran ihrer Blanche Jugendlichkeit, Einfalt und Ehrfurcht. Mühelos bewegt sie sich in der Höhe, zurückhaltend aber präsent verbleibt sie in den Dialogen und Bewegungen. Evelyn Herlitzius ist beeindruckend in ihrer intensiven Darstellung der Priorin. Farbe und Charakter steckt in ihrer reifen Stimme, die sie gezielt flexibel und treffsicher in der Intonation einsetzt. Ihr Sterben wird zu expressiver Dramatik aufgedreht und hinterlässt emotionale Spuren nicht nur bei den Ordensschwestern. Inga Kalna feiert ihr Rollen- und Hausdebüt als die neue Priorin Madame Lidoine. Ihr Sopran hebt sich leicht brüchig ausgewachsen von den Novizinnen ab und vermittelt mütterliche Wärme und sakrale Autorität auch gegenüber den eindringenden Revolutionsgarden. Die verräterische eidflüchtige Mere Marie obliegt Alice Coote. Die Britin weiß salbungsvoll die jungen Schwestern zum fatalen Märtyrereid zu verführen. Ihr Mezzo ist fein timbriert und lyrisch angelegt. Die frohsinnige scheinbar unbekümmerte Soeur Constance wird von Sandra Hamaoui sehr natürlich echt auf die Bühne gebracht. Auch ihr Sopran strahlt jugendlich frei und unbekümmert aber erzogen kontrolliert.

Nicolas Cavallier ist ein distinguierter Marquis und fürsorglicher Vater Blanches, Thomas Erlank singt vollmundig poetisch dessen Sohn, der vegeblich versucht seine geliebte Schwester zur Flucht ins Ausland zu überreden.

Tito Ceccherini am Pult des Orchesters des Opernhaus Zürich beschäftigt sich eingehend mit zeitgenössischer Musik und arbeitet die Modernität und Progressivität der Musik Poulenc in den Details heraus. Versteckt in spitzen Rhythmen, feinjustiert in den Harmonien und ausgereizt in der Melodik ist diese schmeichelnd gefühlvolle Musik moderner und progressiver als die Tonalität erkennen lässt. Der Handlung geschuldet ist sie monochrome und nah der a capella Tradition der Renaissance. Die Zwischenspiele nutzt der Dirigent, um wohlig einzustimmen und im vollen Klang die Handlung bildhaft werden zu lassen.  Janko Kostelic hat den  Chor, insbesondere die Novizinnen bestens vorbereitet und einstudiert.

Viel Jubel und Anerkennung für Musiker und Regieteam dieser Neuinszenierung, welche mit Freude angenommen wurde.

Dr. Helmut Pitsch

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