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Georges Bizet Carmen Gärtnerplatztheater München 18.10.2024
Umjubelte Carmen Premiere als traditionell gehaltenes Drama am Gärtnerplatz
Die überaus beliebte Oper Carmen von Georges Bizet steht für Freiheit. Freiheit der Person und Freiheit der Liebe. Der Regisseur der Neuinszenierung am Staatstheater am Gärtnerplatz in München Herbert Föttinger siedelt deshalb die Handlung um die junge selbstbewusste Titelheldin im Sevilla von 1946 an, in eine Zeit der Diktatur und Repressalien des Franco Regimes, welches eine Einschränkung der persönlichen Freiheit beinhaltete.
Im Bühnenbild von Walter Vogelweider befinden wir uns in einem Raum mit hellen Seitenwänden und Glastüren im Hintergrund. Geschickt wechselt die Bühne so von einer Kantine der Soldaten und den Arbeiterinnen der Zigarettenfabrik zum Treffpunkt der Schmuggler. Im Finale dienen die Seitenwände als prunkvolle faschischtische Säulenallee, spitz zulaufend mit einer Gebetbank für die Toreros.
Es ist eine Herausforderung an die Regie dieser Oper, Intimität aufzubauen und die zahlreichen Mitwirkenden zu beschäftigen. Hier helfen auch Hauschoreograf Karl Alfred Schneider, Flamencotänzer und allen voran die Spielfreude und das schauspielerische Talent der meisten Protagonisten. Die Kostüme von Alfred Mayerhofer sind schlicht mit gedeckten Farben, gut den Zeitgeist wiederspiegelnd. Föttinger schafft gleich zu Beginn mit schuhputzenden Soldaten Bewegung und Aufmerksamkeit. Immer wieder schiebt er kurze Szenen ein, geprägt von Einzelpersonen die die Ruhe zurückbringen. Für die Vielzahl an Personen auf der Bühne bleibt er oft schlicht in ziellos schreitenden Bewegungen. Textlich gibt es eine angepriesene Erweiterung des Libretto, die die Handlung anreichern und im Fluss halten sollen, aber nicht wirklich Mehrwert bringt. Der Abend wird so zum musikalischen Drama verfrachtet. Die Herkunft Föttingers vom Theater ist auch in den immer wieder kehrenden innigen Liebesspielen als auch den kraftvollen Wutausbrüchen , meist mit Stühle werfen, spürbar.
Ruhiger aber ebenso zündend mit spanischem Kolorit geht es im Orchestergraben zu. Der neue Musikdirektor Ruben Dubrovsky, halb Argeninier und Italiener, bringt südländisches Blut mit in die Interpretation. Gut dosiert in der Lautstärke schwelgen die Musiker des Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz in flotten Rhythmen, hämmern zu den exakten Schritten der Tänzerinnen und untermauern Chorszenen mit Steigerungen. Den ausgezeichneten Solisten, zumeist aus dem Ensemble des Hauses, liefert Dubrovsky ausreichend Raum für ihre Gestaltung.
Als Carmen zeigt Sophie Rennert ihre Vielseitigkeit und Präsenz. Ihrer Erotik bewusst, bezirzt sie die Männer, weiss diese zu erorbern und trotzdem kann sie ihre Liebe und Gefühle nicht hingeben, ihre Freiheit und Unabhängigkeit behaltend. Manche Geste wirkt von der Regie überzogen, wenn sie sich ihres roten Höschens entledigen muss oder inspirierend auf den Tisch legt. Bereits in ihrer Natürlichkeit und Bewegung kann Rennert ungequält männliche Gefühle erorbern wie sie in ihrem Tanz dokumentiert. Stimmlich gefällt die Färbung ihres gut geführten Sopran. Fassettenreich gestaltet sie die Anforderungen der Rolle von der ausgegrenzten widerspenstigen Arbeiterin zur gewagten Spielerin mit männlichen Gefühlen bis zur stolzen ihren Prinzipien treuen Frau. Dies bis in den Tod. Lucian Krasznec überzeugt wiederum als Don Jose, der den Reizen Carmens gegen sein Ehrgefühl erliegt und in der tölpelhaften Zerrissenheit seiner Verzweiflung überzeugend erliegt. Sein Tenor hat weiter an Kraft und Sicherheit gewonnen. Nuanciert zeigt er seine Emotionen, betet seine Carmen an und fleht rührend um deren Rückkehr. Kraftvoll ohne Druck lässt er seine Stimme anschwellen und bis in die Höhe lyrisch erscheinen. Ana Maria Labin ist eine ehrliche klare Micaela, die ihre Liebe zu Don Jose immer durchschimmern lässt. Mit Anmut schlüpft sie in den Mantel von Carmen, um bildlich den Kampf mit der Widersacherin aufzunehmen. Timos Sirlantzis fehlt für seinen Escamillo Glanz und Volumen. Sein Torero ist kein strahlender Held, der dem Stier ins Auge schaut.
In den Nebenrollen erfreuen die Mitglieder des Opernstudios. Der Chor und Extrachor des Staatstheaters am Gärtnerplatz ist auch darstellerisch gefordert. Bestens vorbereitet zeichnet er sich als gut abgestimmter einheitlich klingender Klangkörper aus.
Großer langanhaltender Jubel im ausverkauften Haus.
Dr. Helmut Pitsch
20. Oktober 2024 | Drucken
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