Tosca - Weltklasse-Niveau auf den Kanaren!

Xl_d77d2bfc-fb6b-4705-9151-fd0cd6a77029 © Nacho González ACO

Las Palmas de Gran Canaria: TOSCA Premiere am 20. und 1. Reprise am 22. Februar 2024

Weltklasse-Niveau auf den Kanaren!

Die 57. Temporada der Amigos Canarios de la Ópera – ACO, mit der Ópera de Las Palmas de Gran Canaria, begann mit einem ganz großen Auftakt-Akkord! In einer Neuinszenierung der „Tosca“ von Giacomo Puccini in Zusammenarbeit mit Opera Production CD durch Daniele Piscopo sang Piotr Beczala den Cavaradossi, den er wenige Tag zuvor noch an der Wiener Staatsoper gesungen hatte! Es war eine Offenbarung und eine vokale und darstellerische Meisterleistung, mit der Beczala eine Begeisterung des Publikums von Las Palmas auslöste, die ich hier noch nie so enthusiastisch erlebt habe.

Der Sänger brillierte mit einem kraftvollen und klangschönen Tenor mit viriler Tiefe, was ihm eben auch den Lohengrin und hoffentlich einmal auch den Parsifal ermöglicht, und einer strahlenden und alle sowie alles übertönenden, immer kontrollierten Höhe. Dabei hat er sich mittlerweile auch eine Italianità angeeignet - wie sich schon gleich bei „Recondita armonia“ hören ließ - um die ihn mancher italienische Spinto-Tenor beneiden dürfte. Dazu kommt eine unglaublich authentische Rollengestaltung, bei der es gar keiner Personenführung mehr bedarf. Es war ein Spaß anzusehen, wie er vor der ihm auf die Nerven gehenden Tosca in der Kirche Sant‘Andrea della Valle seine Unruhe über das Schicksal des in der Kapelle versteckten Angelotti zu kaschieren versucht. Oder wie ihm anzusehen ist, dass im 3. Akt ihre Story von der vermeintlichen Freiheit nicht gut gehen wird. Die „dolci mani“ werden für Beczala sichtbar zu einem Schwanengesang.

Erika Grimaldi war für Beczala eine Tosca auf Augenhöhe mit einem prägnanten und sehr akzentuierten Sopran bei großer Musikalität. Vielleicht könnten die Tiefe und einige Spitzentöne wie bei „O Scarpia, avanti a Dio!“ noch etwas voluminöser und runder sein, aber das sind nur Nuancen. Grimaldi überzeugte zudem mit einem mimisch perfekten und authentisch koketten Spiel im ersten sowie einer großen glaubhaften Verzweiflung im zweiten sowie einer gewissen Naivität im dritten Akt, bei großer Agilität. Der international sehr bekannte und häufig an der Met singende Georgier George Gagnidze war als Scarpia ein starker optischer und dramatischer Kontrast zu den beiden. Wie ein Tito Gobbi aus glorreicher Vergangenheit im roten Brokatkostüm im 2. Akt unglaublich autoritär und mit reiner gewissen Korpulenz auch beängstigend wirkend, gab er dem Polizeichef die ganze Brutalität, aber auch den larmoyanten schwarzen Zynismus. Dabei konnte er seinen kraftvollen und bestens geführten sowie ebenso facettenreichen wie wortdeutlichen Bariton bestens einsetzen. Das Trio war somit von allererster Qualität!

Aber auch die Nebenrollen hatten die ACO bestens besetzt, was ihr ausgeprägtes Verständnis von hoher künstlerischer und insbesondere auch vokaler Qualität bei dieser „Tosca“ wieder einmal zum Ausdruck brachte. Der junge Max Hochmuth war ein gehetzter und gleichwohl klangvoll singender Angelotti mit dunkel schattiertem Bariton und sehr gutem Acting. Er gab am Schluss auch den Gefängniswärter. David Barrera war ein sehr guter Spoletta in einer Rolleninterpretation, die man im Rheinland als „fiesen Möpp“ bezeichnen würde. Mit linkischer Mimik war er Scarpia ein allzu williger Erfüllungsgehilfe und konnte auch stimmlich mit seinem geschmeidigen Tenor voll überzeugen. Ebenso gut sang und spielte der Bariton Fernando Campero den Sciarrone, der hinter einem Gaze-Vorhang Cavaradossi sichtbar malträtierte. Isaac Galán als Sakristan bot eine gute Charakterstudie, mit viel Komödiantik und authentisch zur Schau gestellter Furcht vor Scarpia und seinen Schergen „Libera me Domine!“… Äußerst gelungen, wenn man an den immer wieder einmal etwas bedürftigen Gesang des Hirten zu Beginn des 3. Akts denkt, war hier die Besetzung der Rolle mit der Sopranistin Marina Díaz. Sie sang aus der oberen Proszeniums-Loge für alle sichtbar sehr schön die wenigen Zeilen mit der gebotenen Traurigkeit - ein kurzes klangvolles und emotionales Innehalten! Auch der Chor del Festival de Ópera, einstudiert von Olga Santana, und der Kinderchor der OFGC unter Marcela Garrón fügten sich mit guten Einsätzen, viel Spielfreude und kräftigen Stimmen stets harmonisch in das abwechslungsreiche Geschehen ein.

Die Inszenierung von Daniele Piscopo, der immer wieder an der Ópera de Gran Canaria inszeniert, ist von ausgesuchter Schönheit und Ideenreichtum im klassischen, völlig werkimmanenten Format. Der Regisseur hält sich an die Vorgaben des Verismo und der Anweisungen Puccinis - und siehe da, alles passt zusammen mit diesen erstklassigen Sängern und einem ebenfalls sehr guten Orchester unter der Leitung von Ramón Tebar. Im 1. Akt sieht man in die Tiefe des Altarraums der Kirche Sant’Andrea della Valle mit reichen Dekors. Cavaradossi malt am Bild der Attavanti, welches von oben heruntergelassen wird. In dem Raum tummeln sich später die Novizen mit dem Messner, bis stimmgewaltig und spektakulär Scarpia mit seinen Leuten eintritt, er in einem dunklen eleganten Brokatrock. Die stets passenden und sehr geschmackvollen Kostüme schuf Claudio Martín. Im 2. Akt schaukelt sich die Dramatik äußerst intensiv hoch. Störend und unnötig ist nur der bühnenhohe Umhang zu Beginn um Scarpias Dinner-Table, warum?! Dann sieht man aber durch die gute, auch sonst immer Stimmungen verstärkende Lichtregie vom Rodrigo Ortega in ein geheimnisvolles, schummrig-düsteres Interieur des Palazzo Farnese – „Questo è luogo di lacrime!“ Cavaradossi wird für alle sichtbar gegen Ende seiner Tortur hinter einem Vorhang gequält. Großartig gelingen sowohl Beczalas „Vittoria! Vittoria!“ wie Grimaldis „Vissi d’arte, vissi d’amore,…“ Die Szene zwischen Tosca und Scarpia steigert ich fast ins Unerträgliche, so intensiv spielen Erika Grimaldi und George Gagnidze ihre Parts. Nach dem Herzstich schneidet sie ihm - schon am Boden liegend - noch die Kehle durch. Mehr geht nicht! Im 3. Akt erleben wir in der 1. Reprise, die qualitativ der Premiere in nichts nachstand, das, was man schon in der Premiere erwartet hatte. Piotr Beczala erhielt für sein „E lucevan le stelle…“ so viel Applaus, dass er es auch hier auf Gran Canaria wiederholte! Das Publikum war aus dem Häuschen! Eine kleine, aber interessante Abweichung von Gewohntem: Piscopo lässt Spoletta von der Seite der Treppe auf der Engelsburg, auf der Cavaradossi mit ausgestreckten Armen die Kugeln erwartet, hämisch grinsend die Exekution verfolgen. Vielleicht wurde durch diese - wahrscheinlich auch angeordnete - Neugier der Mord an Scarpia erst später entdeckt. Ein interessantes Detail einer Inszenierung, die sich in völliger Übereinstimmung und Stilsicherheit nach den Vorstellungen und Intentionen des Komponisten bewegte und dabei keine Sekunde langweilig war. Auch so geht Oper noch!!

Das alles hätte aber nicht so gut und spannend gewirkt, hätte im Graben des Teatro Pérez Galdós nicht Maestro Ramón Tebar mit einer offenbar intimen Kenntnis der Oeuvres Puccinis das Orquesta Filarmónica de Gran Canaria zu einer wirklich erstklassigen Interpretation der „Tosca“-Partitur motiviert. Man merkte in der Tempogebung und in der Herausarbeitung dramatischer Momente einerseits wie auch der subtilen Passagen andererseits, dass hier nicht nur mit großer Sachkenntnis, sondern auch mit viel Herzblut musiziert wurde. Großer Applaus war die Folge, für die Solisten ohnehin. Abschließend sei noch dankend zur Kenntnis zu geben, dass Turismo Gran Canaria die journalistische Arbeit zum Programm der Temporada der Ópera de Gran Canaria sowie der ACO großzügig unterstützt. In Las Palmas steht übrigens auch eines der schönsten Aquarien Europas, „El Poema del Mar“.

Ein Besuch der Insel des ewigen Frühlings im Winter lohnt sich also aus ganz unterschiedlichen Gründen…

Dr. Klaus Billand

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