Spannender Krimi im Doppelpack - Cavalleria und Bajazzo in Wien
Dicht sind die grauen Wolken über dem österreichischen Kulturhimmel, erste böse Vorzeichen eines neuerlichen Lockdown sickern in der Presse durch. Nochmals füllt sich die Wiener Staatsoper mit dem in Corona Zeiten treuen und verdientem Publikum. Nochmals will es die Begeisterung für die Oper ausleben, die Bestürzung und das Unverständnis über die möglichen Ankündigungen der Regierung sind Tagesthema in der Pause und auf den Gängen..
Auf der Bühne und im Orchetsergraben wird an diesem Abend mit einer Inbrunst und Hingabe gespielt und gesungen, daß den Besuchern das Herz aufgeht und der Beifall in standing Ovations nicht enden will. Die beiden Einakter "Cavalleria rusticana" und "I Pagliacci" sind als Duo wie eineiige Zwillinge und werden an diesem Abend jeweils zu einem packenden ergreifenden Krimi ersten Ranges. Selbst Hitchcock oder Tatort können nicht spannender sein.
Noch immer besticht die seit 35 Jahren laufende Inszenierung von Jean Pierre Ponnelle, der auch die realistischen und intelligent gestalteten Bühnenbilder und Kostüme schuf. Alles aus einem Guß versetzt wahrlich in den Süden Italiens. Die Protagonisten leben an diesem Abend ihre schauspielerischen Talente mit Einsatz und Freude aus.
Allen voran schlüpft Eva Maria Westbroek mit grossem schauspielerischem Talent in die Rolle der Santuzza. Ihr Sopran zeigt bereits Schärfe und überzogene Dramatik, aber damit würzt sie gekonnt ihre Santuzza, die aus Verzweiflung und Eifersucht ihren Ex Lover Turiddu an den gehörnten Ehemann Alfio ausliefert. Brian Jagde gibt als Turiddu sein Rollendebüt an der Wiener Staatsoper und singt nach anfänglichen Unsicherheit aus dem Hintergrund dann umso kräftiger und lautstark, aber überzeugend sicher in den Höhen. Ambrogio Maestri steht als Alfio mit seinem Gewicht wie ein Fels in der Brandung und faxt nicht lange als betrogener Ehemann herum. Stimmlich zeigt er sich an diesem Abend in bester Form. Zoryana Kushpler sprang kurzfristig für Mara Zampieri ein, zu jung und zu farblos als Mama Lucia. Auch Isabel Signoret weiss zu wenig als verführerische und ehebrecherische Lola der wütenden Santuzza gegenüberzustellen.
Marco Armiliato verschmilzt gemeinsam mit den Wiener Philharmoniker förmlich und hörbar mit den ausufernden Melodien und romantischen gefühlsbetonten Klängen des Verismo. Mitreissend temperamentvoll spielt das Orchester und badet förmlich im satten oft auch sehr lauten Zusammenspiel, immer gefühlt passend.
Nach der Pause kommt es zum Wiedersehen mit dem Publikumsliebling Roberto Alagna in seinem Rollendebüt als Canio in Pagliacci. Doch zuvor stimmt Ambrogio Maestri vor geschlossenem Vorhang stimmgewaltig und mystisch verführerisch in seinem Prolog auf den folgenden Theaterabend ein. Im klapprigen ausgedienten LKW kommt die fahrende Theatergruppe malerisch auf die Bühne. Meisterhaft gestaltet der Regisseur die Massenszenen und den Trubel auf dem kleinen dörflichen Platz. Aus dem nichts entsteht eine wahre Theaterbühne mit Vorhang, Beleuchtung und Zuschauerbänken. Das Theater im Theater beginnt. Packend schlüpft Roberto Alagna in die Rolle des Pagliacci und erntet für seine Arie "Vesti la giubba" langen Beifall. Im folgenden gestaltet er die Rolle mit Hingabe und Leidenschaft. Seine Stimme zeigt sich gut erholt und kräftig. Ohne Druck meistert er in seiner gesteigerten wahnsinnigen Eifersucht die Höhen und wirbelt furios über die Bühne. Seine im wahren Leben angetraute Gattin Aleksandra Kurzak erlebt ihn so hoffentlich nur als Nedda auf der Bühne. Sie ist nicht mehr die jugendliche Unschuld und Canios Opfer sondern eine selbstbewusste Frau, die sich zu wehren versucht und dagegen hält, aber ausweglos. Sergey Kaydalov gestaltet einen lyrischen Silvio, der von dem Wütenden mit ins Verderben gerissen wird. Bemerkenswert auch die Rollenzeichnung des Beppo von Andrea Giovannini, der neben gut singen auch Tanzen und akrobatische Räder schlagen kann..
Wiederum von der Musik beseelt wirken die Wiener Philharmoniker und Marco Armiliato. Ein herrlicher italienischer Abend als Balsam für die Seele bevor das begeisterte Publikum und die verdienten Künstler weggesperrt werden.
03. November 2020 | Drucken
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