Halle/Saale: „TRISTAN UND ISOLDE“ am 18. April 2022
Nur mit Gebrauchsanweisung…
In einer Übernahme der Inszenierung von Jochen Biganzoli am Theater Hagen kamen in dieser Saison die Bühnen Halle mit der Handlung in drei Aufzügen „Tristan und Isolde“ von Richard Wagner heraus. Man erlebte mal wieder einen dieser im Wagnerschen Regietheater immer häufiger werdenden Fälle, in denen die vorherige Lesung des Dramaturgen-Gesprächs mit dem Regisseur, wie es in Halle auch äußerst informativ im Programmheft geboten wird, nahezu unabdingbar wird. Nur, wer hat vom „normalen“ Opernpublikum schon das Programmheft vorher?! Und selbst wenn er es hätte, wer würde es wirklich ganz lesen, um zu verstehen, welche intellektuellen Alternativen - nachvollziehbare bis hin zu nicht mehr nachvollziehbaren Bocksprüngen - dem Opernbesucher mit normaler Werkekenntnis am Abend geboten werden?
Denkt man nicht gerade bei „Tristan und Isolde“, zumal wenn man Wagners Intentionen zu seinemopus summum reflektiert und das Werk in etwa kennt, dass es hier um intimste Emotionen zwischen zwei Personen, ja um die ultimative Liebe zweier Liebenden geht, die insbesondere im 2. Aufzug manifest wird. Erst recht, wenn diese es nicht öffentlich ausleben dürfen. Wer denkt nicht an den Moment, wenn sich die Szene auf dem Höhepunkt des Liebesduetts verdunkelt, wie einst bei Heiner Müller in Bayreuth, und man nicht weiß, was zwischen beiden passiert, die in Gedanken der Liebe versunken miteinander kommunizieren. Das wusste man auch bei Richard Wagner und Mathilde Wesendonck nicht ganz sicher… Eigentlich ist alles möglich, das ist in der Musik zu hören und fordert somit den Widerspruch des höfischen Verhaltens-Kodex regelrecht heraus, der sich am Ende des 2. Aufzugs - formal legitimiert - durchsetzt.
Regisseur Biganzoli und seine beiden Dramaturgen Francis Hüsers und Carlo Mertens hatten aber eine ganz andere Idee, für die sich durchaus auch schlüssige Anhaltspunkte finden lassen. Sie glauben, dass alle fünf Protagonisten des „Tristan“ in ihren eigenen Welten gefangen sind, in denen sie überwiegend auch nur sie betreffendes Vergangenes reflektieren, also gar nicht der Interaktion mit den ihnen im Stück zugeordneten Figuren bedürfen. Man hat versucht „Welten zu finden und dabei zu jeder Figur eine spezifisch passende.“ So habe man beispielsweise bei Hans Mayer oder Carl Dahlhaus den Gedanken gefunden, dass die Figuren gar nicht wirklich miteinander kommunizieren, sondern monologisieren. So wurde das Stichwort „Monolog“ zu einem zentralen Motiv der Regiekonzeption. Es lässt sich in Wagners Libretto und mehr noch in seiner Musik aber auch das genaue Gegenteil belegen!
Bei Erich Fromm fand man das zweite Motiv: Er hat wohl geschrieben, dass das Individuum allein ist im Universum und die Liebe der Versuch, diese Einsamkeit zu überwinden. Wie gesagt, da ist sicher viel dran, aber reicht es als Rechtfertigung dafür aus, alle fünf Protagonisten in einzelne übereinanderliegende Boxen zu setzen, ohne Verbindung zueinander. Ähnlich macht es auch Regisseur Olivier Py, der mit diesem Konzept schon lange auf dem Markt ist, durch die spätere Verbindung der Räume aber immer wieder spannende Dramaturgie erzeugt. Bei Biganzoli verharren, man mag es gar nicht glauben, alle fünf von Anfang bis Ende in ihren abgeschlossenen, nur nach vorn offenen Boxen, Tristan und König Marke oben und Brangäne sowie Isolde unten, wobei die rechts am Rand liegende Box von Kurwenal beide Stockwerke umfasst. In der Mitte ist ein Gang frei, in dem die Nebenrollen auftreten, also der junge Seemann, Melot, der Hirte und der Steuermann, als Konzertsänger alle im Frack. Denn sie sollen von den fünf Protagonisten nicht ablenkende Außenstehende sein, in gewisser Weise wie das Publikum, welches das Stück aus der Perspektive einzelner Figuren sieht und das Ganze dann im Kopf zusammensetzen soll. Denn jede Figur formuliert ihr Verhalten aus ihrer Welt heraus. So sieht man also ein kassettenartiges Bühnenbild nach Wolf Gutjahr vor sich, manchmal recht sinnvoll beleuchtet, als eine „Metapher für den Schmerz in Wagners Musik“, um mit dessen „zentralem Thema“, auf verschiedenen Ebenen Beziehungen her- und deren Unmöglichkeit festzustellen. Das Orchester spielt dahinter und wird gelegentlich durch den Mittelgang teilweise sichtbar. Einige Videos von Iwo Kurze bereichern die Optik.
In diesen „assoziativen Räumen“ werden die Figuren folgendermaßen gezeichnet. Brangäne ist aus psychologischer Sicht eine Figur, die sich für alles, was passiert - und wohl auch nicht passiert - schuldig fühlt. Sie ist als Business-Frau Betreuerin ihrer Herrin Isolde und nimmt sich alles in Bezug auf diese übermäßig zu Herzen. Als Perfektionistin im Business-Anzug von Katharina Weissenborn, die allerdings Tristan in einen banalen Trainingsanzug steckt und bei Marke auch um den mittlerweile schon zum postmodernen Stereotyp avancierten weißen Feinripp nicht herumkam, ist Brangäne eine Perfektionistin, die auch mal die Fingernägel feilen darf. Sie greift aber beinahe auch zur tödlichen Pille und steigt in die Badewanne, wenn am Ende alles schiefgeht, steht dann vor ihrer inneren Leere und setzt die Rasierklinge an. König Marke ist im noch etwas königlich wirkenden Schlafzimmer zunächst mit dem Bild seiner verstorbenen Frau zu sehen, verspürt aber im weiteren Verlauf immer mehr eigene Leere, will wohl auch gar nicht König sein, offenbart schließlich aber auch eine homoerotische Beziehung zu Tristan, wie absurd! Während Kurwenal in der klassischen Sichtweise des Stücks als sich aufopfernder treuer Freund Tristans gesehen wird und dagegen eigentlich nichts einzuwenden ist, kam das leading team auf die Idee, ihn als einen Strategen zu sehen, der mit seinem „Führer“ Tristan auch ein politisches Ziel verfolgt, nämlich das „nächste Reich.“ So ist die Kurwenal-Box ein „psychotischer Raum“, in dem er alles sammelt, was er an Berichten in Zeitungen über Tristan und seine Gegner findet. Alle Wände seiner Box sind damit beklebt, und er wickelt auch mal eine Pistole aus. Wer hätte je dem doch etwas einfach gestrickten und im 3. Aufzug große Menschlichkeit beweisenden Kurwenal eine solche Form von politischer Strategie-Kompetenz zugetraut?! „Heut‘ habt ihr‘s erlebt“ möchte man mit Wotan in der „Walküre“ sagen… Homoerotische Züge zu Tristan deuten sich auch bei Kurwenal an. Offenbar eine Zwangsvorstellung der Regie.
Und nun zu Tristan und Isolde. Für das leading team ist Tristan ein Künstler, der „Ich-Bezogene“. Unter Bezug auf die Kunst eines Andy Warhol macht Tristan Kunst, bespiegelt sich dadurch und definiert sich auf diese Weise. Wenn der Spiegel weg ist, sieht er in seine eigenen Abgründe. Wenn er wieder wach wird, malt er auf einmal mit Rot an den Wänden seiner Box herum, um seine Gefühle künstlerisch auszudrücken. „Ich - Du“ steht da einmal. Er nimmt ja von Isolde unten rechts keine direkte Notiz, kann sie auch kaum hören… Und Isolde wird hier - wie sollte es anders sein - als eine Frau in der Männergesellschaft porträtiert. Bei ihr kam man auf die US-amerikanische Schriftstellerin Emily Dickinson, die sich auch gegen Ende ihres recht kurzen Lebens in die Einsamkeit ihres Zimmers zurückzog und lässt Isolde einige ihrer Sprüche an die Wände malen, wie z.B. „Dies ist mein Brief an eine Welt, die niemals schrieb an mich.“ Oder „We hated death and we hated love and nowhere was to go.” Bei Biganzoli soll Isolde gegen diese Männergesellschaft ankämpfen, und zwar mit der Feder, also mit der Kunst, das heißt, „diese Welt sozusagen überschreiben, überformen“… Also, hier ist Isolde wie Tristan eine Künstlerin, eine kämpferische zumal. Ob das wirklich zu dieser Figur passt, wenn man mal in den Text einsteigt?! Ich meine, es passt ebenso wenig wie 2007 der Stolzing als Maler in den Bayreuther „Meistersingern“ von K. Wagner, wo er à la Jonathan Meese „artfremd“ sich ständig in Räume „einmalte“. Und ist es überhaupt machbar, dass man Isolde völlig von Tristan trennt, was ebenso wenig bei Wagners Werkaussage nachzuvollziehen ist. Singt Isolde im Liebesduett nicht: “Doch unsre Liebe, heißt sie nicht Tristan – und – Isolde? Dies süße Wörtlein: “und”, was es bindet, der Liebe Bund…” etc. Das ist Zusammensein, Dialog, Gemeinsamkeit – also alles andere als Getrenntsein und Monolog…
Wer von den spärlichen 150 Besuchern an diesem Abend bei einer Sitzplatzkapazität des Hauses von immerhin 680 hat all diese sicherlich „intellektuell“ wirken sollenden Ideen verstanden und als sinnhaft und stimmig eingesehen?! Es war immerhin dieDernière. Ich hätte zu gern eine Publikumsbefragung gemacht, an die man bei diesem Besucherstand gerade bei Wagner in Halle tatsächlich mal denken sollte. Der neue „Ring“ im Oktober an der Staatsoper Berlin ist seit Wochen ausverkauft.
Es gibt aber noch ein weiteres, aus dieser völligen Abschottung der Sänger voneinander resultierendes Problem. Da sie nicht miteinander kommunizieren und sich dabei automatisch auf eine mit dem Partner harmonisierende Lautstärke einstellen, wurde von einigen zu laut gesungen, und das auch noch bei einem Orchester, welches hinter ihnen spielte, sowie einer für die Sänger akustisch besonders guten Situation in den Boxen mit ihren Rückwänden. Heiko Börner als Tristan überzieht die gewünschte Lautstärke im 1. Aufzug bereits erheblich, und man kann seinem Gesang im 3. Aufzug bisweilen nur das Prädikat „Brüllen“ geben. Da ich seinen Tristan in Linz hörte, weiß ich, dass er auch anders kann. So sang er im Finale des 2. Aufzugs auch in Halle ein sehr schönes Legato. Auch Magdalena Anna Hoffmann als Isolde sang des Öfteren viel zu laut. Ihrem Sopran fehlt es bei manchmal grenzwertigen Spitzentönen letztlich auch etwas an Breite und Wärme. Darstellerisch konnte sie in den engen gegebenen Grenzen voll überzeugen. Marlene Lichtenberg sang eine ausdrucksstarke und prägnante Brangäne mit Perfektion in dem ihr zugeordneten Rollenkonzept. Natürlich fehlte hier die direkte Kommunikation mit Isolde besonders stark. Ihre beiden Wach-Rufe erklangen wie Balsam in den oft zu heftigen vokalen Wogen. Ki-Hyun Park sang den Marke mit guter Bassfülle, in der Wirkung seines langen Monologs durch das Boxenkonzept jedoch stark eingeschränkt. Immer wieder wurde eben offenbar, dass die Figuren doch miteinander kommunizieren. Gerd Vogel sang den Kurwenal mit klar artikulierendem prägnantem Bariton, bester Diktion und könnte noch etwas an der Musikalität feilen. Daniel Blumenschein gab den Melot mit einem in dieser Rolle nicht immer zu erlebenden wohlklingenden und kraftvollen Tenor. Robert Sellier sang einen überzeugenden Hirten und Seemann, und Andrii Chakov blieben die undankbaren zwei Zeilen des Steuermanns. Johannes Köhler hatte den ja nur kurz singenden Herrenchor der Oper Halle gut einstudiert.
Michael Wendeberg stand am Pult der Staatskapelle Halle und sorgte durchgängig für einen guten „Tristan“-Sound, der durch die Lage des Orchesters hinter der vertikalen Boxenwand nicht beeinträchtigt schien. So waren auch die wichtigen Steigerungen im 2. Aufzug, aber auch die Lyrik des Liebesduetts und anderer Stellen eindrucksvoll zu hören. Allein die Balance zwischen Stimmen und Orchester erschien unausgeglichen. Aber dafür konnte Wendeberg nichts…
Klaus Billand
09. Juni 2022 | Drucken
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