Richard Wagner Der Fliegende Holländer - Teatro Municipal Santiago de Chile Premiere am 17. und 1. Reprise 20. November 2024
Traditionell, klassisch in ästhetischen Bildern – Wagner in Chile
In Santiago fand dieses Jahr das 17. Jahrestreffens des Dachverbandes der lateinamerikanischen Opernhäuser mit assoziierten Compagnien in Spanien und Portugal statt. Im Rahmen dessen wurde im ehrwürdigen und schon 1857 gegründeten Teatro Municipal von Santiago de Chile eine Neuinszenierung des "Fliegenden Holländer" von Richard Wagner herausgebracht.
Der argentinische Regisseur Marcelo Lombardero, selbst ehemals Opernsänger, zeigt das Stück in den Bühnenbildern von Noelia González Svoboda und den Kostümen von Luciana Gutman als eine ausgeprägte Seemannsgeschichte, das Meer spielt auch in der Geschichte und Mythologie Chiles eine große und stets präsente Rolle. Das südamerikanische Land verfügt über eine 4.500km lange Pazifikküste auf seiner gesamten Nord-Südausdehnung
Lombardero verbindet die Handlung des fliegenden Holländer mit einem Geisterschiff, das in der Mythologie der Insel Chiloé im Süden des Landes verhaftet ist. Caleuche ist ein leuchtendes Segelschiff, das andere Schiffe wie die Sirenen in der griechischen Mythologie anlockt. Übermächtig ist das Schiff in der Lage, sich Angreifern zu entziehen, gegen den Wind zu segeln oder auch unter die Wasseroberfläche abzutauchen, Singende und tanzenden Hexer steuern Chiloé mit schwarzmagischen Kräften und wollen rechtschaffende Chiloten ins Unglück stürzen. Dies alles eine nahezu perfekte Assoziation zu den Matrosen des Holländer, die der Regisseur in roter Ausleuchtung wirkungsvoll (stets stimmungsverstärkend José Luis Fioruccio) im ganzen Bühnenraum und hochpeitschenden Wellen des Meeres auf den oberen Proszeniumslogen singen lässt, umrahmt von gut gewählten Videos von Gisele Hauscarriaga.
Wendy Bryn Harmer ist eine exzellente Senta, äußerst engagierte und ständig verzweifelt mit dem düsteren Bild des Holländers in den Armen (vergleichbar Lisbeth Balslev in der Bayreuther Kupfer-Inszenierung), mit noch überzeugenderer gesanglicher Leistung in der 1. Reprise als in der Premiere. Sie erreicht die erforderlichen Spitzentöne und verfügt über eine gute klangvolle Mittellage. Ryan McKinny sprang für Olafur Sigurdarson als Holländer mit schönem Timbre ein. Es fehlt aber für den Holländer an Volumen und auch an Dämonie, speziell in dieser Inszenierung, vor allem im Finale. Darstellerisch hätte man sich auch etwas mehr Engagement gewünscht.
Vazgen Gazaryan ist mit kraftvoller Stimme und seemännischem Duktus ein authentischer Daland. Gleich zu Beginn des Vorspiels definiert sich sein negatives Rollenbild in einem starken Auftritt, wenn Daland fast gewaltsam auf seine Frau losgeht. Diese liest der kleinen Senta aus einem Buch vor. Auch Senta kommt nicht gut davon und flieht mit der Mutter. So reift schon früh ihr späterer Entschluss, diese Welt für immer zu verlassen. Sicherlich eine sinnvolle Interpretation des Vorspiels, das dann aber gleich in Meeres- und Wellen-Assoziationen übergeht.
Evelyn Ramírez war eine klangvolle und bestimmte sowie bestimmende Mary. Alec Carlson sang den Erik mit einer schönen und sicher geführten Tenorstimme, die aber mehr ins Mozartfach neigt und für den Erik zu klein ist. Nicolás Noguchi gab einen guten und umtriebigen Steuermann.
Alejo Pérez leitet engagiert das Philharmonische Orchester von Santiago mit flüssigen Tempi und aufmerksamer Führung der Sänger. Er animiert auch bestens den erstklassigen Chor des Teatro Municipal zu großer sängerischer Intensität. Der Orchesterklang wirkte allerdings im Saal etwas gedämpft. Mehr Prägnanz hätte hier geholfen, insgesamt eine starke Interpretation des „Fliegenden Holländer“, die am Schluss sogar noch eine emotional ergreifende Verklärung der Senta in den Fluten des Meeres bot. Dies als schlüssiges Ergebnis einer stimmigen emphatischen Darstellung der Frau, die dem Holländer zuvor Treue bis zum Tod versprochen hatte, wie auch ihres spektakulären Sprunges ins Meer vor den fassungslosen Augen Dalands und seiner Leute - ein durchaus auch ergreifendes Ende! Inwieweit würde eine solche Deutung nördlich der Alpen noch seinen Zuspruch finden in der vermeintlich unumgänglichen Suche der mit pseudo-intellektueller Neudeutung oder gar -lesung befassten Kritiker-Elite.
In der chilenischen Hauptstadt brach vor vollem Haus, kaum dass der Vorgang gefallen war, ein Jubelsturm los, der klar machte, dass eine solche Inszenierung hier große Anerkennung oder gar mehr findet. Es ist an der Zeit, dass man auch in näherliegenden Opernhäusern langsam an ein Zurückführen des bisweilen völlig aus dem Ruder laufenden Wagnerschen Regietheaters denkt. Die Mailänder Scala hat kürzlich mit ihrem neuen „Rheingold“ gezeigt, dass es geht.
Dr. Klaus Billand
03. Dezember 2024 | Drucken
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